Pilotprojekt „rollende Diagnostik“startet
Auf dem Uni-Campus Homburg ist ein bundesweit einmaliges Hightech-Diagnoseprojekt vorgestellt worden. Pflegeheimbewohner im Saarland sollen künftig vor Ort in einem mobilen Labor-Truck statt in Kliniken untersucht werden.
Es ist ein Modellprojekt, dessen Sinnhaftigkeit und gesellschaftlicher Nutzen sich sofort erschließt. Weshalb man sich denn auch eher fragt, weshalb es die nun geplante rollende Diagnostik für Pflegeheimbewohner nicht längst gibt: Weil man viele Beteiligte (vom Hausärzteverband über die Kassenärztliche Vereinigung bis zu den Pflegeheimen) erst mal ins Boot holen muss. Tatsächlich ist die Idee vor drei Jahren am Homburger Uniklinikum entwickelt und von Neurologie-Direktor Prof. Klaus Faßbender und seiner Kollegin Prof. Silke Walter initiiert worden. Laut Faßbender gibt es bundesweit nichts Vergleichbares.
Worum geht es? Gebrechlichen oder dementen Heimpatienten soll künftig der Besuch einer Notaufnahme möglichst erspart werden, indem die „Klinik“zum Patienten kommt. Da viele Hausärzte überlastet sind und weder Röntgen- noch CT-Geräte haben, soll ein mit viel DiagnostikEquipment ausgestatteter Lkw ab September Geriatrie-Patienten in Heimen untersuchen.
Bislang, so Faßbender, kämen diese im Schnitt dreimal jährlich in die Notaufnahme, infolge von Stürzen, Infektionen oder eines schlechten
Gesundheitszustandes. Geriatrische Patienten würden dann abrupt aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen. „Für manche sind schon der Transport und die Notaufnahme beängstigend oder traumatisch“, so Faßbender. Zurück im Heim litten sie häufig wochenlang unter sogenannten Relokalisierungstraumata.
Vor diesem Hintergrund entwickelte er mit Silke Walter das Modellprojekt, das nun mit bis zu 9,8Millionen Euro gefördert wird. Der „Gemeinsame Bundesausschuss“, höchstes Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, gab dazu nun grünes Licht. Zuvor hatten sich die Homburger als eines von etwa einem Dutzend Projekten erfolgreich gegen rund 100 weitere durchgesetzt. 7,4Millionen Euro der Fördersumme, schätzt Faßbender, blieben im Saarland.
Der Lkw – Faßbender hat ihn nach eigenen Worten bereits gekauft, um Lieferengpässen zu entgehen – wird bis unters Dach mit modernster Diagnosetechnik (Ganzkörper-CT, Röntgengerät, EEG, EKG plus ein komplettes Labor) hochgerüstet. Ab September könnte die rollende Diagnostik – sie soll in zwei Schichten sieben Tage in der Woche im Einsatz sein – erste Einsätze fahren. An Bord werde neben einem Rettungssanitäter und einer MTA (MedizinischTechnische Assistentin) auch „ein Arzt als Allrounder“(Faßbender) sein
– via Telemedizin mit Radiologen, Hausärzten sowie Fachärzten des Homburger Uniklinikums verbunden. Um für größtmögliche Effizienz zu sorgen, wird der Check-up-Truck sich erst auf Hausarztbitte in eines der 160 saarländischen Pflegeheime aufmachen, so Faßbender. Und das rollende Labor auch „nur in subakuten Fällen“angefordert.
Faßbender verspricht sich eine spürbare Entlastung der GeriatriePatienten, Politik und Pflegeträger, auch eine Kostenersparnis sowie eine Entlastung der Kliniken. Ob das Projekt Zukunft hat, wird von ökonomischen Fragen abhängen: Lassen sich die Routen des rollenden Diagnosezentrums (es wird mit Heusweiler einen zentralen Standort erhalten) effizient genug planen? Bekommen die Hausärzte womöglich
eher anfallende Heimbesuche der Patienten organisiert? Hintergrund: Bislang werden geriatrische Patienten aus Kostenerstattungsgründen mehrere Tage stationär in Kliniken aufgenommen (und dort medizinisch versorgt). Werden die Pflegeheime eher diesen bisherigen kurzfristigen Entlastungseffekt sehen? Oder den nachhaltigeren: den ausbleibender Klinik-Traumata ihrer Patienten?
Auch muss sich zeigen, ob das ambitionierte Projektziel, maximal binnen 48 Stunden eine ärztliche Auswertung der Befunde zu gewährleisten, tatsächlich leistbar ist. Um die Wirksamkeit des auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekts zu ermitteln, werden zunächst ein Jahr lang 24 Heime einbezogen und 24 weitere ohne Mobilversorgung bleiben, um in beiden Fällen Verlauf,
Aufwand und Kosten – und damit die Wirksamkeit der „rollenden Diagnostik“– zu dokumentieren. Nach einem Jahr wird dann getauscht.
Faßbender ist in Sachen Praxistest guter Dinge. Ein ähnliches zweites „Homburger Kind“– ein spezieller Krankenwagen zur Diagnose und Therapie bei Schlaganfällen – habe sich, seit es 2008 hier „zur Welt kam“, derart bewährt, dass es weltweit längst zuhauf Nachahmer gefunden habe, erzählt er. Womöglich könnte ganz ähnlich in ein paar Jahren auch der neue Homburger Diagnostik-Truck wieder zu einem Vorbild werden. Wissenschaftsminister Jakob von Weizsäcker betonte bei der Vorstellung des Projekts „rollende Diagnostik“am Mittwoch denn auch schon mal dessen „Chancen für Patienten und Gesundheitswirtschaft“.