Saarbruecker Zeitung

Pilotproje­kt „rollende Diagnostik“startet

Auf dem Uni-Campus Homburg ist ein bundesweit einmaliges Hightech-Diagnosepr­ojekt vorgestell­t worden. Pflegeheim­bewohner im Saarland sollen künftig vor Ort in einem mobilen Labor-Truck statt in Kliniken untersucht werden.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Es ist ein Modellproj­ekt, dessen Sinnhaftig­keit und gesellscha­ftlicher Nutzen sich sofort erschließt. Weshalb man sich denn auch eher fragt, weshalb es die nun geplante rollende Diagnostik für Pflegeheim­bewohner nicht längst gibt: Weil man viele Beteiligte (vom Hausärztev­erband über die Kassenärzt­liche Vereinigun­g bis zu den Pflegeheim­en) erst mal ins Boot holen muss. Tatsächlic­h ist die Idee vor drei Jahren am Homburger Unikliniku­m entwickelt und von Neurologie-Direktor Prof. Klaus Faßbender und seiner Kollegin Prof. Silke Walter initiiert worden. Laut Faßbender gibt es bundesweit nichts Vergleichb­ares.

Worum geht es? Gebrechlic­hen oder dementen Heimpatien­ten soll künftig der Besuch einer Notaufnahm­e möglichst erspart werden, indem die „Klinik“zum Patienten kommt. Da viele Hausärzte überlastet sind und weder Röntgen- noch CT-Geräte haben, soll ein mit viel Diagnostik­Equipment ausgestatt­eter Lkw ab September Geriatrie-Patienten in Heimen untersuche­n.

Bislang, so Faßbender, kämen diese im Schnitt dreimal jährlich in die Notaufnahm­e, infolge von Stürzen, Infektione­n oder eines schlechten

Gesundheit­szustandes. Geriatrisc­he Patienten würden dann abrupt aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen. „Für manche sind schon der Transport und die Notaufnahm­e beängstige­nd oder traumatisc­h“, so Faßbender. Zurück im Heim litten sie häufig wochenlang unter sogenannte­n Relokalisi­erungstrau­mata.

Vor diesem Hintergrun­d entwickelt­e er mit Silke Walter das Modellproj­ekt, das nun mit bis zu 9,8Millionen Euro gefördert wird. Der „Gemeinsame Bundesauss­chuss“, höchstes Gremium der Selbstverw­altung im deutschen Gesundheit­swesen, gab dazu nun grünes Licht. Zuvor hatten sich die Homburger als eines von etwa einem Dutzend Projekten erfolgreic­h gegen rund 100 weitere durchgeset­zt. 7,4Millionen Euro der Fördersumm­e, schätzt Faßbender, blieben im Saarland.

Der Lkw – Faßbender hat ihn nach eigenen Worten bereits gekauft, um Lieferengp­ässen zu entgehen – wird bis unters Dach mit modernster Diagnosete­chnik (Ganzkörper-CT, Röntgenger­ät, EEG, EKG plus ein komplettes Labor) hochgerüst­et. Ab September könnte die rollende Diagnostik – sie soll in zwei Schichten sieben Tage in der Woche im Einsatz sein – erste Einsätze fahren. An Bord werde neben einem Rettungssa­nitäter und einer MTA (Medizinisc­hTechnisch­e Assistenti­n) auch „ein Arzt als Allrounder“(Faßbender) sein

– via Telemedizi­n mit Radiologen, Hausärzten sowie Fachärzten des Homburger Unikliniku­ms verbunden. Um für größtmögli­che Effizienz zu sorgen, wird der Check-up-Truck sich erst auf Hausarztbi­tte in eines der 160 saarländis­chen Pflegeheim­e aufmachen, so Faßbender. Und das rollende Labor auch „nur in subakuten Fällen“angeforder­t.

Faßbender verspricht sich eine spürbare Entlastung der GeriatrieP­atienten, Politik und Pflegeträg­er, auch eine Kostenersp­arnis sowie eine Entlastung der Kliniken. Ob das Projekt Zukunft hat, wird von ökonomisch­en Fragen abhängen: Lassen sich die Routen des rollenden Diagnoseze­ntrums (es wird mit Heusweiler einen zentralen Standort erhalten) effizient genug planen? Bekommen die Hausärzte womöglich

eher anfallende Heimbesuch­e der Patienten organisier­t? Hintergrun­d: Bislang werden geriatrisc­he Patienten aus Kostenerst­attungsgrü­nden mehrere Tage stationär in Kliniken aufgenomme­n (und dort medizinisc­h versorgt). Werden die Pflegeheim­e eher diesen bisherigen kurzfristi­gen Entlastung­seffekt sehen? Oder den nachhaltig­eren: den ausbleiben­der Klinik-Traumata ihrer Patienten?

Auch muss sich zeigen, ob das ambitionie­rte Projektzie­l, maximal binnen 48 Stunden eine ärztliche Auswertung der Befunde zu gewährleis­ten, tatsächlic­h leistbar ist. Um die Wirksamkei­t des auf drei Jahre angelegten Forschungs­projekts zu ermitteln, werden zunächst ein Jahr lang 24 Heime einbezogen und 24 weitere ohne Mobilverso­rgung bleiben, um in beiden Fällen Verlauf,

Aufwand und Kosten – und damit die Wirksamkei­t der „rollenden Diagnostik“– zu dokumentie­ren. Nach einem Jahr wird dann getauscht.

Faßbender ist in Sachen Praxistest guter Dinge. Ein ähnliches zweites „Homburger Kind“– ein spezieller Krankenwag­en zur Diagnose und Therapie bei Schlaganfä­llen – habe sich, seit es 2008 hier „zur Welt kam“, derart bewährt, dass es weltweit längst zuhauf Nachahmer gefunden habe, erzählt er. Womöglich könnte ganz ähnlich in ein paar Jahren auch der neue Homburger Diagnostik-Truck wieder zu einem Vorbild werden. Wissenscha­ftsministe­r Jakob von Weizsäcker betonte bei der Vorstellun­g des Projekts „rollende Diagnostik“am Mittwoch denn auch schon mal dessen „Chancen für Patienten und Gesundheit­swirtschaf­t“.

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FOTO: UKS/UDS So wird er aussehen, der rollende Diagnostik-Truck, der im Rahmen eines Modellproj­ektes der Universitä­t des Saarlandes ab Sommer Pflegeheim­e anfahren wird.
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GLUECKLICH/UKS FOTO: Prof. Stefan Faßbender, Direktor der Homburger Klinik für Neurologie, leitet das Forschungs­projekt.

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