„ Jeder und Jede wird im Saarland gebraucht“
Wie es nach den jüngsten Erfolgen in der Stahlindustrie mit dem Saarland weitergehen soll, hat die erste „ Strukturwandelkonferenz“analysiert.
Nach den Erfolgen in der Stahlindustrie, die Standorte Dillingen und Völklingen fit zu machen für die Zukunft, folgt eine Überraschung. So wird sich auch die Deutsche Bahn wieder stärker im Saarland engagieren. Als ersten Schritt errichtet sie im Saarbrücker Hauptbahnhof ein Ausbildungszentrum, das im Mai 2024 seinen Betrieb aufnehmen soll. Das kündigte BahnPersonalvorstand Martin Seiler auf der ersten saarländischen Strukturwandelkonferenz der Landesregierung im Saarbrücker Schloss an.
In Anwesenheit zahlreicher Entscheider aus Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Kammern und Gewerkschaften ging es darum, wie man Fachkräfte gewinnen und Fachkräfte halten kann. Als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland beschäftigt die Deutsche Bahn rund 220 000 Mitarbeiter. „Davon geht jedoch etwa die Hälfte in den nächsten fünf bis sieben Jahren in den Ruhestand“, so Seiler. Alleine das stelle das Unternehmen vor eine riesige Herausforderung. „Wir müssen Ersatz finden und auch weiter wachsen.“Zudem veränderten sich zahlreiche Tätigkeiten. Das Saarland mit seiner hohen Dichte an Industrieunternehmen sieht Seiler als ein Vorbild für Deutschland, wie man Veränderungen umsetzt. Das habe das Beispiel der Stahlindustrie gezeigt.
Bei der Bahn stünden alle strategischen Veränderungen unter dem Motto „Starke Schiene“. Auch das neue Ausbildungszentrum soll dazu Beiträge leisten. Ralf Damde, Chef der Eisenbahnergewerkschaft EVG im Saarland und seit einiger Zeit Mitglied im Konzern-Aufsichtsrat der Bahn, hat das Projekt mit auf den Weg gebracht. Begonnen wird mit Metallund Elektroberufen. Gerade in diesen Bereichen gibt es starken Nachholbedarf, auch im Saarland. „Wir suchen Mechatroniker, Energie-Elektroniker und weitere Experten, die an den Zügen und in der Instandhaltung arbeiten.“Zumal die Anforderungen an die Bahn weiter steigen. „Das Saarland will eine S-Bahn-Ausschreibung machen. Das alleine bedeutet eine Steigerung der Verkehrsleistungen um zwanzig Prozent. Und wir brauchen neue Fahrzeuge. Die müssen instand gesetzt werden. Mit all dem können wir nicht erst beginnen, wenn der Betrieb startet“, so Damde.
Die Zahl von zunächst 60 Auszubildenden könne erhöht werden. Auch die Ausbildung von Lokführern sei denkbar. Im Rahmen der Frankreich-Strategie könne die Ausbildungsstätte zudem „zu einem Kompetenzzentrum für die Rekrutierung ausländischer Facharbeiter werden in Kombination mit der Vermittlung auch der französischen Sprache“, betont Damde. „Wenn etwa ein Experte aus Tunesien oder Marokko angeworben wird, der muttersprachlich Französisch spricht, dann wäre der ideal, bei uns in Saarbrücken eine solche Ausbildung zu machen. Er bekommt die Fachkenntnisse dann in seiner Muttersprache vermittelt.“
Während die Bahn ihr Engagement erhöht, müssen andere Probleme im Strukturwandel noch gelöst werden. So macht Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) als Hoffnungsträger deutlich mehr qualifizierte Zuwanderer sowie mehr Frauen aus, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könnten. Generell wird nach Überzeugung von Rehlinger „jeder und jede im Saarland gebraucht“. Um mehr Frauen zu gewinnen, brauche man aber auch mehr Kita-Plätze und vor allem solche Kitas, die auch zu Randzeiten geöffnet sind. Mehr Fachpersonal brauche man ebenfalls.
Bettina Altesleben, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit, zeigte eine Hürde auf. „Es gibt eine Reihe von Frauen aus Syrien oder auch der Ukraine, die zu uns kommen, in ihrem Land sogar eine Kita geleitet haben, bei uns aber erst nach einer längeren Weiterbildung arbeiten dürfen, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden.“Bis die abgeschlossen ist, könne es Jahre dauern. „Die könnten bei uns sofort arbeiten. Der Bedarf ist da.“Es müssten flexiblere Wege gefunden werden.
Michael Buchna, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) an der Saar, sowie Timo Ahr als Saar-DGB-Chef sehen die Mitbestimmung als Standortvorteil an. Durch diese Kooperation sei es gelungen, etwa die Lohnund Arbeitsbedingungen in der Gastronomie deutlich zu verbessern.
Mehr Flexibilität in der Bildungspolitik halten einige Saar-Unternehmer für notwendig. Thomas Kolb, Geschäftsführer bei Dürr Assembly Products in Püttlingen, regt an, das Interesse für Technik und Naturwissenschaften möglichst schon spielerisch in Kitas und Schulen zu wecken.
Um mehr Frauen für technische Berufe und als Fachkräfte zu gewinnen, müsse sich die Kultusbürokratie flexibler zeigen. So sei die Beteiligung junger Frauen am Girls Day bei Dürr gescheitert, weil sie sich vom Schulunterricht freistellen und verpflichten mussten, den Unterricht nachzuholen. Kolb fordert die Stärkung von Mintfächern wie Physik, Chemie, Biologie und Mathematik.