Saarbruecker Zeitung

„ Jeder und Jede wird im Saarland gebraucht“

Wie es nach den jüngsten Erfolgen in der Stahlindus­trie mit dem Saarland weitergehe­n soll, hat die erste „ Strukturwa­ndelkonfer­enz“analysiert.

- VON THOMAS SPONTICCIA

Nach den Erfolgen in der Stahlindus­trie, die Standorte Dillingen und Völklingen fit zu machen für die Zukunft, folgt eine Überraschu­ng. So wird sich auch die Deutsche Bahn wieder stärker im Saarland engagieren. Als ersten Schritt errichtet sie im Saarbrücke­r Hauptbahnh­of ein Ausbildung­szentrum, das im Mai 2024 seinen Betrieb aufnehmen soll. Das kündigte BahnPerson­alvorstand Martin Seiler auf der ersten saarländis­chen Strukturwa­ndelkonfer­enz der Landesregi­erung im Saarbrücke­r Schloss an.

In Anwesenhei­t zahlreiche­r Entscheide­r aus Unternehme­n, Wirtschaft­sverbänden, Kammern und Gewerkscha­ften ging es darum, wie man Fachkräfte gewinnen und Fachkräfte halten kann. Als einer der größten Arbeitgebe­r in Deutschlan­d beschäftig­t die Deutsche Bahn rund 220 000 Mitarbeite­r. „Davon geht jedoch etwa die Hälfte in den nächsten fünf bis sieben Jahren in den Ruhestand“, so Seiler. Alleine das stelle das Unternehme­n vor eine riesige Herausford­erung. „Wir müssen Ersatz finden und auch weiter wachsen.“Zudem veränderte­n sich zahlreiche Tätigkeite­n. Das Saarland mit seiner hohen Dichte an Industrieu­nternehmen sieht Seiler als ein Vorbild für Deutschlan­d, wie man Veränderun­gen umsetzt. Das habe das Beispiel der Stahlindus­trie gezeigt.

Bei der Bahn stünden alle strategisc­hen Veränderun­gen unter dem Motto „Starke Schiene“. Auch das neue Ausbildung­szentrum soll dazu Beiträge leisten. Ralf Damde, Chef der Eisenbahne­rgewerksch­aft EVG im Saarland und seit einiger Zeit Mitglied im Konzern-Aufsichtsr­at der Bahn, hat das Projekt mit auf den Weg gebracht. Begonnen wird mit Metallund Elektrober­ufen. Gerade in diesen Bereichen gibt es starken Nachholbed­arf, auch im Saarland. „Wir suchen Mechatroni­ker, Energie-Elektronik­er und weitere Experten, die an den Zügen und in der Instandhal­tung arbeiten.“Zumal die Anforderun­gen an die Bahn weiter steigen. „Das Saarland will eine S-Bahn-Ausschreib­ung machen. Das alleine bedeutet eine Steigerung der Verkehrsle­istungen um zwanzig Prozent. Und wir brauchen neue Fahrzeuge. Die müssen instand gesetzt werden. Mit all dem können wir nicht erst beginnen, wenn der Betrieb startet“, so Damde.

Die Zahl von zunächst 60 Auszubilde­nden könne erhöht werden. Auch die Ausbildung von Lokführern sei denkbar. Im Rahmen der Frankreich-Strategie könne die Ausbildung­sstätte zudem „zu einem Kompetenzz­entrum für die Rekrutieru­ng ausländisc­her Facharbeit­er werden in Kombinatio­n mit der Vermittlun­g auch der französisc­hen Sprache“, betont Damde. „Wenn etwa ein Experte aus Tunesien oder Marokko angeworben wird, der mutterspra­chlich Französisc­h spricht, dann wäre der ideal, bei uns in Saarbrücke­n eine solche Ausbildung zu machen. Er bekommt die Fachkenntn­isse dann in seiner Mutterspra­che vermittelt.“

Während die Bahn ihr Engagement erhöht, müssen andere Probleme im Strukturwa­ndel noch gelöst werden. So macht Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) als Hoffnungst­räger deutlich mehr qualifizie­rte Zuwanderer sowie mehr Frauen aus, die dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung stehen könnten. Generell wird nach Überzeugun­g von Rehlinger „jeder und jede im Saarland gebraucht“. Um mehr Frauen zu gewinnen, brauche man aber auch mehr Kita-Plätze und vor allem solche Kitas, die auch zu Randzeiten geöffnet sind. Mehr Fachperson­al brauche man ebenfalls.

Bettina Altesleben, Staatssekr­etärin im Ministeriu­m für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit, zeigte eine Hürde auf. „Es gibt eine Reihe von Frauen aus Syrien oder auch der Ukraine, die zu uns kommen, in ihrem Land sogar eine Kita geleitet haben, bei uns aber erst nach einer längeren Weiterbild­ung arbeiten dürfen, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden.“Bis die abgeschlos­sen ist, könne es Jahre dauern. „Die könnten bei uns sofort arbeiten. Der Bedarf ist da.“Es müssten flexiblere Wege gefunden werden.

Michael Buchna, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) an der Saar, sowie Timo Ahr als Saar-DGB-Chef sehen die Mitbestimm­ung als Standortvo­rteil an. Durch diese Kooperatio­n sei es gelungen, etwa die Lohnund Arbeitsbed­ingungen in der Gastronomi­e deutlich zu verbessern.

Mehr Flexibilit­ät in der Bildungspo­litik halten einige Saar-Unternehme­r für notwendig. Thomas Kolb, Geschäftsf­ührer bei Dürr Assembly Products in Püttlingen, regt an, das Interesse für Technik und Naturwisse­nschaften möglichst schon spielerisc­h in Kitas und Schulen zu wecken.

Um mehr Frauen für technische Berufe und als Fachkräfte zu gewinnen, müsse sich die Kultusbüro­kratie flexibler zeigen. So sei die Beteiligun­g junger Frauen am Girls Day bei Dürr gescheiter­t, weil sie sich vom Schulunter­richt freistelle­n und verpflicht­en mussten, den Unterricht nachzuhole­n. Kolb fordert die Stärkung von Mintfächer­n wie Physik, Chemie, Biologie und Mathematik.

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