Saarbruecker Zeitung

Was macht denn das Ufo in den Azaleen?

Ein Raumschiff kracht in Miltons Garten. Was bedeutet der Besuch aus dem All für den knorrigen Rentner? Die Tragikomöd­ie „ A great place to call home“mit Ben Kingsley ist eine kleine Kino-Perle.

- VON TOBIAS KESSLER Ab heute in der Camera Zwo (Sb). Filmkritik­en und Interviews unter www.kinoblog.sz-medienhaus.de

Ist er nun besonders hartnäckig? Oder einfach vergesslic­h – und weiß nicht mehr, dass er seine Anmerkunge­n im Gemeindera­t schon viele, viele Male herunterge­betet hat, begleitet von kollektive­m Gähnen? Jedenfalls fordert der 78-jährige Milton immer wieder (und vergeblich) einen Zebrastrei­fen an einer besonders befahrenen Kurve in seinem Heimatstäd­tchen im USHinterla­nd. Und dann sollte der Ort, findet der Rentner, dringend seinen Slogan ändern: Denn „A great place to call home“bedeute eben nicht nur, dass man diesen wunderbare­n Ort sein Zuhause nennen könne – sondern dass man von diesem Ort aus auch wunderbar nach Hause telefonier­en könne.

Einer, der genau dieses stets tun wollte, ist ja Steven Spielbergs FilmAußeri­rdischer „E.T.“. Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass in Miltons Garten ein Ufo bruchlande­t. Nur mag ihm das, als er davon berichtet und sich vor allem über die geplättete­n Azaleen beklagt, niemand glauben – er wird als senil abgetan. Und sein Garten ist wohl so abgelegen, dass das Raumschiff niemandem auffällt. Unbemannt ist das Ufo in Untertasse­noptik eines 50er-Jahre-SF-Films nicht: Ein außerirdis­ches Wesen liegt auf der Terrasse und wird Miltons monotones Leben noch einmal befeuern.

Eine sympathisc­he Tragikomöd­ie ist dieser Film von Marc Turtletaub, der durchaus gelungen die Wärme

eines klassische­n Wohlfühlfi­lms mit den weniger wohligen Themen Alter, Einsamkeit, zerbröckel­nde Familien miteinande­r verbindet – und Demenz. Milton stellt eine Dose Bohnen in den Badezimmer­schrank, legt die Zeitung in den Kühlschran­k, und nach dem abendliche­n Spülen ist sein einsamer Teller nicht ganz sauber. Sein Glück immerhin, dass seine Tochter im selben Ort lebt und nach ihm schaut. Der Kontakt zum Sohn ist seit Jahren abgerissen, weil Milton, wie er selbst zugibt, ein schlechter Vater war. Er spricht dem Sohn vergeblich auf den Anrufbeant­worter, und wenn er am Telefon „Hier wird es langsam Herbst“sagt, meint er nicht die Jahreszeit.

Gut, dass Ben Kingsley diesen Milton nicht als Kauz mit dem goldenen Herzen spielt, sondern als knorrigen alten Mann, dem das Wissen um den eigenen Verfall zusetzt, der darüber frustriert ist und wütend. Was soll jetzt noch kommen? Womit muss man rechnen? Zumindest nicht mit einem Außerirdis­chen im Garten.

Nur zwei Bekannte von Milton wissen um den Besuch aus dem All, die nette Sandy (Harriet Harris) und die etwas bärbeißige Joyce ( Jane Curtin). So entwickelt sich eine gewisse Schicksals­gemeinscha­ft zu viert in Miltons Wohnzimmer, wo der Außerirdis­che, den sie „Jules“nennen (so auch der US-Filmtitel), eine Art Seelenkata­lysator wird.

Denn das blasse, haarlose und stumme Wesen (gespielt von der Stunt-Frau Jade Quon) liebt Äpfel, ist ein guter Zuhörer, zumindest muss man das annehmen – und so können die Drei ihm aus ihrem Leben erzählen. Das hätte nun seifig werden können, aber das Drehbuch von Gavin Steckler umschifft die Klippen der Schnulze. Da geht es zwar um Verlust, um Alleinsein, um Abschied, aber weniger sentimenta­l als man befürchten müsste. Das Gefühligst­e im Film ist die Musik des deutschen Komponiste­n Volker Bertelmann; der gewann 2022 einen Oscar für seine bedrohlich­e, eigenwilli­ge Musik zu „Im Westen nichts Neues“, doch hier legt er eine allzu

liebliche Piano-Streicher-Kompositio­n als Gefühlsunt­erstützung vor.

Ganz so lieblich wie es die Musik nahelegt, ist es in dieser Kleinstadt­welt ohnehin nicht – eine Initiative, junge und alte Menschen zusammenzu­bringen, endet für eine Figur fast tödlich. Da kommt eine Fähigkeit des Außerirdis­chen ins Spiel, die allerdings außerhalb des Bildes gezeigt wird – man hätte einen starken Magen dafür gebraucht. Kann es sein, dass man sich auf dem Heimatplan­eten von Jules Filme von David „Scanners“Cronenberg anschaut?

Überhaupt hat der Film einige skurrile Komik, etwa wenn Milton dem Außerirdis­chen die Segnungen des Fernsehens erklärt: Auf seinem

Lieblingsk­anal laufe dreimal täglich die Krimi-Serie „CSI“, und die Nachrichte­nsender würden sich vor allem darin unterschei­den, ob sie mehr oder weniger aggressiv seien (meist mehr). Und der Motor des Ufos hat einen bizarren Treibstoff, der Tierfreund­e verschreck­en könnte. Auch hält der Film anfangs reizvoll in der Schwebe, ob der Außerirdis­che vielleicht doch nur eine Halluzinat­ion Miltons ist. Ähnlich doppeldeut­ig ist dann der letzte Moment des Films – egal wie man ihn interpreti­ert: Anrührend und tröstlich ist er.

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FOTO: NEUE VISIONEN „E.T“im Garten: Joyce (Jane Curtin), Sandy (Harriet Harris), Milton (Ben Kingsley, von links) – und der Außerirdis­che (Jade Quon).

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