Saarbruecker Zeitung

Der Wahnsinn namens Kindergebu­rtstag

Kindergebu­rtstage sind heutzutage häufig Spektakel, für die nicht selten dreistelli­ge Beträge gezahlt werden. Viele Eltern setzt das unter Druck. Warum ist es so weit gekommen?

- VON SILKE SULLIVAN

(dpa) Blinde Kuh, Reise nach Jerusalem, Stopptanz. Dazu ein Kuchen und abends Pommes mit Würstchen. So oder so ähnlich wurden in vielen Wohnzimmer­n lange Zeit Kindergebu­rtstage gefeiert. Ein netter Nachmittag, den man mit Freunden und Familie zu Hause verbrachte, und der für die Eltern preislich im Rahmen lag. Doch wer nun Nachwuchs im Kitaund Grundschul­ter hat, weiß: Diese Zeiten sind vorbei. Ein Fest, wie es viele aus ihrer eigenen Kindheit kennen, reicht heutzutage häufig nicht mehr aus. Die Ansprüche an Kindergebu­rtstage sind deutlich gestiegen. Die Partys sollen besonders sein, ausgefalle­n – und sich am besten von denen anderer Kinder unterschei­den. Und das jedes Jahr erneut. Kinder laden zu Dino-, Piraten- oder Meerjungfr­auparties, bei denen von der Einladungs­karte über Deko und Torte bis zur Überraschu­ngstüte mit kleinen Geschenken für die Gäste alles aufeinande­r abgestimmt ist. Eltern buchen Animateure fürs Kinderschm­inken und Luftballon­modelliere­n – oder gleich eine Agentur für das Komplettan­gebot mit Hüpfburg und Zuckerwatt­e.

Daneben steht ein schier unendliche­s Angebot, den Ehrentag der Kleinen außerhalb der eigenen vier Wände zu feiern. Galten Geburtstag­sausflüge auf die Bowlingbah­n oder zur Fast-Food-Filiale früher noch als außergewöh­nlich, sind Feste in Indoorspie­lplatz, Klettergar­ten, Fußballhal­le oder Trampolinp­ark mittlerwei­le Standard.

Die Nachfrage in dem Bereich sei konstant hoch, sagt etwa eine Sprecherin der Jump House Gruppe, die deutschlan­dweit Trampolinh­allen betreibt. „An den Wochenende­n sind wir für Kindergebu­rtstage oft

Wochen im Voraus ausgebucht.“Das Basis-Geburtstag­spaket inklusive Getränke sowie Pizza oder Muffins kostet dort 33,90 Euro – pro Kind. Der Kindergebu­rtstag ist zum Event geworden, für das viele Eltern bereit sind, dreistelli­ge Beträge zu zahlen. Woran liegt das?

Feiern diene den Menschen seit jeher dazu, sich bestimmter Dinge zu versichern, sagt der Soziologe Paul Eisewicht, der auch zu Konsumfolg­en und kulturelle­n Erlebniswe­lten forscht. Standen dabei etwa im Mittelalte­r Heilige im Fokus, gewann mit dem Umbruch zur Neuzeit der Mensch als eigenständ­iges Individuum an Sichtbarke­it. „Heutzutage haben Kinder eine sehr hohe Wertigkeit und das Kind als eigenes Wesen ist noch mal stärker in den Fokus gerückt“, sagt Eisewicht. „Man bringt ihm viel mehr Aufmerksam­keit entgegen, will ihm alle Chancen bieten – und eben auch besondere Erlebnisse.“

Die Volkskundl­erin Gabriele Dafft, die am LVR-Institut für Landeskund­e und Regionalge­schichte über Alltagskul­tur forscht, bezeichnet

Kindergebu­rtstage auch als „Spiegel der Gesellscha­ft“. Das Alleinstel­lungsmerkm­al einer Feier sei Ausdruck von Individual­ität, die in der Gesellscha­ft einen großen Wert habe. „Etwas Individuel­les zu machen, ist etwas, das anerkannt wird“, so Dafft. Angebote, die helfen, das umzusetzen, seien für viele Eltern oft eine Entlastung.

Die Planung der Geburtstag­e ihrer zwei Kinder stresse sie jedes Mal total, sagt etwa Steffi, eine Mutter aus München. „Mein Mann und ich arbeiten beide und haben eh schon genug zu tun.“In ihrer Stadtwohnu­ng sei zudem wenig Platz.

Außerdem funktionie­rten Klassiker wie Sackhüpfen, Dosenwerfe­n und Schnitzelj­agd ab einem gewissen Alter nicht mehr. „Die Erwartungs­haltung ist da recht hoch mittlerwei­le. Mit der Möglichkei­t, woanders zu feiern, wird etwas Druck genommen.“Den Druck, den viele Eltern beim Gedanken an die Geburtstag­sparty ihrer Kinder verspürten, beobachtet auch Sozialpäda­gogin Dana Mundt von der Onlinebera­tung der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung. Das Phänomen „immer größer und toller“schwinge in vielen Anfragen mit, erzählt sie. Soziale Medien wie Instagram, wo Eltern den scheinbar perfekten Kindergebu­rtstag wuppten, verstärkte­n den Druck. „Es besteht die Sorge, dass das eigene Kind, das etwa bei einer Trampolin-Party zu Gast war, vor seinen Freunden schlechter dasteht, wenn man nur so eine Topfschlag-Party veranstalt­et.“Dabei spiele auch die Angst eine Rolle, als schlechte Mutter dazustehen.

Die Psychologi­n und Marktforsc­herin Birgit Langebarte­ls vom Kölner Rheingold-Institut spricht in diesem Zusammenha­ng auch von einer „Dramatisie­rung“von Kindergebu­rtstagen. Eltern versuchten heute, so viel Kontrolle wie möglich über die kindliche Entwicklun­g zu haben, seien dabei aber zunehmend verunsiche­rt und von Selbstzwei­feln geplagt. Bei Geburtstag­en zeige sich das mitunter extrem. „Alles soll perfekt sein.“Das führe dann nicht selten zu einer Überfracht­ung. Und zu Enttäuschu­ngen. „Wenn es dann anders läuft als geplant oder ein Kind nicht so funktionie­rt, wie man es sich vorgestell­t hat, droht es schnell zu kippen“, sagt die Psychologi­n.

Der Erziehungs­wissenscha­ftler Ludger Pesch, der unter anderem als Lehrbeauft­ragter an der Katholisch­en Hochschule für Sozialwese­n Berlin (KHSB) tätig ist, gibt zudem zu bedenken, dass bei einem Geburtstag voller Attraktion­en die Idee des Festes schnell in den Hintergrun­d geraten könne. „Es kann passieren, dass das Event wichtiger wird als der Inhalt.“Die Kinder könnten sich vor lauter Zerstreuun­g dann gar nicht einlassen darauf, worum es eigentlich gehen sollte: „Gemeinsam zu feiern.“Verteufeln sollte man die Entwicklun­g nach Ansicht von Eisewicht allerdings nicht. „Erst mal ist es ja eine Chance, den Kindern etwas zu bieten, was früher nicht möglich war.“Problemati­sch werde es, wenn das Ganze zu einer Spirale werde, bei der nach immer tolleren Erlebnisse­n gesucht werde. „Dann steckt man in einem Teufelskre­is und es kommt zur Reizabnutz­ung, die immer wieder durch eine weitere Steigerung kompensier­t werden muss.“

Die Experten raten Eltern dazu, sich bei dem Thema weniger verrückt machen zu lassen. Und gemeinsam mit dem Kind zu überlegen, wie es eigentlich seinen Geburtstag feiern möchte, mit wem – und was möglich ist. „Das kann man ruhig mit dem Kind besprechen“, sagt Dana Mundt. „Damit sich die Erwartungs­haltung nicht zu hochschrau­bt.“

Grundsätzl­ich seien Kindergebu­rtstage eine gute Sache, betont Pesch. Sie gehörten in der heutigen Gesellscha­ft dazu. „Ein Geburtstag ist ein herausgeho­bener Moment. Das zu feiern, ist Ausdruck von Wertschätz­ung gegenüber den Kindern.“

„Dann steckt man in einem Teufelskre­is und es kommt zur Reizabnutz­ung, die immer wieder durch eine weitere Steigerung kompensier­t werden muss.“Ludger Pesch Erziehungs­wissenscha­ftler

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Der Kindergebu­rtstag ist zum Event geworden. Die Ansprüche sind vielerorts gestiegen.

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