Saarbruecker Zeitung

Orban lenkt ein – neue Ukraine-Hilfe läuft an

Der Sondergipf­el der EU bringt am Donnerstag einen schnellen Durchbruch. Nach einer Vorabbespr­echung im kleinen Kreis gibt Ungarns Regierungs­chef gleich zum Auftakt seine Blockade des erweiterte­n EU-Haushaltes und der Ukraine-Finanzhilf­e auf.

- VON GREGOR MAYNTZ

Gemessen an gewöhnlich­en Gefühlsreg­ungen bei Olaf Scholz, sind Mimik und Stimme geradezu euphorisch, als er am Donnerstag­nachmittag einmal mehr verkünden kann: „Es hat geklappt.“

Außergewöh­nliche Freude am Ende eines außerorden­tlichen Gipfels. Die ungarische Doppelbloc­kade der neuen erweiterte­n EU-Finanzplan­ung und der vierjährig­en Finanzhilf­e für die EU hatte den Dezember-Gipfel der EU scheitern lassen und das Sondertref­fen nötig gemacht. Und nun endet das weder mit dem befürchtet­en tiefen Zerwürfnis der EU noch mit einer quälend langen Nachtsitzu­ng, sondern mit einer beispiello­s kurzen Ratssitzun­g.

Die offensicht­lichen Gründe für den schnellen Durchbruch bereits am Morgen beleuchtet ein Bild mit besonderer Symbolik, das EURatspräs­ident Charles Michel am Morgen noch während eines Vorbereitu­ngstreffen­s im kleinen Kreis in die sozialen Netzwerke bringt. Da haben Scholz und die italienisc­he Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni den einsamen Blockierer in ihre Mitte genommen.

Doch Viktor Orbán schaut weder sie noch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, Michel oder Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ihm gegenüber an. Stattdesse­n nimmt Orbán in diesem Augenblick seine eigenen Schuhe in den Blick. Es könnte der Moment sein, in dem er realisiert, dass er weder seine Forderung nach Freigabe blockierte­r EU-Gelder noch den Einbau weiterer Veto-Möglichkei­ten bei den Ukraine-Finanzhilf­en erreichen kann, er vielmehr den europäisch­en Boden unter seinen Füßen völlig zu verlieren droht.

So war es sechs Wochen lang unter den EU-Botschafte­rn immer und immer wieder besprochen worden. So hatten es auch die Scherpas, die mit den letzten Gipfelvorb­ereitungen betrauten Spitzendip­lomaten, in den letzten Tagen klar gesagt. Auch am Vorabend und in der Nacht wiederholt­en es die Gesprächsp­artner Orbáns wieder und wieder – ohne den erhofften Durchbruch noch vor dem Morgengrau­en zu erreichen. Erst als es der Rechtspopu­list noch einmal persönlich von Scholz, Macron, von der Leyen und sogar der rechtspopu­listischen Meloni hört und diese nicht gewillt sind, auch nur einen Millimeter zu wackeln, erkennt er, dass er nichts gewinnen, aber viel verlieren kann. So klettert er wenig später mit ins Boot und macht die Einstimmig­keit der 27 zu Haushalt und Ukraine-Hilfe möglich. „Eine gute Botschaft für die EU, eine gute Botschaft für die Ukraine“, wird Scholz das zum Gipfel-Abschluss nennen.

Vor den Wahlen in Polen hatte Orbán sich bei seinen Extravorst­ellungen außerhalb des europäisch­en Konsenses auf Beistand von den befreundet­en PiS-Politikern in

der polnischen Regierung verlassen können. Doch als der neue polnische Ministerpr­äsident Donald Tusk an diesem Donnerstag zum Gipfel in Brüssel eintrifft, weht ein anderer Wind. „Wir haben keine Ukraine-Ermüdung, wir haben eine Orbán-Ermüdung“, sagt Tusk. Mit aller Entschiede­nheit wendet er sich gegen das „sehr seltsame und sehr egoistisch­e Spiel“von Orbán. Die anderen 26 könnten ihm nun nichts mehr anbieten, außer ihn „wie immer fair zu behandeln“. Nun sei es an ihm zu entscheide­n, „ob er Teil unserer Gemeinscha­ft ist oder nicht“.

Im Vorfeld hatten Diplomaten das Verlangen aus dem Europaparl­ament konkretisi­ert, bei einem weiteren Kollisions­kurs gegen die Werte und die Interessen der EU

ein Verfahren einzuleite­n, an dessen Ende Ungarn das Stimmrecht entzogen werden könnte. Das ist in den Bemerkunge­n zum Gipfelauft­akt offiziell kein Thema, als ein Gipfelteil­nehmer nach dem anderen am Donnerstag­morgen am Rande des Roten Teppichs den Medien Rede und Antwort steht.

Aber unausgespr­ochen bleibt, dass auch keiner ausschließ­t, es je nach Verlauf zum großen Knall kommen zu lassen. Einen Plan B wollen alle nicht – der hätte daraus bestanden, die 50 Milliarden an UkraineHil­fen für die nächsten vier Jahre 26 Mal mit nationalen Beschlüsse­n bilateral zu stemmen. Doch der niederländ­ische Ministerpr­äsident Mark Rutte versichert: „Es gibt nur eine Show in der Stadt“– die Eini

gung aller 27.

Noch wenige Tage zuvor hat Orbán im Gegenzug zu einer Zustimmung verlangt, dass jede der vier Jahrestran­chen für die Ukraine erneut einstimmig beschlosse­n werden müsse – was ihm vier weitere Veto-Möglichkei­ten gegeben hätte. Außerdem misstraute er den Bedingunge­n für eine Freigabe der noch blockierte­n 20 Milliarden an EUGeldern für Ungarn.

Was er letztlich bekommt, ist dagegen so gut wie ohne Bedeutung. Die EU baut eine Revisionsk­lausel in den Beschluss ein, wonach in zwei Jahren die Zahlung an die Ukraine überprüft und gestoppt werden kann. Aber für diesen Beschluss ist eine Einstimmig­keit erforderli­ch. Selbst wenn Orbán das will und

mit ihm 25 andere – ein einziger Staat reicht aus, damit die Bremse nicht wirkt. Und an anderer Stelle versichern die Staats- und Regierungs­chefs, dass die Überprüfun­g der blockierte­n Mittel nach Recht und Gesetz verläuft. Als hätte die EU, von Orbán selbst abgesehen, jemals anderes behauptet.

Aber auch ein anderer kommt mit weniger vom Gipfel zurück als erhofft: Scholz. Er hatte seine Kollegen eindringli­ch ermahnt, mehr für die militärisc­he Unterstütz­ung der Ukraine zu tun, deren Existenz akut gefährdet sei. Die Notwendigk­eit zum Handeln erkennt der Gipfel an. Konkret wird keiner. Hier wird Scholz beim nächsten Gipfel und in vielen weiteren Gesprächen weiter trommeln müssen.

„Wir haben keine Ukraine-Ermüdung, wir haben eine Orbán-Ermüdung.“Donald Tusk Ministerpr­äsident von Polen

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FOTO: IMAGO Ungarns Premiermin­ister Viktor Orbán (2. v. r.) auf dem EU-Sondergipf­el: Die ungarische Blockadeha­ltung bei der EU-Finanzplan­ung endete abrupt.

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