Brexit kostet die Briten mehr als bloßes Geld
Grenzkontrollen, die nach dem Austritt aus der EU immer wieder verschoben wurden, nun aber in Kraft treten, werden britische Verbraucher und Unternehmen Millionen kosten. Und auch insgesamt kommt der Brexit vier Jahre danach die Insulaner teuer zu stehen.
Am Valentinstag drücken auch Britinnen und Briten ihre Zuneigung zum Partner gerne mit einer oder mehreren Blumen aus. Das Problem: Sträuße und Bouquets werden auf der Insel nicht nur teurer, sie könnten vorübergehend sogar zur Mangelware werden. Schuld daran ist der Brexit, der in Großbritannien entgegen den Versprechungen des konservativen Ex-Premiers Boris Johnson noch lange nicht vom Tisch ist. Stattdessen hadern viele Inselbewohner am vierten Jahrestag mit dem Austritt aus der EU. Schließlich dürfte der Schritt die Briten noch viele Millionen Euro kosten, wie neue Studien zeigen.
Ein Grund: Die Grenzkontrollen auf Waren aus der EU, die nach dem Austritt aus der Europäischen Union immer wieder verschoben wurden, sollen nun im Frühjahr in Kraft treten. Damit kommen nicht nur hohe Kosten auf britische Verbraucher und Unternehmen zu, es drohen auch Engpässe bei vom Kontinent importierten Lebensmitteln und frischen Blumen. Das trifft die Briten hart. Schließlich kommen Gemüseund Obst ganz überwiegend aus der EU und Blumen und Pflanzen aus den Niederlanden auf die Insel.
Die neuen Regeln sollen die Biosicherheit gewährleisten. Bestimmte pflanzliche und tierische Produkte wie Schnittblumen, Käse und andere Milchprodukte, gekühltes und gefrorenes Fleisch sowie Fisch aus der EU müssen deshalb künftig kontrolliert werden. Seit dieser Woche muss jeder Ware mit mittlerem und hohem Risiko ein Gesundheitszeugnis beiliegen, das bei tierischen Produkten von einem örtlichen Tierarzt ausgestellt wurde. Ab dem 30. April 2024 sollen die Sendungen an der Grenze überdies einer Warenkontrolle unterzogen werden.
Die britische Regierung schätzt die Mehrkosten, die Unternehmen dadurch entstehen, auf 330 Millionen Pfund (umgerechnet mehr als 380 Millionen Euro) pro Jahr. „Es wird erwartet, dass Unternehmen und Händler diese Kosten an die Verbraucher auf der Insel weitergeben, was unter anderem zu höheren Lebensmittelpreisen führen wird“, so die Experten Joël Reland und Peter Jurkovic von der Denkfabrik „UK in a changing Europe“. Die Einführung der Grenzkontrollen für Importe aus der EU war zuvor fünfmal von London verschoben worden, zuletzt im
August 2023. Laut Reland und Jurkovic wollte Westminster den Unternehmen mehr Zeit zur Vorbereitung geben, auch wurde die Pandemie als Grund genannt. Doch der Druck auf die Regierung wuchs, auch aufgrund von Forderungen der Welthandelsorganisation.
Europäische Händler beschreiben die Maßnahmen nun als eine Zeitreise in die Vergangenheit. „Sie wollen Gesundheitskontrollen, die wir seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr durchgeführt haben“, sagt Nick van Bommel vom niederländischen Blumengroßhändler Heems
kerk. „Das wird niemandem helfen, aber es wird viel Geld kosten.” Freddie Heathcote, Geschäftsführer des Londoner Blumenhändlers Green & Bloom, rechnet damit, dass die Preise seiner Waren bis zu 50 Prozent steigen könnten.
Aber auch insgesamt kommt der Brexit die Briten teuer zu stehen. Ökonomen von Cambridge Econometrics haben im Auftrag des Londoner Bürgermeisters Sadiq Khan berechnet, wie sich die Wirtschaft entwickelt hätte, wenn Großbritannien in der EU geblieben wäre. „Unsere Studie zeigt, dass die Londoner Wirtschaft ohne den Brexit schneller gewachsen wäre“, sagt die Wirtschaftsexpertin Shyamoli Patel. Außerdem werde der EU-Austritt auch mittelfristig negative Auswirkungen haben.
Den Ökonomen zufolge werde die Bruttowertschöpfung (BWS) im Jahr 2035 auf der Insel niedriger ausfallen, als dies ohne den Brexit der Fall gewesen wäre. Die BWS gibt den Wert der produzierten Güter und
„Unsere Studie zeigt, dass die Londoner Wirtschaft ohne den Brexit schneller gewachsen wäre.“Shyamoli Patel Wirtschaftsexpertin
Dienstleistungen abzüglich der Produktionskosten an. Im Vergleich zu einem rechnerischen Szenario ohne den EU-Austritt gebe es laut Cambridge Econometrics im Jahr 2035 überdies vermutlich drei Millionen weniger Arbeitsplätze, 32 Prozent geringere Investitionen, fünf Prozent weniger Exporte und 16 Prozent weniger Importe.
Auf die Mehrkosten von 330 Millionen Pfund angesprochen, die nun jährlich allein durch die Grenzkontrollen entstehen werden, sagte die konservative Abgeordnete Andrea Leadsom am Mittwoch: „Die Unternehmen wussten zum Zeitpunkt des Brexit, dass es zusätzliche Kontrollen geben würde, wenn wir den europäischen Binnenmarkt verlassen, weil wir per Definition nicht mehr Teil dieses Binnenmarktes sind. Das ist keine Überraschung.” Für viele Verbraucher und Firmen ist das wohl ein schwacher Trost.