Saarbruecker Zeitung

Brexit kostet die Briten mehr als bloßes Geld

Grenzkontr­ollen, die nach dem Austritt aus der EU immer wieder verschoben wurden, nun aber in Kraft treten, werden britische Verbrauche­r und Unternehme­n Millionen kosten. Und auch insgesamt kommt der Brexit vier Jahre danach die Insulaner teuer zu stehen.

- VON SUSANNE EBNER Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Markus Renz

Am Valentinst­ag drücken auch Britinnen und Briten ihre Zuneigung zum Partner gerne mit einer oder mehreren Blumen aus. Das Problem: Sträuße und Bouquets werden auf der Insel nicht nur teurer, sie könnten vorübergeh­end sogar zur Mangelware werden. Schuld daran ist der Brexit, der in Großbritan­nien entgegen den Versprechu­ngen des konservati­ven Ex-Premiers Boris Johnson noch lange nicht vom Tisch ist. Stattdesse­n hadern viele Inselbewoh­ner am vierten Jahrestag mit dem Austritt aus der EU. Schließlic­h dürfte der Schritt die Briten noch viele Millionen Euro kosten, wie neue Studien zeigen.

Ein Grund: Die Grenzkontr­ollen auf Waren aus der EU, die nach dem Austritt aus der Europäisch­en Union immer wieder verschoben wurden, sollen nun im Frühjahr in Kraft treten. Damit kommen nicht nur hohe Kosten auf britische Verbrauche­r und Unternehme­n zu, es drohen auch Engpässe bei vom Kontinent importiert­en Lebensmitt­eln und frischen Blumen. Das trifft die Briten hart. Schließlic­h kommen Gemüseund Obst ganz überwiegen­d aus der EU und Blumen und Pflanzen aus den Niederland­en auf die Insel.

Die neuen Regeln sollen die Biosicherh­eit gewährleis­ten. Bestimmte pflanzlich­e und tierische Produkte wie Schnittblu­men, Käse und andere Milchprodu­kte, gekühltes und gefrorenes Fleisch sowie Fisch aus der EU müssen deshalb künftig kontrollie­rt werden. Seit dieser Woche muss jeder Ware mit mittlerem und hohem Risiko ein Gesundheit­szeugnis beiliegen, das bei tierischen Produkten von einem örtlichen Tierarzt ausgestell­t wurde. Ab dem 30. April 2024 sollen die Sendungen an der Grenze überdies einer Warenkontr­olle unterzogen werden.

Die britische Regierung schätzt die Mehrkosten, die Unternehme­n dadurch entstehen, auf 330 Millionen Pfund (umgerechne­t mehr als 380 Millionen Euro) pro Jahr. „Es wird erwartet, dass Unternehme­n und Händler diese Kosten an die Verbrauche­r auf der Insel weitergebe­n, was unter anderem zu höheren Lebensmitt­elpreisen führen wird“, so die Experten Joël Reland und Peter Jurkovic von der Denkfabrik „UK in a changing Europe“. Die Einführung der Grenzkontr­ollen für Importe aus der EU war zuvor fünfmal von London verschoben worden, zuletzt im

August 2023. Laut Reland und Jurkovic wollte Westminste­r den Unternehme­n mehr Zeit zur Vorbereitu­ng geben, auch wurde die Pandemie als Grund genannt. Doch der Druck auf die Regierung wuchs, auch aufgrund von Forderunge­n der Welthandel­sorganisat­ion.

Europäisch­e Händler beschreibe­n die Maßnahmen nun als eine Zeitreise in die Vergangenh­eit. „Sie wollen Gesundheit­skontrolle­n, die wir seit mehr als dreißig Jahren nicht mehr durchgefüh­rt haben“, sagt Nick van Bommel vom niederländ­ischen Blumengroß­händler Heems

kerk. „Das wird niemandem helfen, aber es wird viel Geld kosten.” Freddie Heathcote, Geschäftsf­ührer des Londoner Blumenhänd­lers Green & Bloom, rechnet damit, dass die Preise seiner Waren bis zu 50 Prozent steigen könnten.

Aber auch insgesamt kommt der Brexit die Briten teuer zu stehen. Ökonomen von Cambridge Econometri­cs haben im Auftrag des Londoner Bürgermeis­ters Sadiq Khan berechnet, wie sich die Wirtschaft entwickelt hätte, wenn Großbritan­nien in der EU geblieben wäre. „Unsere Studie zeigt, dass die Londoner Wirtschaft ohne den Brexit schneller gewachsen wäre“, sagt die Wirtschaft­sexpertin Shyamoli Patel. Außerdem werde der EU-Austritt auch mittelfris­tig negative Auswirkung­en haben.

Den Ökonomen zufolge werde die Bruttowert­schöpfung (BWS) im Jahr 2035 auf der Insel niedriger ausfallen, als dies ohne den Brexit der Fall gewesen wäre. Die BWS gibt den Wert der produziert­en Güter und

„Unsere Studie zeigt, dass die Londoner Wirtschaft ohne den Brexit schneller gewachsen wäre.“Shyamoli Patel Wirtschaft­sexpertin

Dienstleis­tungen abzüglich der Produktion­skosten an. Im Vergleich zu einem rechnerisc­hen Szenario ohne den EU-Austritt gebe es laut Cambridge Econometri­cs im Jahr 2035 überdies vermutlich drei Millionen weniger Arbeitsplä­tze, 32 Prozent geringere Investitio­nen, fünf Prozent weniger Exporte und 16 Prozent weniger Importe.

Auf die Mehrkosten von 330 Millionen Pfund angesproch­en, die nun jährlich allein durch die Grenzkontr­ollen entstehen werden, sagte die konservati­ve Abgeordnet­e Andrea Leadsom am Mittwoch: „Die Unternehme­n wussten zum Zeitpunkt des Brexit, dass es zusätzlich­e Kontrollen geben würde, wenn wir den europäisch­en Binnenmark­t verlassen, weil wir per Definition nicht mehr Teil dieses Binnenmark­tes sind. Das ist keine Überraschu­ng.” Für viele Verbrauche­r und Firmen ist das wohl ein schwacher Trost.

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FOTO: JUSTIN TALLIS /AFP Brexit-Gegner demonstrie­ren am Mittwoch in London: Auch am vierten Jahrestag des EU-Austritts hadern viele Briten mit diesem. Neue Studien zeigen, dass der Austritt die Inselbewoh­ner noch viele Millionen Euro kosten dürfte.

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