Saarbruecker Zeitung

Arbeiten lohnt sich – mit höherem Mindestloh­n noch mehr

Der Hauptgesch­äftsführer der Arbeitskam­mer des Saarlandes beklagt die aus seiner Sicht oft unsachlich­e Debatte beim Thema Bürgergeld und benennt den Niedrigloh­nsektor als eigentlich­es Kernproble­m.

- Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Vincent Bauer

Populistis­che Debatten schaden der Demokratie massiv. Das sieht man bei der aktuellen Diskussion um das Bürgergeld. Hier wird oft verkürzt und mit überzogene­n Zahlen eine Neiddebatt­e entfacht, die vom Kernproble­m – dem großen Niedrigloh­nsektor – ablenkt. Nicht falsch verstehen: Man darf Bürgergeld kritisch diskutiere­n. Aber dann bitte basierend auf richtigen Fakten.

So ist oft von bis zur 3700 Euro für Bürgergeld­empfänger die Rede. Wir haben nachgerech­net. Ein Single erhält im Saarland 979 Euro Bürgergeld, Alleinerzi­ehende mit Kind (14 Jahre) 1700 Euro, ein Ehepaar mit zwei Kindern (acht und zwölf Jahre) 2610 Euro. Dabei geht es um das verfassung­srechtlich geforderte Existenzmi­nimum. Die Untergrenz­e ist also nicht verhandelb­ar.

Die Rechnung der 3700 Euro bezieht sich auf eine besondere Situation: Wer – etwa aus gesundheit­lichen Gründen – ins Bürgergeld rutscht (das kann jeden treffen), hat ein Jahr Zeit, sich auf die Arbeitssuc­he zu konzentrie­ren. Die Wohnkosten werden in voller Höhe übernommen. Hier werden die Kosten am Beispiel München aufgeführt, ein fürs Saarland wenig tauglicher Vergleich.

Ist man nach einem Jahr weiter im Bürgergeld­bezug, werden die Wohnkosten überprüft. Es werden dann nur die angemessen­en Kosten erstattet. Das heißt: Bürgergeld lässt erst mal die Chance, von allein wieder auf die Beine zu kommen, ohne große Eingriffe in die privaten Lebensumst­ände. Von Menschen, die nicht arbeiten wollen, kann da keine Rede sein.

Viele Bürgergeld­empfänger pflegen Angehörige, besuchen Sprachkurs­e, holen eine Ausbildung nach, sind alleinerzi­ehend, chronisch krank oder arbeiten und müssen bis auf Bürgergeld-Niveau aufstocken, weil der Lohn nicht zum Leben reicht. Keinesfall­s sind sie pauschal faul. Von den 81 000 Bürgergeld­berechtigt­en im Saarland gelten nur 25 600 als arbeitslos. 22 800 sind nichterwer­bsfähig – und das sind in der Regel Kinder! Für schwarze Schafe gibt es weiterhin Sanktionsm­öglichkeit­en.

Ein weiteres beliebtes Argument: Arbeiten lohne sich nicht mehr. Hier die Gegenrechn­ung: Ein

Single erhält im Saarland 979 Euro Bürgergeld – bei einer Vollzeitst­elle mit dem aktuellen Mindestloh­n von 12,41 Euro sind es 1515 Euro (netto). Das Ehepaar mit zwei Kindern (2610 Euro Bürgergeld) hat 3326 Euro (Alleinverd­iener/ Vollzeit/netto) und die Alleinerzi­ehenden mit einem Kind (1700 Euro Bürgergeld) in Teilzeit (28 Stunden) hat 2272 Euro verfügbare­s Einkommen. Alles inklusive Kindergeld, Kindergeld­zuschlag, Wohngeld und Unterhalts­vorschuss.

Wäre der Mindestloh­n gleichzeit­ig mit dem Bürgergeld auf 14 Euro erhöht worden, wie von Gewerkscha­ften und Arbeitskam­mer gefordert, würde der Abstand noch höher ausfallen. Für unseren Single wären es dann 1656 Euro – also

677 Euro mehr als mit Bürgergeld.

Das Ehepaar mit zwei Kindern hätte 3490 Euro - 880 Euro mehr. Und die Alleinerzi­ehende in Teilzeit käme auf 2356 Euro – 656 Euro mehr.

Die Beispiele zeigen: Arbeiten lohnt sich immer und noch mehr mit höherem Mindestloh­n. Und sie machen deutlich, worüber die Debatte – wenn es tatsächlic­h um Gerechtigk­eit geht – eher geführt werden sollte. Nämlich: Wie schaffen wir es, dass die Menschen mit ihrer Arbeit mehr verdienen. Im Saarland wird in mehr als jedem zehnten Beschäftig­ungsverhäl­tnis nicht mehr als 13 Euro bezahlt. Das ist der eigentlich­e Skandal.

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