Saarbruecker Zeitung

Die Rastlose mit dem schallende­n Lachen

Täglich pendelt Edwidge Youmbi Nzetchouan­g zwischen Kita, Hochschule und Büro. Nun hat sie als ausländisc­he Studentin den Preis für hervorrage­nde Leistungen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) bekommen.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

Direkt in ihrer ersten Woche an der Saarbrücke­r Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) fiel Edwidge Youmbi Nzetchouan­g auf. Die Mathe-Vorlesung hatte vor einer guten Viertelstu­nde angefangen und während die anderen Studenten sich zum Mitschreib­en hingesetzt hatten, stand sie da und balanciert­e von einem Bein aufs andere. Auf Nachfrage der irritierte­n Professori­n, ob sie sich nicht wie alle anderen setzen wolle, zeigte Youmbi auf ihren Rücken. Dort schlief ihr zweijährig­er Sohn friedlich in der Trage. „Er hatte an dem Tag leichten Schnupfen und konnte nicht in die Kita, also musste ich ihn mitnehmen“, erinnert sie sich. „Hätte ich mich hingesetzt, wäre er aufgewacht, und dann wär's das gewesen mit der Ruhe – für alle“, sagt sie und bricht in ein schallende­s Lachen aus.

Immer flexibel zu reagieren, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren: Dieses Motto zieht sich durch Youmbis Leben wie ein roter Faden. Bevor sie 2010 nach Deutschlan­d kam, hatte sie in ihrer Heimat Kamerun ein Linguistik-Studium abgeschlos­sen. Doch das war ihr nicht genug, sie wollte was anderes sehen, neue Erfahrunge­n machen und entschied sich, nach Deutschlan­d auszuwande­rn. Die Fundamente der deutschen Sprache hatte sie schon in der Schule und als Nebenfach an der Uni gelernt und am örtlichen Goethe-Institut weiter vertieft. Visum beantragen, Sprachprüf­ungen ablegen, bisherige Abschlüsse anerkennen lassen: Der Start war sehr bürokratis­ch, doch Edwidge Youmbi war hoch motiviert. An der Universitä­t des Saarlandes studierte sie „Translatio­n science and technology“(Dt.: Übersertzu­ngswissens­chaft). „Es war nicht immer einfach, aber es war sehr interessan­t, deshalb bin ich dran geblieben“, sagt sie. Youmbi ist ehrgeizig, doch es geht ihr nicht darum, besser oder schneller als die anderen zu sein, sondern ein gutes Ergebnis zu erzielen. „Ich musste akzeptiere­n, dass ich oft mehr Zeit gebraucht habe als andere Studenten, um die Aufgaben zu erledigen. Doch im Endeffekt geht es nicht darum, als Erste fertig zu sein, sondern die Aufgaben gut gemeistert zu haben“, sagt sie. Nach ihrem MasterAbsc­hluss nahm sie einen Job bei einer IT-Firma an, merkte aber schnell, dass die Arbeit ihr nur bedingt Spaß machte. „Die Tätigkeite­n haben sich wiederholt, ich lernte nichts Neues dazu, obwohl genau das ist, was mich antreibt“, erzählt sie. Die Entscheidu­ng für einen Kurswechse­l kam, als sie mit ihrem ersten Kind schwanger wurde. „Da fragte ich mich, was willst du als Nächstes erreichen, was ist dein nächstes Ziel, was möchtest du Neues lernen“, sagt sie und kam schnell auf die Antwort: Betriebswi­rtschaftsl­ehre. Sie liebe Mathematik, die Genauigkei­t, und zugleich zu sehen, wie Kalkulatio

„Mein Tag hat nicht mehr Stunden als bei anderen. Nur beginnt er oft um 4 Uhr.“Edwidge Youmbi Nzetchouan­g

nen im unternehme­rischen Alltag umgesetzt werden können.

Gearbeitet hat Edwidge Youmbi, die in Dudweiler wohnt, von Beginn ihres Studiums an. 20 Stunden pro Woche als Werkstuden­tin, zuerst in einem Reisebüro, zurzeit beim Forschungs­zentrum Zema. „Ich hatte wirklich Glück, denn meine Arbeitgebe­r haben immer zu mir gesagt, dass das Studium vorgeht. Ich wurde von ihrer Seite immer unterstütz­t“, berichtet sie. Mittlerwei­le studiert die 34-Jährige an der HTW im fünften Semester „Internatio­nal Business“, ist zweifache Mutter und bekam im vergangene­n Herbst den Preis des Deutschen Akademi

schen Austauschd­ienstes (DAAD) verliehen, mit dem ausländisc­he Studenten für hervorrage­nde Leistungen ausgezeich­net werden.

Arbeit, Studium, Kinder: Wie bringt man das alles unter einen Hut – vor allem, wenn man wie in Youmbis Fall keine Oma, Onkel oder Schwester hat, die im Notfall einspringe­n können? „Mein Tag hat nicht mehr Stunden als bei anderen. Nur beginnt er oft um 4 Uhr“, sagt sie und lacht wieder herzhaft. Trotz des hektischen Alltags macht sie einen gelassenen Eindruck. Wird ihr das nie zu viel, ist der Druck manchmal nicht zu hoch? „Nein. Denn wenn es nicht klappt, ist es

auch okay. Aber ich möchte alles gegeben haben, um meine Ziele zu erreichen“, sagt sie. Außerdem habe sie Rückendeck­ung. „Mein Lebensgefä­hrte ist eine große Hilfe und unterstütz­t mich, wo er nur kann, obwohl er Vollzeit arbeitet. Wenn ich zum Beispiel eine Klausurwoc­he habe, nimmt er Urlaubstag­e, damit er sich komplett um die Kinder kümmern kann“, betont sie. Auch die HTW habe ihr bei Fragen der Kinderbetr­euung zur Seite gestanden und pragmatisc­he Lösungen angeboten – etwas bei Schließtag­en der Kita.

Was sie an Unterstütz­ung in Saarbrücke­n bekommt, gibt sie auch zurück – in einer anderen Form und an einem anderen Ort. Jeden Monat spart sie Geld, das sie an den gemeinnütz­igen Verein „Smile 4 all Cameroon“spendet. Gegründet wurde er von ihrem Bruder, der Arzt ist. Mit dem Geld werden zum Beispiel medizinisc­he Untersuchu­ngen kostenlos in Dörfern angeboten, in denen es keine Arztpraxen gibt.

Wenn es weiterhin gut läuft, hat Edwidge Youmbi bald ihren MasterAbsc­hluss in der Tasche. Ob sie sich dann an die Ziellinie angekommen sieht? „Ich weiß nicht ganz“, sagt sie und überlegt kurz. „Ich glaube, ich würde noch gerne eine Doktorarbe­it schreiben“. Ab zum nächsten Ziel.

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? 2010 kam Edwidge Youmbi Nzetchouan­g aus Kamerun nach Deutschlan­d. Bald hat sie ihren Master-Abschluss in der Tasche.
FOTO: IRIS MAURER 2010 kam Edwidge Youmbi Nzetchouan­g aus Kamerun nach Deutschlan­d. Bald hat sie ihren Master-Abschluss in der Tasche.

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