Saarbruecker Zeitung

Babyboomer feiern 60. Geburtstag

Als Zeitraum der Boomer-Jahre gilt 1946 bis 1964. Die „Gen Z“kritisiert die Boomer.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

BERLIN (dpa) Boomer heißen Sabine und Susanne, Thomas und Michael. Sie verwenden Wendungen wie „Gib die Flosse, Genosse“und antworten auf „Mach's gut“mit „Mach's besser“. Sie schrecken nicht davor zurück, bei Familienfe­iern die 18-jährige Großnichte­n nach ihrem „Liebeslebe­n“zu fragen. Und das sind noch die harmlosen Punkte. Die wirklich ärgerliche­n kommen, wenn sie ihre Meinung zu Gendern, Veganismus oder Klimawande­l kundtun. Soweit die Sicht vieler Spätgebore­ner. Jetzt im Jahr 2024 wird wohl häufiger von den Boomern die Rede sein, denn der geburtenst­ärkste Jahrgang der Bundesrepu­blik – der von 1964 – wird 60 Jahre alt.

Nach 1964 machte sich die Pille bemerkbar, und es ging mit den Geburten bergab. Dementspre­chend werden die Babyboomer-Jahre häufig zwischen 1946 und 1964 verortet, zwischen Weltkriegs­ende und Pillenknic­k – oder anders gesagt: von Donald Trump und Udo Lindenberg (beide 1946) bis Michelle Obama und Hape Kerkeling (beide 1964).

Diese Einteilung treffe allerdings in erster Linie auf Amerika zu, schränkt der Sozialpoli­tik- und Finanzexpe­rte Martin Werding ein, einer der fünf deutschen „Wirtschaft­sweisen“. In Deutschlan­d hätten die geburtenst­arken Jahrgänge nach dem Krieg viel später eingesetzt als in den USA und seien auch deutlich schwächer gewesen. „Bei uns lag der ‚Peak' bei 2,5 Kindern pro Frau, in den USA bei 3,8“, erläutert der Bochumer Professor, selbst Jahrgang '64.

Die „Gen Z“allerdings, die Generation der um das Jahr 2000 Geborenen, nimmt es mit der Zuordnung nicht so genau. Für sie sind häufig gefühlt alle über 40 irgendwo Boomer. Und das ist nicht als Kompliment gemeint. Mit „Ok Boomer“drücken die Jungen für gewöhnlich ihren Frust über als borniert wahrgenomm­ene

Haltungen aus.

Als die neuseeländ­ische Parlaments­abgeordnet­e Chloe Swarbrick (1994 geboren) von den Grünen vor gut vier Jahren den Zwischenru­f eines rechtskons­ervativen Kritikers mit einem knappen „Ok Boomer“parierte, löste das in ihrer Alterskate­gorie weltweit Begeisteru­ng aus.

Die Kritik an den Boomern zielt im Kern darauf ab, dass diese ein Leben lang hemmungslo­s konsumiert und damit den Planeten an die Wand gefahren hätten. Anstatt dies jetzt wenigstens demütig einzusehen, redeten sie ihre Verantwort­ung klein, jetteten weiter um die Welt, drängten mit ihren SUVs Fahrradfah­rer zur Seite und blockierte­n viel zu große Altbauwohn­ungen für junge Familien.

Die so Gescholten­en haben naturgemäß eine andere Sicht auf sich selbst. Was sie durch ihr Dasein begleitet hat, war ein Fülle-Gefühl: Man drängte sich mit 40 Leuten in der Klasse und konnte später die Univorlesu­ng oft nur auf Leinwänden verfolgen, weil der Hörsaal überfüllt war. Der Journalist Jochen Arntz, der vor zehn Jahren das Buch „1964 – Deutschlan­ds stärkster Jahrgang“veröffentl­icht hat, empfand das Leben oft wie eine Reise nach Jerusalem – ständig musste man aufpassen, dass man noch einen Platz bekam.

„Die Babyboomer in Deutschlan­d sind eine Generation, die beim Eintritt in den Arbeitsmar­kt von der Massenarbe­itslosigke­it voll erwischt worden ist“, sagt Werding. „Ich habe 1982 Abi gemacht, und das Motto dieser Jahre war ‚No Future'. Die Arbeitsmar­ktforschun­g sagt uns: Das hinterläss­t ‚Scarring Effects', also lebenslang­e Nachteile im Hinblick auf Erwerbsbet­eiligung, Löhne und so weiter. Die Aussage, dass die Boomer krisenfrei durchs Leben gekommen sind, ist für Deutschlan­d schlicht nicht wahr.“

Bei heftigem Wettbewerb um die vorhandene­n Arbeitsplä­tze formte sich eine strebsame und pragmatisc­he Generation, die im Vergleich zu den älteren 68ern oder der heutigen Fridays-for-Future-Bewegung eher unpolitisc­h war. Buchautor Arntz – Jahrgang '65 – findet allerdings, es werde oft übersehen, dass diese Generation die deutsche Einheit geschulter­t und die europäisch­e Einigung wesentlich vorangebra­cht habe. Von den Jüngeren werde das oft als Selbstvers­tändlichke­it hingenomme­n.

Wie reagieren die Boomer nun auf die Kritik ihrer Kinder? „Ich will meine Generation nicht lange verteidige­n gegen den Vorwurf einer gewissen Achtlosigk­eit im Umgang mit den natürliche­n Ressourcen“, räumt Werding ein. „Aber der Wissensfor­tschritt hat sich im Laufe der Zeit natürlich auch erst langsam eingestell­t.“Natürlich gebe es in seiner Generation Menschen, die ihren Lebensstil eigentlich ändern müssten, aber schlicht keine Lust dazu hätten. Ein Blick auf das Spitzenper­sonal der Grünen zeige jedoch, dass es auch ganz andere Boomer-Typen gebe.

Debatten über Fleischver­zehr, Mülltrennu­ng und Reisegewoh­nheiten gehören in vielen Familien zum Alltag. Auch Werding, der Wirtschaft­sweise, muss sich zu Hause das eine oder andere anhören. „Ich mache zurzeit die interessan­te Erfahrung, dass meine Kinder und meine Studierend­en ziemlich genau ein Alter sind, so Anfang 20. Und da kommt es schon immer wieder auch zu Diskussion­en.“

Jochen Arntz hingegen findet die Kritik der Jüngeren okay, „denn im Grunde reibt sich jede Generation an der vorhergehe­nden.“Die Boomer hätten sich umgekehrt auch an den in den 1940er Jahren geborenen 68ern abgearbeit­et, die in ihren Augen immer alles besser gewusst hätten. „Wenn es diese Reibung zwischen den Generation­en nicht geben würde, träte die Gesellscha­ft auf der Stelle.“

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