Kann die EU die Ukraine noch retten?
Die Ukraine steht militärisch vor schwersten Herausforderungen. Den ukrainischen Streitkräften gehen Waffen und Munition aus – auch weil die EU-Staaten nicht so liefern, wie versprochen.
BRÜSSEL Mit einem Kraftakt hat die EU gerade ein 50-Milliarden-Unterstützungspaket für die Ukraine auf den Weg gebracht. Doch die Vorstellung, dass sich die prekäre Lage an der Front nun bessert, geht an den Fakten vorbei.
Es handelt sich um eine reine Finanzhilfe, die den Staatsbankrott verhindern soll, überdies gesplittet auf vier Jahre mit jeweils nur rund einer Milliarde Euro monatlich, das meiste zudem in Form von Krediten. Mit Waffen und Munition hat das nichts zu tun, und hier geht die Schere auf. „Die Lage an der Front ist sehr schwierig und verschlechtert sich täglich“, berichtet die GrünenUkraine-Expertin Viola von Cramon. Die Munitionsvorräte reichten gerade noch für ein bis zwei Monate.
Schon jetzt verschießen die russischen Invasionstruppen täglich rund 10 000 Artilleriegranaten, können die ukrainischen Streitkräfte nur noch mit bis zu 2000 dagegen halten. Für eine funktionierende Verteidigung ist nach Experteneinschätzung jedoch ein solches Verhältnis nicht ausreichend. Und bald wird es sich weiter verschlechtern.
Da träfe es sich gut, wenn die EU ihr im März letzten Jahres gegebenes Versprechen halten würde, binnen eines Jahres eine Million Granaten zu liefern. Doch bis März schafft die EU nach jüngsten Angaben ihres Außenbeauftragten Josep Borrell gerade einmal die Hälfte, wovon 200 000 nur aus purer Hoffnung bestehen. Auch die schon gelieferten erfüllen längst nicht alle die nötige Standardgröße von 155 Millimetern.
Zu den Gründen gehören die Regeln für die Europäische Friedensfazilität, also gemeinsam aufgebrachten EU-Mitteln, die die Vorleistungen aus den nationalen Haushalten zumindest in Teilen kompensieren sollen. Die Fazilität ist zwar seit Beginn des russischen Angriffskrieges mehrfach auf inzwischen zwölf Milliarden aufgestockt worden. Doch auf Druck Frankreichs darf daraus nur gezahlt werden, wenn Waffen und Munition aus europäischer Produktion stammen.
Die Kapazitäten in der EU waren jedoch drastisch heruntergefahren worden, kommen jetzt erst allmählich wieder in Gang, sodass ein Ankauf in Drittstaaten dringend nötig gewesen wäre, um der Ukraine über den Mangel hinwegzuhelfen. Doch Paris stellte sich quer.
Bei den Beratungen über eine nochmalige Aufstockung des Etats um fünf Milliarden ist das jedoch nicht der einzige Streitpunkt. Deutschland müsste davon wie üblich 25 Prozent aufbringen, also 1,25 Milliarden. Doch besteht Bundeskanzler Olaf Scholz darauf, dass die sieben Milliarden, die Deutschland bilateral an Waffenhilfe allein dieses Jahr stemmen will, darauf angerechnet werden. Als das Thema am Donnerstag beim Gipfel auf dem Tisch lag, gab es keine Annäherung. Nun soll es beim nächsten Gipfel Ende März einen neuen Versuch geben.
Eine Aufstellung des Kieler Institutes für Weltwirtschaft hatte die Bundesregierung ohnehin zu einer nachhaltigen Mahnerin werden lassen. Denn danach hatte Deutschland zwar bislang öffentlich nachlesbar 17 Milliarden Militärhilfe für die Ukraine geleistet, Frankreich hingegen nur 540 Millionen. Auch andere große Staaten halten sich zurück, während die baltischen Staaten, gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, überdurchschnittliches leisten. „Leute, haltet mal ein – was da gerade von selbst geschieht, ist nicht in Ordnung“, sagte Scholz beim Gipfel in Brüssel. Und: „Wir als Europäische Union tun nicht genug.“
Bereits zum Jahresbeginn hatte er die EU aufgefordert, eine Auflistung der angekündigten Waffenhilfe zu liefern. „Ich habe keine erhalten“, stellte Scholz nun fest. Dabei hatten sich die Verteidigungsminister ebenfalls diese Woche intensiv mit einer Aufstellung beschäftigt, die Borrell nur zusammenfassend erwähnte. Waffen im Wert von 28 Milliarden hätten die EU-Staaten seit Beginn des russischen Angriffskrieges in die Ukraine gebracht, für dieses Jahr Militärhilfe im Umfang von weiteren 21 Milliarden angekündigt. Genaueres hielt Borrell zurück. Die Minister hatten bei diesem Punkt alle Mitarbeiter aus dem Saal geschickt und die geheimen Liefervorhaben nur unter sich besprochen.