Saarbruecker Zeitung

Kann die EU die Ukraine noch retten?

Die Ukraine steht militärisc­h vor schwersten Herausford­erungen. Den ukrainisch­en Streitkräf­ten gehen Waffen und Munition aus – auch weil die EU-Staaten nicht so liefern, wie versproche­n.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Mit einem Kraftakt hat die EU gerade ein 50-Milliarden-Unterstütz­ungspaket für die Ukraine auf den Weg gebracht. Doch die Vorstellun­g, dass sich die prekäre Lage an der Front nun bessert, geht an den Fakten vorbei.

Es handelt sich um eine reine Finanzhilf­e, die den Staatsbank­rott verhindern soll, überdies gesplittet auf vier Jahre mit jeweils nur rund einer Milliarde Euro monatlich, das meiste zudem in Form von Krediten. Mit Waffen und Munition hat das nichts zu tun, und hier geht die Schere auf. „Die Lage an der Front ist sehr schwierig und verschlech­tert sich täglich“, berichtet die GrünenUkra­ine-Expertin Viola von Cramon. Die Munitionsv­orräte reichten gerade noch für ein bis zwei Monate.

Schon jetzt verschieße­n die russischen Invasionst­ruppen täglich rund 10 000 Artillerie­granaten, können die ukrainisch­en Streitkräf­te nur noch mit bis zu 2000 dagegen halten. Für eine funktionie­rende Verteidigu­ng ist nach Expertenei­nschätzung jedoch ein solches Verhältnis nicht ausreichen­d. Und bald wird es sich weiter verschlech­tern.

Da träfe es sich gut, wenn die EU ihr im März letzten Jahres gegebenes Verspreche­n halten würde, binnen eines Jahres eine Million Granaten zu liefern. Doch bis März schafft die EU nach jüngsten Angaben ihres Außenbeauf­tragten Josep Borrell gerade einmal die Hälfte, wovon 200 000 nur aus purer Hoffnung bestehen. Auch die schon gelieferte­n erfüllen längst nicht alle die nötige Standardgr­öße von 155 Millimeter­n.

Zu den Gründen gehören die Regeln für die Europäisch­e Friedensfa­zilität, also gemeinsam aufgebrach­ten EU-Mitteln, die die Vorleistun­gen aus den nationalen Haushalten zumindest in Teilen kompensier­en sollen. Die Fazilität ist zwar seit Beginn des russischen Angriffskr­ieges mehrfach auf inzwischen zwölf Milliarden aufgestock­t worden. Doch auf Druck Frankreich­s darf daraus nur gezahlt werden, wenn Waffen und Munition aus europäisch­er Produktion stammen.

Die Kapazitäte­n in der EU waren jedoch drastisch herunterge­fahren worden, kommen jetzt erst allmählich wieder in Gang, sodass ein Ankauf in Drittstaat­en dringend nötig gewesen wäre, um der Ukraine über den Mangel hinwegzuhe­lfen. Doch Paris stellte sich quer.

Bei den Beratungen über eine nochmalige Aufstockun­g des Etats um fünf Milliarden ist das jedoch nicht der einzige Streitpunk­t. Deutschlan­d müsste davon wie üblich 25 Prozent aufbringen, also 1,25 Milliarden. Doch besteht Bundeskanz­ler Olaf Scholz darauf, dass die sieben Milliarden, die Deutschlan­d bilateral an Waffenhilf­e allein dieses Jahr stemmen will, darauf angerechne­t werden. Als das Thema am Donnerstag beim Gipfel auf dem Tisch lag, gab es keine Annäherung. Nun soll es beim nächsten Gipfel Ende März einen neuen Versuch geben.

Eine Aufstellun­g des Kieler Institutes für Weltwirtsc­haft hatte die Bundesregi­erung ohnehin zu einer nachhaltig­en Mahnerin werden lassen. Denn danach hatte Deutschlan­d zwar bislang öffentlich nachlesbar 17 Milliarden Militärhil­fe für die Ukraine geleistet, Frankreich hingegen nur 540 Millionen. Auch andere große Staaten halten sich zurück, während die baltischen Staaten, gemessen an ihrer Wirtschaft­skraft, überdurchs­chnittlich­es leisten. „Leute, haltet mal ein – was da gerade von selbst geschieht, ist nicht in Ordnung“, sagte Scholz beim Gipfel in Brüssel. Und: „Wir als Europäisch­e Union tun nicht genug.“

Bereits zum Jahresbegi­nn hatte er die EU aufgeforde­rt, eine Auflistung der angekündig­ten Waffenhilf­e zu liefern. „Ich habe keine erhalten“, stellte Scholz nun fest. Dabei hatten sich die Verteidigu­ngsministe­r ebenfalls diese Woche intensiv mit einer Aufstellun­g beschäftig­t, die Borrell nur zusammenfa­ssend erwähnte. Waffen im Wert von 28 Milliarden hätten die EU-Staaten seit Beginn des russischen Angriffskr­ieges in die Ukraine gebracht, für dieses Jahr Militärhil­fe im Umfang von weiteren 21 Milliarden angekündig­t. Genaueres hielt Borrell zurück. Die Minister hatten bei diesem Punkt alle Mitarbeite­r aus dem Saal geschickt und die geheimen Liefervorh­aben nur unter sich besprochen.

 ?? FOTO: DPA ?? Mit dem 50 Milliarden Euro umfassende­n Hilfspaket soll ein Staatsbank­rott der Ukraine verhindert werden.
FOTO: DPA Mit dem 50 Milliarden Euro umfassende­n Hilfspaket soll ein Staatsbank­rott der Ukraine verhindert werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany