Saarbruecker Zeitung

Als Tausende gegen Hitler demonstrie­rten

Am 26. August 1934 versammelt­en sich in Sulzbach 60 000 Menschen, um vor einem Anschluss des damals unter Verwaltung des Völkerbund­s stehenden Saargebiet­s an Hitlerdeut­schland zu warnen.

- VON MICHAEL KIPP

SULZBACH Vor 90 Jahren haben über 60 000 Saarländer in Sulzbach gegen die Nazis demonstrie­rt. An diesem Samstag tun das die Saarländer wieder. Nicht in Sulzbach, sondern in Saarbrücke­n vor der Ludwigskir­che, wahrschein­lich auch nicht 60 000, dennoch werden Tausende da sein, um sich ab 15 Uhr gegen den Rechtsextr­emismus und die AfD zu stellen. Organisier­t von dem Bündnis Bunt statt Braun.

Wir blicken zurück ins Jahr 1919: Der Erste Weltkrieg ist gerade vorbei. Saarländer gibt es (noch) nicht. Erst der Versailler Vertrag wird aus den Bayern und Preußen im Saargebiet ein Volk mit Identität machen. Zumindest setzt er ihnen am 9. April 1919 in den Artikeln 45 bis 50 erstmals eigene Grenzen. Auch setzt er ihnen eine Regierung ein. So steht da geschriebe­n, dass im „Bassin de la Sarre“ab 1920 eine Regierungs­kommission das Sagen haben soll. Sie untersteht damals dem Völkerbund. 15 Jahre lang.

Erst 1935 sollen die Einwohner des neuen „Saargebiet­es“über ihr politische­s Schicksal selbst entscheide­n dürfen. Ob sie Franzosen sein wollen, Deutsche, oder neutral unter dem Völkerbund verbleiben wollen. Lange Jahre ist für die ehemaligen Preußen und Bayern im Saargebiet klar: Wir werden uns 1935 für Deutschlan­d entscheide­n. Ob Katholik, ob Protestant, ob Kommunist, ob Sozialist, ob Liberale oder die aus dem Zentrum, alle wollen wieder zurück ins Reich.

Bis 1933. Bis Adolf Hitler im Reich die Macht übernimmt. Im Saargebiet formieren sich erste Widerständ­e. Vor allem im linken Lager, bei der SPD, bei der KP, die sehen und wissen, wie Hitler in Deutschlan­d Sozialiste­n und Kommuniste­n ermorden lässt, natürlich auch bei den Juden im Saargebiet, bei einigen Katholiken. Bei den vielen politische­n Flüchtling­en, die aus dem Reich ins Saargebiet kommen. Sie sind gegen Hitler, arbeiten zunächst aber nicht wirklich zusammen.

Eine große Hoffnung der Rückgliede­rungsgegne­r ist bis Mitte 1934 der Vorstoß der Saar-SPD, beim Völkerbund in Genf eine Verschiebu­ng der Abstimmung zu erreichen. Bis Hitler weg ist. Doch der Völkerbund­srat sieht dafür keine rechtliche Grundlage. So kommt es, dass Genf nichts verschiebt, sondern den Abstimmung­stermin auf den 13. Januar 1935 festzurrt.

Die Saar-SPD und die Saar-Kommuniste­n brauchen nun eine neue Antwort auf die Saarfrage. Die heißt nun für beide: Status Quo. Im Völkerbund verbleiben. SPD-Chef Max Braun entwirft dazu eine Utopie eines „Freien Saarstaate­s“: Selbstbest­immung und Mitwirkung­srechte des Saarvolkes, Meinungs- und Koalitions­freiheit, moderne Sozial- und Arbeitsges­etze. Eigene Gruben. „Wir wollen eine freie deutsche Saar, die der letzte Zufluchtso­rt der Freiheit und freien deutschen Geistes auf deutschem Boden sein soll bis zu dem Tage, an dem ein wieder frei gewordenes Deutschlan­d [...] eine endgültige politische und wirtschaft­liche Einordnung der Saar [...] ermöglicht.“

Dabei hat Genf noch keine zweite Abstimmung zugesicher­t. Dennoch verifizier­en die beiden Parteichef­s, Max Braun (SPD) und Fritz Pfordt (KP), zum 4. Juli 1934 die Zusammenar­beit. „Für oder gegen Hitler, für oder gegen Konzentrat­ionslager, für oder gegen Versklavun­g und Knechtscha­ft […] für oder gegen Chaos und Untergang“. Unter diese Maximen stellt Max Braun den Wahlkampf der sogenannte­n „Einheitsfr­ont“. Für einige Historiker zu spät, um wirklich eine Chance zu haben, aus der Einheitsfr­ont, eine „Volksfront“gegen Hitler zu bilden, wie es damals heißt. Die meisten Saargebiet­ler sind weiterhin für eine Rückkehr. Trotz – oder wegen Hitler. Dabei gibt es damals viele berühmte Namen, die mit dem „Saarkampf“der Einheitsfr­ont sympathisi­eren: Bert Brecht, Heinrich Mann, Thomas Mann, Rabbiner Friedrich Schlomo Rülf, Klaus Mann, Hedda Zinner, Gustav Regler, Kurt Tucholsky, Marie Juchacz, Max Ophüls, Erich Weinert und John Heartfield. Oder Herbert Wehner. Der spätere SPD-Fraktionsc­hef arbeitet damals wie Erich Honecker für die KP im Saargebiet.

Auf der anderen Seite steht die Deutsche Front ( Wahllied: „Deutsch ist die Saar“). Sie schließt sich bereits 1933 zusammen. Die deutschnat­ionale Partei (1,6 Prozent bei der letzten Wahl im Saargebiet), die deutschsaa­rländische Volksparte­i (6,7), die deutsch-bürgerlich­e Mitte, das Zentrum (43,2) und die NSDAP-Saar (6,7) machen nun nicht nur gemeinsam Propaganda für den Anschluss ans Deutsche Reich, sie geben auch nach und nach ihre Eigenständ­igkeit auf. So wollen sie zeigen, dass der Anschluss keine politische Frage ist. Sondern eine der Ehre und des Herzens. Gemeinsam mit der von Hitler üppig finanziert­en und delegierte­n Propaganda fruchtet das damals.

Da half auch die erste Großkundge­bung der Einheitsfr­ont am 26. August 1934 nicht. Damals treffen sich die Rückgliede­rungsgegne­r in Sulzbach am Reichsbann­erheim. Der Reichsbann­er Schwarz-Rot-Gold ist die Saalschutz­truppe der SPD. Die Zeitungen der Sozialdemo­kraten, der Kommuniste­n und der freien Gewerkscha­ften – alle mobilisier­ten für diesen Tag. Es kommen 60 000Mensche­n zur damals größten antifaschi­stischen Demonstrat­ion. Ihr Wahlkampf-Song: „Haltet die Saar, Genossen!“Geschriebe­n von Bertolt Brecht und Hanns Eisler.

Zeitgleich findet vor der Koblenzer Festung Ehrenbreit­stein eine Saarkundge­bung statt. Vor angeblich 200 000 Teilnehmer­n spricht Adolf Hitler und gibt sich friedlich. Er bezeichnet dort das Saarland als die „einzige Territoria­lfrage zwischen Frankreich und Deutschlan­d“. Sei die gelöst, hätte Frankreich nichts zu befürchten. „Der Hitler, der jemals die Saar bekäme, bliebe an der Saargrenze nicht stehen, sondern mit dem Schlüssel der Ludwigskir­che würde er den Versuch machen, in das Straßburge­r und Metzer Münster einzudring­en“, kontert Max Braun weitsichti­g. Am Ende entscheide­n sich die Saargebiet­ler dennoch mit 90,7 Prozent für die Zugehörigk­eit zu Deutschlan­d. Nur 8,87 Prozent der Stimmen gingen an die Einheitsfr­ont und den Status quo. Hitler ließ das Gebiet nach der Wahl einem Reichskomm­issar unterstell­en – und nannte es: Saarland.

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FOTO: STADTARCHI­V SAARBRÜCKE­N Am 26. August 1934 ziehen Mitglieder der Einheitsfr­ont von SPD, KPD und einigen Katholiken zur Kundgebung. Hier gehen sie am Sulzbacher Friedhof vorbei.
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FOTO: LANDESARCH­IV DES SAARLANDES Max Braun war nicht nur der erste Vorsitzend­e der saarländis­chen SPD, sondern auch führender Kopf im antifaschi­stischen Widerstand gegen Hitler.

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