Saarbruecker Zeitung

Historisch­e Fäden in St. Wendel

Im Rahmen der Ausstellun­g „Drunter und drüber“nähern sich Juliane Laitzsch und Gertrud Riethmülle­r historisch­en Textilien. Das künstleris­che Doppel zeigt dabei erneut, wie gut die Werke beider Frauen miteinande­r harmoniere­n.

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN

ST. WENDEL Das Museum St. Wendel überrascht immer wieder mit Ausstellun­gen, die sich dem aktuellen regionalen Kunstschaf­fen widmen und dabei gerne auch anspruchsv­oll sein dürfen. So auch mit der neuen Ausstellun­g „drunter und drüber“, in der Juliane Laitzsch und Gertrud Riethmülle­r sich historisch­en Textilien annähern. Schon ein erster Blick in die hellen, weiten Ausstellun­gsräume offenbart, dass die Künstlerin­nen ihren Arbeiten viel Raum gegeben haben.

Gertrud Riethmülle­r reduziert sich dabei auf eine große Installati­on, die jedoch eine ganze Wand einnimmt. Gertrud Riethmülle­r ist in der saarländis­chen Kunstszene eine feste Größe. Die in St. WendelDörr­enbach lebende Künstlerin studierte einst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar „Neue künstleris­che Medien“, gewann mehrere Preise und präsentier­t ihre Skulpturen, Videos, Objekte und Installati­onen auch immer wieder in der Region. Im Sommer waren zwei Werke von ihr in der Modernen Galerie im Rahmen der „SaarArt 23“zu sehen.

Und auf eine dieser beiden Arbeiten bezieht sie sich in der Ausstellun­g in St. Wendel. Denn auch hier ist ein raumgreife­ndes Kunstwerk aus schwarzen Lautsprech­erkabeln geklöppelt. Allerdings hat die überdimens­ionierte Spitze hier die Form eines geschwunge­nen, abgerundet­en Kragens. Die Lautsprech­erkabel, aus denen das Werk „Ein Kragen – Im Tanz der Verfechtun­g“besteht, führen vom geklöppelt­en Kunstwerk zum Boden und enden dort in 16 kleinen Lautsprech­ern, aus denen abwechseln­d Geräusche und einzelne Sätze zu vernehmen sind. Die Geräusche entstehen beim Klöppeln, wenn die Spulen aneinander­schlagen. Bei den Sätzen spricht die Spitze selbst. In den Sätzen, die fast alle mit „ich bin“beginnen, berichtet die Spitze von ihrem früheren Wert und Ansehen – aber auch von den fast erblindete­n Klöpplerin­nen. Mit dieser Arbeit zeigt die Künstlerin nicht nur die Kunstferti­gkeit des Klöppelns, die sie selbst perfekt beherrscht, sondern sie thematisie­rt auch die prekären Lebens- und Arbeitsbed­ingungen der Klöpplerin­nen, stellt sie der gehobenen Lebensweis­e der Trägerinne­n und Träger der Spitzen gegenüber.

Gertrud Riethmülle­r ergänzt dieses Kunstwerk mit einem stillen Video, in dem zwei Hände die Arbeit des Klöppelns verrichten, allerdings ganz ohne Garne und Spulen. Dazu sind noch sechs Holzplatte­n ausgestell­t, die ihr als Mustervorl­age, als Klöppelbri­ef, dienten, sowie Schriften zu den Lebensverh­ältnissen einer Klöpplerin. Dass sie auch den Kragen als feine, weiße, originalgr­oße Spitze anfertigte, kann man in einer Mappe entdecken, die in einer Leseecke mit weiterer Literatur ausliegt.

Das ist eine wunderbare Idee, denn gerade auch die Werke von Juliane Laitzsch vertragen etwas mehr Erklärunge­n. Denn die Künstlerin aus Nordwestme­cklenburg widmet sich in ihren Projekten spätantike­n Textilfrag­menten, deren Webarten,

Mustern und deren Geschichte und Auffindung. Juliane Laitzsch studierte nicht nur Kunst, sie promoviert­e sogar an der Kunstunive­rsität Linz. Und ihr Thema war auch da die künstleris­che Annäherung an spätantike Textilien.

Dazu setzt sich die Künstlerin mit den Funden archäologi­scher Ausgrabung­en auseinande­r, zeichnet Fotografie­n der Funde nach, übernimmt in anderen Zeichnunge­n die Muster und Strukturen der Textilien, führt sie fort, oder interpreti­ert sie als „ornamental­e Kritzeleie­n“frei weiter. Sogar alte Sekundärli­teratur zum Thema wird von ihr zeichneris­ch umgesetzt. Dabei herausgeko­mmen sind verschiede­ne Werkgruppe­n, die in der Ausstellun­g mal an Wänden hängend, mal auf Tischen liegend, präsentier­t werden. Und es ist beeindruck­end, wie Juliane Laitzsch Fotografie­n von archäologi­schen Grabungen mittels Raster um ein Vielfaches vergrößert als genaue Bleistiftz­eichnung umsetzt. Dabei gelingt es der Künstlerin, zwischen Dokumentat­ion und freier Arbeit zu wechseln, manches ganz genau wiederzuge­ben, anderes frei zu erfinden. Und alles ist mit großer Akribie ausgeführt.

So nähern sich die beiden Künstlerin­nen, Gertrud Riethmülle­r und Juliane Laitzsch, der historisch­en Textilkuns­t an, jede auf ihre Weise. Während Gertrud Riethmülle­r die Kunst des Klöppelns auf sehr moderne Weise neu gestaltet und gleichzeit­ig gesellscha­ftskritisc­h und emotional auflädt, zeichnet und interpreti­ert Juliane Laitzsch alte Textilfrag­mente auf unterschie­dliche Weisen, nähert sich ihnen prozesshaf­t an. Dass dieses künstleris­che Doppel gut funktionie­rt, konnte man schon im Jahr

2016 erleben. Denn da stellten die beiden Künstlerin­nen, die mittlerwei­le auch befreundet sind, bereits gemeinsam im Saarländis­chen Künstlerha­us aus.

Weitere Informatio­nen unter: https://museum-wnd.de/

 ?? FOTO: BERND BORCHERT ?? Zusehen und hören im Museum St. Wendel: Gertrud Riethmülle­rs Werk „Ein Kragen – im Tanz der Verflechtu­ng“besteht aus Lautsprech­erkabeln, einem Kanalverst­ärker, einem Waveplayer und Lautsprech­ern. Die Texte dazu spricht Katharina Biehler.
FOTO: BERND BORCHERT Zusehen und hören im Museum St. Wendel: Gertrud Riethmülle­rs Werk „Ein Kragen – im Tanz der Verflechtu­ng“besteht aus Lautsprech­erkabeln, einem Kanalverst­ärker, einem Waveplayer und Lautsprech­ern. Die Texte dazu spricht Katharina Biehler.
 ?? FOTO: JULIANE LAITZSCH/VG BILDKUNST ?? Die Zeichnung „Unrestauri­ert“ist von Juliane Laitzsch und zeigt ein spätantike­s Textilfrag­ment.
FOTO: JULIANE LAITZSCH/VG BILDKUNST Die Zeichnung „Unrestauri­ert“ist von Juliane Laitzsch und zeigt ein spätantike­s Textilfrag­ment.

Newspapers in German

Newspapers from Germany