„Das Ziel der Sehnsucht ist die Heimkehr“
Der internationale Star der Kunst-Szene sprach mit SZ-Redakteur Jörg Wingertszahn über Spiritualität, Kunst und Politik.
Wenn man Ihre Entwürfe zum ersten Mal sieht, hat man das Gefühl, man ist in einer Sphäre zwischen Himmel und Erde.
UECKER Ja, das ist es. Ich bin kein Domkünstler oder Fenstermacher (lacht), aber wenn ich schon etwas mache, dann vertiefe ich mich in die Möglichkeiten eines Raumes, eine Annäherung an Gott herzustellen und zu erwirken. Und dann habe ich auch Respekt davor, besonders in diesem Dom, der ja auch lange säkularisiert und von den Nazis adoptiert war. Die wollten damit einen nationalsozialistischen Glaubenszusammenhang herstellen. Es ist schrecklich, was diesem Dom alles im letzten Jahrhundert passiert ist. Dann darf man aber auch nicht die Säkularisierung während der DDR-Zeit vergessen und die Konvertierung der Katholiken zum Protestantismus.
Sie haben mit Ihren Fenstern einen besonderen spirituellen Raum geschaffen. Waren Sie schon immer ein spiritueller Mensch?
UECKER Ich habe zunächst nicht einmal gewagt, diesen Raum zu betreten, aber das war nicht mit einem theologischen Hintergrund verbunden. Ich habe zunächst andere Erfahrungen gemacht. In der DDR war ich ja ein Kader und habe eine schreckliche Gehirnwäsche durchgemacht, sodass ich zwischen Lügen, Propaganda und Agitation das Ziel künstlerischen Wirkens in der Bevölkerung durch und durch erfahren habe. Ich persönlich hatte das Gefühl, vor den Bauern zu lügen und sie von den Konzepten der russischen Landwirtschaft überzeugen zu müssen. Es kam damals übrigens auch zu vielen Selbstmorden unter den Bauern, da kenne ich ganz persönlich welche. Ich habe dann die DDR verlassen und erst Ende der 80er-Jahre meine ehemaligen Mitschüler bei einem Hochzeitsfest wiedergesehen. Die haben mir dann gesagt, was du gemacht hast, war genau richtig. Da habe ich so geheult, weil ich die anderen doch immer als Heroen betrachtet habe, die da geblieben waren.
Und die Entdeckung des Spirituellen?
UECKER Ich habe mich durch die Erfahrungen in der DDR der Gegenwelt zugewandt. Ich habe den Koran gelesen, was in der DDR anerkannt wurde als Soziallehre. Das hat mich dann auch zum Sufismus geführt, zum Taoismus, zu Zen und zur jüdischen Mystik, der Kabbala. Das war die Gegenwelt zu dieser Gehirnwäsche und des kommunistischen Wahns. Zwischen diesen beiden Welten habe ich gelebt und bin dann doch zum Christlichen zurückgekehrt und habe meinen Weg gemacht von außen nach innen. Das Ziel der Sehnsucht ist die Heimkehr, so nenne ich das. Das ist eine Rückkehr in meine eigene Glaubenswirklichkeit, denn ich bin ja protestantisch getauft, das kann ich nicht verneinen, aber ich hatte nie Religionsunterricht. Das gab es in der DDR nicht.
UECKER ... diese Seite fasziniert mich aber so sehr, weil es dem künstlerischen Tun nahe ist. Zum Beispiel die Visionen von Wahn, Erlösung, Hoffnung, Jubel und Trauer. Dass es dafür Gebäude gibt. Auch Liturgie und Marienkult sind sehr interessant. Gerade das Sinnliche im Glauben habe ich doch der Malerei und der Musik als sehr nahe empfunden. Das hat mich dann erfüllt und erfasst.
Sie haben ja verschiedene spirituelle Wege kennengelernt. Da müssten Sie doch verzweifeln angesichts der Gewalt, mit der Religion zuweilen einhergeht?
UECKER Ich bin wirklich in Not. Aber ich transformiere diese Not in Kunst. Mich interessiert, die tiefsten menschlichen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, zumindest, es in den Möglichkeiten, die ich habe, zu erreichen. Das trägt wahrscheinlich auch die Menschen und hilft ihnen in der Bewahrung des Menschen durch den Menschen. Im Sinne von: Gott ist eine Gewissheit, und die findet Freiheit in dem Glauben, weil man sich keinem Menschen unterwerfen muss. Das ist eine wunderbare Prophetie. Diese Einstellung von mir kommt auch durch die Erziehung in der DDR, wo man glaubte, es sei möglich, indem man von einem anderen domestiziert wird, Freiheit zu erreichen.
Ihre Spiritualität entdeckt man auch in Ihren Aquarellen von Planeten.
UECKER Ja, Planeten habe ich in Arizona gemalt, wo die Luft sehr trocken ist. Tagsüber sind da 50 Grad. Und in der Nacht ist das eine ganz andere Sternwahrnehmung als bei uns. Die Planeten sind farbig und haben eine Aura. Da schließt sich der Bogen zum Kreis. Als Student habe ich mir gedacht, ich ziehe eine Linie, die so gerade ist, dass der Kreis so groß wird bis zum Jupiter und schließlich – wo sich zwei Linien berühren – ist ein Punkt, obwohl es dieselbe Linie ist, die sich berührt (aber man weiß nicht, wo der Punkt ist), aber da schlage ich nun einen Nagel ein, der einen Schatten wirft innerhalb der universalen Bewegung der Planeten und der Erde. Und so verbinden wir uns mit dem universellen Geschehen. Das ist die Grundchiffre meiner Arbeit.
Sie waren und sind ein politischer Künstler. Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen in der Nazi-Diktatur und der SED-Diktatur muss Ihnen doch angesichts der AfD angst und bange sein.
UECKER Das ist eine große Gefahr. Das ist global, das findet ja überall statt. Das macht mich schwermütig, ich leide. Aber ich arbeite dann auch wie besessen. Meine Erfahrungen mit so vielen Kulturen erfüllen mich auch mit lebensbejahender Energie. Ich werde auch weiterhin arbeiten, und wir sollten uns alle fleißig dieser tätigen Wirklichkeit zuwenden, die man auch Gebet nennt. Denn alles, was man denkt, kann man umwandeln in eine Tat. Das Gesagte muss in eine Tat umwandelbar sein, das ist für mich Politik. Denken und Handeln ist gleich. Und ohne das Handeln kommen wir aus dieser Zukunftsmisere nicht heraus.
Eine letzte Frage zum Abschluss: Woran erkennt man gute Kunst?
UECKERWenn Sie etwas fühlen, was von Herzen kommt. Das ist in der Musik ja auch so. Meine Freundin Ingrid Bachér (renommierte Schriftstellerin aus Düsseldorf, Anm. d. Red.) sagte gestern noch zu mir: „Du sagst es einfach von Herzen. Deine Worte sind so von Dir selbst“. Nicht zuletzt gilt: Gelebtes Leben ist doch die Grundlage des Mitgefühls und des Handelns.