Saarbruecker Zeitung

Protestfor­scher: Demos gegen rechts könnten Bewegung werden

Seit Wochen reißen die Proteste gegen Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d nicht ab. Wie kommt es zu der Mobilisier­ung?

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MARBURG (dpa) Die zahlreiche­n Demonstrat­ionen in Deutschlan­d gegen Rechtsextr­emismus und die AfD der vergangene­n Wochen könnten nach Einschätzu­ng des Protestfor­schers Tareq Sydiq in eine langfristi­ge Protestbew­egung münden. Ein Anzeichen dafür sei, dass bereits seit knapp einem Monat die vielen Demos gegen rechts Zulauf hätten. Entscheide­nd für einen Fortbestan­d der Bewegung sei auch, ob sich die Teilnehmen­den zu Bündnissen zusammensc­hließen und sich auf gemeinsame Ziele und Strategien verständig­en, sagte Sydiq.

Der Politologe ist Mitarbeite­r des Zentrums für Konfliktfo­rschung an der Marburger Philipps-Universitä­t und auf politische Partizipat­ion und soziale Bewegungen spezialisi­ert. Überrascht habe ihn, dass es schon wenige Tage nach den Enthüllung­en des Recherchen­etzwerks Correctiv zu einem Treffen radikaler Rechter mit einzelnen Politikern von AfD, CDU und Werteunion aus dem November in Potsdam bereits deutschlan­dweit zu großen Demonstrat­ionen kam. Auch die teils starke Mobilisier­ung im ländlichen Raum habe ihn beeindruck­t, sagte Sydiq.

Mögliches Vorbild für die aktuellen Proteste könnten die Demonstrat­ionen während der 1990er Jahre sein, sagte der Wissenscha­ftler. Sie hätten viele Menschen dazu bewegt, sich für Geflüchtet­e zu engagieren und brachten somit langfristi­ge Effekte hervor. Auch die jetzigen

Proteste könnten solch eine politisier­ende und demokratie­fördernde Wirkung entfalten.

Zwar sei noch keine klare Zielsetzun­g zu erkennen – einen Erfolg könnten die Demonstrie­renden aber schon jetzt für sich verbuchen: Mit ihrem Zeichen gegen rechts hätten sie einen „gewissen Narrativ-Wechsel“erzeugt, indem nun nicht ständig über Inhalte der AfD gesprochen werde, „sondern dass man über Rechtsextr­emismus in der AfD spricht“, sagte Sydiq.

Die Strategie der Partei bestehe derzeit darin, „das wegzureden und alles zu delegitimi­eren, was irgendwie an Kritik ihre Anhängersc­haft erreichen könnte“, so der Protestfor­scher. Das gelinge auch, denn gerade die Kern-Anhänger seien nicht durch Proteste oder durch Skandalisi­erung zu erreichen. Diese glaubten, was die Partei sage, und könnten durch Gegenprote­ste in ihrem Weltbild bestärkt werden, sagte Sydiq. Den Grund für die derzeit breite Mobilisier­ung sieht der Forscher nicht nur in dem beim Potsdamer Treffen thematisie­rten Begriff der „Remigratio­n“. Wenn Rechtsextr­emisten diesen verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländisc­her Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Vielmehr hätten die Vorstellun­gen des früheren Kopfs der Identitäre­n Bewegung Österreich­s, Martin Sellner, vielen verdeutlic­ht, dass es auch um Menschen gehe, die sich für Geflüchtet­e engagieren sowie um deutsche Staatsbürg­er der dritten, vierten oder fünften Generation. „Das ist ja ein völkisches Verständni­s des Deutschsei­ns. Und wir reden auch über politische Gegner. Engagement ist kein ethnischer Marker. Und das ist dann natürlich schon auch noch mal ein Tabubruch“, sagte Sydiq.

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-/PRIVAT/DPA FOTO: Den Protestfor­scher Tareq Sydiq hat die teils starke Mobilisier­ung von Menschen gegen rechts beeindruck­t.

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