„Nicht warten, bis der Zug abgefahren ist“
Rund 10 000 Menschen haben am Samstag an der Saarbrücker Ludwigskirche die Demonstration des Bündnisses „Bunt statt Braun“unterstützt und ein deutliches Zeichen gegen alle Formen von Rechtsextremismus gesetzt.
SAARBRÜCKEN Ein Land steht auf. Und es werden immer mehr. 10 000 Menschen haben nach Polizeiangaben am Samstag auf dem Ludwigsplatz in Saarbrücken ein Zeichen gegen alle Formen von Rechtsradikalismus gesetzt. Dazu aufgerufen hatte das Bündnis „Bunt statt und die Demokratie erfolgreich verteidigen. Man muss auch keinen Doktortitel haben oder ein Studium. Jeder kann einfach seinen klaren Menschenverstand einschalten.“
Ein paar Meter entfernt schaut der 62-jährige Roland Fecht aus Gersweiler nachdenklich in die Runde. „Unser Land haben nach dem Krieg auch zahlreiche ausländische Mitbürger mit aufgebaut. Es kann doch nicht sein, dass wir die alle nicht mehr haben wollen. Ich kann eine solche Ideologie nicht verstehen. Man muss der AfD Grenzen setzen. Ich bin für eine menschenwürdige Gesellschaft.“Dann stellt Fecht aus seiner Sicht klar: „Ausländer sind sich heute auch nicht zu fein dafür, in vielen Berufen zu arbeiten, die Deutsche nicht mehr machen wollen. Bis hin zur Toilettenreinigung. Das machen meistens Ausländer.“Konsequent zu Ende gedacht dürfe ein AfD-Anhänger dann auch nicht mehr beim Italiener Pizza essen oder einen Kebab beim Türken.
Die Zukunft in Deutschland geht alle Generationen an. Deshalb haben Annika (40) und Joachim Johänntgen (41) aus Friedrichsthal gleich auch ihre Söhne Theo (7) und Ludwig (4) mitgebracht: „Unsere Demokratie ist die beste Staatsform, die es gibt. Dafür demonstrieren wir mit, denn unsere Kinder sollen auch in dieser Staatsform aufwachsen. In einer Gesellschaft, die sich durch Vielfalt auszeichnet“, sagt Joachim Johänntgen. Und in einer möglichst friedlichen Welt. Er fordert von den demokratischen Parteien, ihre Politik wieder besser zu erklären. Und schon an den Schulen müsse es mehr politische Bildung geben, „damit der Wert der Demokratie wieder klarer wird und auch mehr geschätzt“.
Auf der Bühne gibt es zahlreiche Bekenntnisse zum Erhalt von Demokratie und Vielfalt. Die mit Abstand deutlichsten Worte findet der Vertreter der Evangelischen Kirche, Frank Matthias Hofmann. „Wir dürfen nicht warten, bis der Zug abgefahren ist. Wohin die Züge der Nazis gefahren sind, wissen wir ja.“Vielfalt bereichere eine Gesellschaft, „Uniformität dagegen macht dumm“. Die Deutschen haben nach Überzeugung von Hofmann aus der Geschichte gelernt. „Deshalb stehen wir heute hier und sagen: Nie wieder.“An die demokratischen Politiker in Berlin appelliert Hofmann, aufzuhören „mit den politischen Grabenkämpfen und der KleinKlein-Denke. Versteht endlich: es geht ums Ganze. Und da müssen Parteiinteressen hinter denen des Landes zurückstehen.“Für die Vertreterin der Katholischen Kirche, Katja Göbel, ist es höchste Zeit, „dass wir alle zeigen, wofür Christen stehen. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche. Und wir sind bunt.“
Zur Kundgebung sind auch viele Beschäftigten aus Groß-Unternehmen wie der Dillinger Hütte, Saarstahl, Ford und anderen gekommen. Stellvertretend für die Arbeitgeber äußert sich Joerg Disteldorf als Personalvorstand der Hütten, zugleich auch, wie er sagt „als Privatmensch und Familienvater“. Freiheit und Demokratie seien ein hohes Gut, „das wir nie mehr verlieren dürfen. Deshalb müssen die Politik, die Bürger und auch die Unternehmen eng zusammenstehen. Und gemeinsam eine klare Position gegen Hetze und Diskriminierung beziehen.“Die Wirtschaft werde es nicht zulassen, „dass eine politische Gesinnung am Standort Deutschland die internationale Vielfalt und Teile der Bevölkerung schlecht redet und diffamiert“.
Sozialer Frieden, soziale Marktwirtschaft sowie Wertschätzung gegenüber Mitmenschen blieben unverzichtbare Werte. „Auch bei Dillinger und Saarstahl positionieren sich der Vorstand, die Betriebsräte und Mitarbeiter klar gegen
Fremdenhass, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit.“Ebenfalls die Mitbestimmung und die Gewerkschaften „die seit Jahrzehnten für Vielfalt und Gleichberechtigung stehen. Wir arbeiten mit vielen Kulturen. Alle sind Bestandteil unseres
Unternehmens. Ohne Menschen aus anderen Nationen können wir den Umbau der Stahlindustrie hin zum grünen Stahl nicht schaffen. Wir brauchen all diese Menschen. Und sind stolz darauf, dass wir sie haben.“Werte wie Solidarität und Menschlichkeit „lassen wir uns nicht von rechten Hetzern nehmen“.
Auch Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sieht in der Kundgebung „ein starkes Ausrufezeichen der saarländischen Gesellschaft für Toleranz, Menschlichkeit und Anstand. Damit wird auch die schweigende Mehrheit zu einer lauten Mehrheit. Umgekehrt ist es ein Stoppzeichen für all diejenigen, die aus den Sorgen und Nöten der Menschen dieser Zeit ihr braunes Süppchen kochen wollen. Das hilft nirgendwo weiter: nicht im Saarland und auch nicht in der Republik“, so Rehlinger. „Ich bin deshalb sehr stolz darauf, dass so viele gekommen sind. Das zeigt auch, was ich immer gerne über unser Bundesland sage. Wir sind weltoffen und tolerant.“Um klarzustellen: „Wir tun alles dafür, dass hier jeder sicher leben kann, der hier leben möchte. Egal wo er herkommt, egal mit welcher Herkunft, Religion und sexuellen Neigung.“
Neben Rehlinger setzten sich Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt (CDU), SPD-Fraktionschef Ulrich Commerçon und CDU-Fraktionschef Stephan Toscani gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit ein. Timo Ahr forderte alle Saarländer auf, jederzeit Haltung zu zeigen: „ob in der Kneipe, der Kirche, am Arbeitsplatz, auf dem Sportplatz und in der Öffentlichkeit. Wir müssen uns einmischen.“
„Auch bei Dillinger und Saarstahl positionieren sich der Vorstand, die Betriebsräte und Mitarbeiter klar gegen Fremdenhass, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit.“Joerg Disteldorf Personalvorstand Saarstahl