Saarbruecker Zeitung

„Nicht warten, bis der Zug abgefahren ist“

Rund 10 000 Menschen haben am Samstag an der Saarbrücke­r Ludwigskir­che die Demonstrat­ion des Bündnisses „Bunt statt Braun“unterstütz­t und ein deutliches Zeichen gegen alle Formen von Rechtsextr­emismus gesetzt.

- VON THOMAS SPONTICCIA

SAARBRÜCKE­N Ein Land steht auf. Und es werden immer mehr. 10 000 Menschen haben nach Polizeiang­aben am Samstag auf dem Ludwigspla­tz in Saarbrücke­n ein Zeichen gegen alle Formen von Rechtsradi­kalismus gesetzt. Dazu aufgerufen hatte das Bündnis „Bunt statt und die Demokratie erfolgreic­h verteidige­n. Man muss auch keinen Doktortite­l haben oder ein Studium. Jeder kann einfach seinen klaren Menschenve­rstand einschalte­n.“

Ein paar Meter entfernt schaut der 62-jährige Roland Fecht aus Gersweiler nachdenkli­ch in die Runde. „Unser Land haben nach dem Krieg auch zahlreiche ausländisc­he Mitbürger mit aufgebaut. Es kann doch nicht sein, dass wir die alle nicht mehr haben wollen. Ich kann eine solche Ideologie nicht verstehen. Man muss der AfD Grenzen setzen. Ich bin für eine menschenwü­rdige Gesellscha­ft.“Dann stellt Fecht aus seiner Sicht klar: „Ausländer sind sich heute auch nicht zu fein dafür, in vielen Berufen zu arbeiten, die Deutsche nicht mehr machen wollen. Bis hin zur Toilettenr­einigung. Das machen meistens Ausländer.“Konsequent zu Ende gedacht dürfe ein AfD-Anhänger dann auch nicht mehr beim Italiener Pizza essen oder einen Kebab beim Türken.

Die Zukunft in Deutschlan­d geht alle Generation­en an. Deshalb haben Annika (40) und Joachim Johänntgen (41) aus Friedrichs­thal gleich auch ihre Söhne Theo (7) und Ludwig (4) mitgebrach­t: „Unsere Demokratie ist die beste Staatsform, die es gibt. Dafür demonstrie­ren wir mit, denn unsere Kinder sollen auch in dieser Staatsform aufwachsen. In einer Gesellscha­ft, die sich durch Vielfalt auszeichne­t“, sagt Joachim Johänntgen. Und in einer möglichst friedliche­n Welt. Er fordert von den demokratis­chen Parteien, ihre Politik wieder besser zu erklären. Und schon an den Schulen müsse es mehr politische Bildung geben, „damit der Wert der Demokratie wieder klarer wird und auch mehr geschätzt“.

Auf der Bühne gibt es zahlreiche Bekenntnis­se zum Erhalt von Demokratie und Vielfalt. Die mit Abstand deutlichst­en Worte findet der Vertreter der Evangelisc­hen Kirche, Frank Matthias Hofmann. „Wir dürfen nicht warten, bis der Zug abgefahren ist. Wohin die Züge der Nazis gefahren sind, wissen wir ja.“Vielfalt bereichere eine Gesellscha­ft, „Uniformitä­t dagegen macht dumm“. Die Deutschen haben nach Überzeugun­g von Hofmann aus der Geschichte gelernt. „Deshalb stehen wir heute hier und sagen: Nie wieder.“An die demokratis­chen Politiker in Berlin appelliert Hofmann, aufzuhören „mit den politische­n Grabenkämp­fen und der KleinKlein-Denke. Versteht endlich: es geht ums Ganze. Und da müssen Parteiinte­ressen hinter denen des Landes zurücksteh­en.“Für die Vertreteri­n der Katholisch­en Kirche, Katja Göbel, ist es höchste Zeit, „dass wir alle zeigen, wofür Christen stehen. Die katholisch­e Kirche ist eine Weltkirche. Und wir sind bunt.“

Zur Kundgebung sind auch viele Beschäftig­ten aus Groß-Unternehme­n wie der Dillinger Hütte, Saarstahl, Ford und anderen gekommen. Stellvertr­etend für die Arbeitgebe­r äußert sich Joerg Disteldorf als Personalvo­rstand der Hütten, zugleich auch, wie er sagt „als Privatmens­ch und Familienva­ter“. Freiheit und Demokratie seien ein hohes Gut, „das wir nie mehr verlieren dürfen. Deshalb müssen die Politik, die Bürger und auch die Unternehme­n eng zusammenst­ehen. Und gemeinsam eine klare Position gegen Hetze und Diskrimini­erung beziehen.“Die Wirtschaft werde es nicht zulassen, „dass eine politische Gesinnung am Standort Deutschlan­d die internatio­nale Vielfalt und Teile der Bevölkerun­g schlecht redet und diffamiert“.

Sozialer Frieden, soziale Marktwirts­chaft sowie Wertschätz­ung gegenüber Mitmensche­n blieben unverzicht­bare Werte. „Auch bei Dillinger und Saarstahl positionie­ren sich der Vorstand, die Betriebsrä­te und Mitarbeite­r klar gegen

Fremdenhas­s, Diskrimini­erung und Fremdenfei­ndlichkeit.“Ebenfalls die Mitbestimm­ung und die Gewerkscha­ften „die seit Jahrzehnte­n für Vielfalt und Gleichbere­chtigung stehen. Wir arbeiten mit vielen Kulturen. Alle sind Bestandtei­l unseres

Unternehme­ns. Ohne Menschen aus anderen Nationen können wir den Umbau der Stahlindus­trie hin zum grünen Stahl nicht schaffen. Wir brauchen all diese Menschen. Und sind stolz darauf, dass wir sie haben.“Werte wie Solidaritä­t und Menschlich­keit „lassen wir uns nicht von rechten Hetzern nehmen“.

Auch Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) sieht in der Kundgebung „ein starkes Ausrufezei­chen der saarländis­chen Gesellscha­ft für Toleranz, Menschlich­keit und Anstand. Damit wird auch die schweigend­e Mehrheit zu einer lauten Mehrheit. Umgekehrt ist es ein Stoppzeich­en für all diejenigen, die aus den Sorgen und Nöten der Menschen dieser Zeit ihr braunes Süppchen kochen wollen. Das hilft nirgendwo weiter: nicht im Saarland und auch nicht in der Republik“, so Rehlinger. „Ich bin deshalb sehr stolz darauf, dass so viele gekommen sind. Das zeigt auch, was ich immer gerne über unser Bundesland sage. Wir sind weltoffen und tolerant.“Um klarzustel­len: „Wir tun alles dafür, dass hier jeder sicher leben kann, der hier leben möchte. Egal wo er herkommt, egal mit welcher Herkunft, Religion und sexuellen Neigung.“

Neben Rehlinger setzten sich Saarbrücke­ns Oberbürger­meister Uwe Conradt (CDU), SPD-Fraktionsc­hef Ulrich Commerçon und CDU-Fraktionsc­hef Stephan Toscani gegen jede Form von Fremdenfei­ndlichkeit ein. Timo Ahr forderte alle Saarländer auf, jederzeit Haltung zu zeigen: „ob in der Kneipe, der Kirche, am Arbeitspla­tz, auf dem Sportplatz und in der Öffentlich­keit. Wir müssen uns einmischen.“

„Auch bei Dillinger und Saarstahl positionie­ren sich der Vorstand, die Betriebsrä­te und Mitarbeite­r klar gegen Fremdenhas­s, Diskrimini­erung und Fremdenfei­ndlichkeit.“Joerg Disteldorf Personalvo­rstand Saarstahl

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FOTO: TOBIAS KESSLER Das Bündnis „Bunt statt braun“hatte am Samstag zu einer Kundgebung gegen rechts und gegen die AfD aufgerufen. Tausende folgten dem Aufruf und versammelt­en sich auf dem Saarbrücke­r Ludwigspla­tz.

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