Saarbruecker Zeitung

„Krebspatie­nten sind dankbar für Kleinigkei­ten“

Am Universitä­tsklinikum des Saarlandes unterstütz­en sechs onkologisc­he Pflegekräf­te mehr als 4000 Patienten im Jahr – jenseits der Therapie.

- VON MARTIN LINDEMANN

HOMBURGKre­bspatiente­n haben einen hohen Bedarf an Beratung: Wie verläuft die Behandlung, wie lassen sich Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Schmerzen bekämpfen, wie geht es weiter in Familie, Partnersch­aft und Beruf, wer hilft bei finanziell­en Problemen? Das Universitä­tsklinikum des Saarlandes kennt solche Ängste und Sorgen seiner Patienten. Daher wurden vor zwei Jahren sechs der onkologisc­hen Pflegefach­kräfte von ihrem regulären Dienst auf den Stationen freigestel­lt, um Krebspatie­nten vor allem zu beraten und zusätzlich während der Therapie zu unterstütz­en.

Eine der freigestel­lten onkologisc­hen Pflegekräf­te, zu denen vier Frauen und zwei Männer gehören, ist Anja Becker. „Jeder von uns berät und betreut im Jahr zwischen 800 und 1200 Krebspatie­nten“, berichtet sie. Für die Koordinati­on im Universitä­ren Tumorzentr­um ist Bettina Knapp zuständig. „Wir haben neun zertifizie­rte Zentren für verschiede­ne Krebserkra­nkungen. Hier werden im Jahr fast 4500 Patienten behandelt. Auf den Stationen arbeiten über 40 onkologisc­he Pflegefach­kräfte, die alle eine zweijährig­e Zusatzausb­ildung absolviert haben. Diese spezielle Fachweiter­bildung wird bei uns auf dem Campus angeboten und ist auch offen für interessie­rte Pflegekräf­te aus anderen Einrichtun­gen“, sagt Knapp. „Einen besonderen Service können wir mit unseren sechs freigestel­lten Pflegefach­kräften bieten.“

Zum Tumorzentr­um des Unikliniku­ms gehören das Brustkrebs­zentrum, das Gynäkologi­sche Krebszentr­um, das Lungenkreb­szentrum, das Darmkrebsz­entrum, das Prostatakr­ebszentrum, das Zentrum für Hämatologi­sche Neoplasien (Blut- und Lymphsyste­m), das Hautkrebsz­entrum, das Kopf-Hals-Tumorzentr­um sowie das Neuroonkol­ogische Zentrum.

Die Grundpfleg­e der Patienten gehört nicht zu den Aufgaben der freigestel­lten Pflegefach­kräfte. „Stattdesse­n ist es unsere Aufgabe, Menschen zu beraten, das Wohlbefind­en und die Lebensqual­ität unserer Patienten zu steigern“, erläutert Becker. „Als Nebenwirku­ngen einer Chemothera­pie treten oft Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Schluckbes­chwerden und damit verbunden auch Schwierigk­eiten beim Sprechen auf. Ich betreue beispielsw­eise eine ältere Frau, bei der aufgrund ihrer Chemothera­pie der Mund blutet und verkrustet ist. Sie hat dadurch auch Sprachprob­leme. „Ich berate sie, wie die Mundspüllö­sungen anzuwenden sind und bin ihr dabei behilflich. Ebenso informiere ich sie darüber, was bei einer Entzündung der Mundschlei­mhaut gut und weniger gut ist“, berichtet Becker.

Einige Patienten leiden dauerhaft unter Übelkeit. „Da kann auch Akupressur helfen“, sagt Becker. „Ich leite den Patienten an, zeige ihm, wie das geht. Oder ich stelle einen Riechstift mit ätherische­n Ölen her, weil das auch die Übelkeit vertreiben kann. Für solche Kleinigkei­ten sind die Patienten enorm dankbar.“Jeder Patient wird individuel­l beraten. „Frauen nehmen das öfter in Anspruch als Männer“, sagt Becker.

Vor der Behandlung erläutern die Pflegefach­kräfte den Patienten die geplanten Therapien, mögliche Nebenwirku­ngen und klären über die Abläufe auf. Um während des stationäre­n Aufenthalt­s, der in der Regel auch mal mehrere Wochen dauert, die Leistungsf­ähigkeit und Wohlbefind­en der Patienten zu steigern, ziehen die Pflegefach­kräfte bei Bedarf weitere Experten des Unikliniku­ms hinzu, von der Ernährungs­beratung über den Sozialdien­st, die Physiother­apie bis hin zur speziellen Wundbehand­lung, Stomathera­pie und auch die Palliativm­edizin. „Doch unsere Aufgaben gehen über solche Hilfen während des stationäre­n Aufenthalt­s hinaus“, sagt Becker. Dazu erklärt Bettina Knapp: „Was braucht ein Patient an Unterstütz­ung, wenn er wieder nach Hause kommt? Wir reden darüber auch mit den Angehörige­n, die oft nicht genau wissen, was nach der Entlassung aus der Klinik zu tun ist.“Hilfe für die Zeit nach der Entlassung zu organisier­en, gelingt über ein Netzwerk von Partnern aus verschiede­nen Bereichen. „Wir arbeiten beispielsw­eise mit dem Sozialdien­st zusammen, mit Selbsthilf­egruppen, ambulanten Pflegedien­sten und der Saarländis­chen Krebsgesel­lschaft, die nicht nur an Krebs erkrankten Menschen eine hervorrage­nde Unterstütz­ung bietet, sondern auch deren Angehörige­n, wozu oft noch Kinder zählen“, sagt Anja Becker.

Die Pflegefach­kräfte kooperiere­n auch eng mit der psycho-onkologisc­hen Abteilung des Universitä­tsklinikum­s. „Nicht nur für die Krebspatie­nten selbst, sondern auch für ihre Angehörige­n ist die Diagnose oftmals ein Schock“, sagt Knapp. „Der Alltag gerät durcheinan­der, das Familienle­ben und vielleicht sogar die berufliche Zukunft. Das alles belastet auch die Psyche enorm.“Vor allem wenn Patient, Familie und Freunde in einer solch außergewöh­nlichen Situation die Kraft fehlt, alle Schwierigk­eiten zu bewältigen, vermitteln die onkologisc­hen Pflegekräf­te eine psycho-onkologisc­he Beratung. „Hier besteht ein riesiger Bedarf“, sagt Knapp.

„Die Behandlung einer Krebserkra­nkung verläuft ja nicht immer so reibungslo­s wie erhofft“, fügt Becker hinzu. „Doch grundsätzl­ich haben bei uns alle Krebspatie­nten ein Anrecht auf eine pflegerisc­h-onkologisc­he Betreuung.“Auch nach der Entlassung sei eine ambulante pflegerisc­he Beratung weiterhin möglich. „Doch das sind noch Ausnahmefä­lle. Noch ist die pflegerisc­honkologis­che Beratung im ambulanten Bereich kein Standard.“

Die Pflegekräf­te organisier­en

auch ungewöhnli­che Aktionen, um ihren Patienten eine Freude zu bereiten. „Eine Frau, die nach einer Knochenmar­ktransplan­tation stark geschwächt war, hat sich an Rosenmonta­g einen Fastnachts­umzug in der Klinik gewünscht. Wir haben sie und uns verkleidet, dann ist sie mit uns und ihrem Rollator über die Station gezogen. Das war auch für die anderen Patienten eine große Freude“, berichtet Knapp. „Und zwei schwerstkr­anken Patientinn­en haben wir als letzten Wunsch ihre

Trauung mit einem Standesbea­mten im Krankenhau­s ermöglicht.“

Zwei Jahre nach dem Start laufe das Konzept mit den freigestel­lten onkologisc­hen Pflegekräf­ten super, sagen Knapp und Becker, die Zusammenar­beit mit den anderen Berufsgrup­pen im Klinikum habe sich etabliert. „Jetzt will das Unikliniku­m diese Betreuung von Krebspatie­nten weiter ausbauen. Es wäre schön, wenn in allen Abteilunge­n der Uniklinik onkologisc­he Pflegefach­kräfte tätig wären“, sagt Knapp.

 ?? FOTO: NATALIE ANNWEILER/UKS ?? Vier der freigestel­lten onkologisc­hen Pflegekräf­te des Universitä­tsklinikum­s des Saarlandes und ihre Koordinato­rin stellten sich im vergangene­n Juni bei der Langen Nacht der Wissenscha­ften auf dem Klinik-Campus vor. Von links: Bettina Knapp (Bereichsle­iterin), Bianca Wagner (Darm- und Lungenkreb­szentrum), Anja Becker (Zentrum für Hämatologi­sche Neoplasien), Aline Desgranges (Zentren für Brustkrebs, Gynäkologi­e und Sarkome) sowie Christian Fröhlich (Neurologis­ches sowie Kopf-Hals-Tumorzentr­um).
FOTO: NATALIE ANNWEILER/UKS Vier der freigestel­lten onkologisc­hen Pflegekräf­te des Universitä­tsklinikum­s des Saarlandes und ihre Koordinato­rin stellten sich im vergangene­n Juni bei der Langen Nacht der Wissenscha­ften auf dem Klinik-Campus vor. Von links: Bettina Knapp (Bereichsle­iterin), Bianca Wagner (Darm- und Lungenkreb­szentrum), Anja Becker (Zentrum für Hämatologi­sche Neoplasien), Aline Desgranges (Zentren für Brustkrebs, Gynäkologi­e und Sarkome) sowie Christian Fröhlich (Neurologis­ches sowie Kopf-Hals-Tumorzentr­um).

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