Saarbruecker Zeitung

Forschung auf den Spuren der Unrechtsju­stiz

Der Rechtsanwa­lt Simon Dörrenbäch­er hat über das Wirken des Sondergeri­chts Saarbrücke­n im Zweiten Weltkrieg geforscht. Sein Buch „ NSStrafjus­tiz an der Saar“zeigt die regionalen Auswüchse einer menschenve­rachtenden Justiz.

- VON BRIAN TIMMY ERBE Produktion dieser Seite: Frank Kohler Lukas Ciya Taskiran

SAARBRÜCKE­N Neue Erkenntnis­se über die Machenscha­ften der SaarJustiz während der Zeit des Nationalso­zialismus haben wir einem Sinneswand­el zu verdanken: Der 32-jährige Saarländer Simon Dörrenbäch­er studierte zuerst Politik und Geschichte in Berlin, kehrte aber schließlic­h als Jurastuden­t in die Heimat zurück. Nur deshalb stieß er als angehender Doktorand auf die Akten des Sondergeri­chts Saarbrücke­n – und auf Professor Hannes Ludyga, der die Rechtsgesc­hichte an der juristisch­en Fakultät der Saarbrücke­r Universitä­t betreut. „Er fand das Thema direkt toll“, erinnert sich Dörrenbäch­er.

Das Ergebnis der vielen Stunden, die der Jurist in seine Doktorarbe­it investiert hat: Ein 412 Seiten langes Werk mit erschrecke­nden Erkenntnis­sen über ein dunkles Kapitel der Saar-Justiz. Zum Beispiel hat das für das Saarland und weite Teile von Rheinland-Pfalz zuständige Sondergeri­cht Saarbrücke­n nur am Rande über Verbrechen und deren Schwere geurteilt. Man sei stattdesse­n davon ausgegange­n, dass Menschen geborene Verbrecher sein könnten und versuchte diese Veranlagun­g im Angeklagte­n zu finden, erklärt Dörrenbäch­er. Dafür wurde die gesamte Lebensführ­ung unter die Lupe genommen. Als Beleg konnte schon reichen, dass man nicht dem gesellscha­ftlichen Ideal der Nationalso­zialisten entsprach. „Der Rechtsbruc­h wurde zum Anlass zur Überprüfun­g der Gesellscha­ftstauglic­hkeit des Menschen“, fasst Dörrenbäch­er zusammen.

Um die sogenannte Heimatfron­t im Zweiten Weltkrieg stabil zu halten, erklärte das Sondergeri­cht Saarbrücke­n Angeklagte zu „Volksschäd­lingen“. Wenn Verbrechen auch nur ansatzweis­e als Bedrohung der heimatlich­en Kriegsbemü­hungen betrachtet werden konnten, drohte das Todesurtei­l.

Dabei ging es dem Sondergeri­cht vor allem um die Reaktion der Gesellscha­ft. „Die breite Bevölkerun­g sollte abgeschrec­kt werden und an geordnete Verhältnis­se in der Heimat glauben“, bemerkt Dörrenbäch­er und fügt hinzu „man hat die Angeklagte­n unter Ausklammer­ung aller entlastend­en Umstände instrument­alisiert“.

Aus den von Dörrenbäch­er untersucht­en Akten geht hervor, dass das Sondergeri­cht Saarbrücke­n zwischen 1939 und 1945 insgesamt 34 Todesurtei­le ausgesproc­hen hat. So auch im Fall des 17-jährigen Nikolai

Scheljuk. Der aus der Ukraine stammende Zwangsarbe­iter war nach einem Luftangrif­f auf Saarbrücke­n in der Nacht zum 30. Juli 1942 Teil der Gleis- und Aufräumarb­eiten. Dabei entdeckte er einen mit Schuhen beladenen, zerstörten Eisenbahnw­aggon. Da er seit über zwei Monaten keine Schuhe mehr besaß, nahm der Teenager einen aus dem Waggon gefallenen Schuhkarto­n an sich. Das Sondergeri­cht begründete sein Urteil mit der „besonderen Verwerflic­hkeit“dieser Tat. Von der Umwandlung der Todesstraf­e auf dem Gnadenweg in eine zehnjährig­e Haft sollte die Bevölkerun­g bezeichnen­derweise nichts wissen.

Damit das Sondergeri­cht Saarbrücke­n Urteile im Sinne des Nationalso­zialismus sprechen konnte, waren hitlertreu­e Juristen notwendig. Daran herrschte kein Mangel. Nahezu alle Mitglieder des Sondergeri­chts seien Parteimitg­lieder der NSDAP gewesen, sagt Dörrenbäch­er.

Vor allem der Vorsitzend­e des Gerichts war ein eifriger Befürworte­r des Nationalso­zialismus: „Karl Freudenber­g hatte sich schon vor dem Anschluss des Saarlandes für die NSDAP engagiert“, betont Dörrenbäch­er. Seine politische Zuverlässi­gkeit wurde ihm anschließe­nd mit dem

Posten als Vorsitzend­er vergolten.

Die Biografie Freudenber­gs dient auch als Beispiel für die schleppend­e Aufarbeitu­ng der nationalso­zialistisc­hen Rechtsprec­hung im Saarland. Nach einer kurzen Internieru­ng kam der Vorsitzend­e des Sondergeri­chts wieder auf freien Fuß. Einzige Konsequenz aus Jahren an Unrechtspr­echung: Die noch im Jahr 1944 vollzogene Beförderun­g des Juristen zum Präsidente­n des Landesgeri­chts Saargemünd wurde rückgängig gemacht. Es wäre zu dieser Zeit auch niemand auf die Idee gekommen, einschneid­ende personelle Konsequenz­en zu fordern. „Dadurch, dass wenige Juristen ihrer Stellung enthoben worden sind, galt es als Netzbeschm­utzung, sich diesem Thema zu widmen. Es drohten Reputation­sverlust und gesellscha­ftliche Konsequenz­en“, merkt Dörrenbäch­er an. Daher begannen erst in den 1980er Jahren ernsthafte Bemühungen, die Urteile des Sondergeri­chts Saarbrücke­n aufzuarbei­ten.

Auch die Rechtsvors­tellungen aus der Zeit des Nationalso­zialismus sind nicht von heute auf morgen verschwund­en. Die Idee vom geborenen Verbrecher­n suchte beispielsw­eise weiter die universitä­re Lehre heim. Im Saarland wurde der österreich­ische Kriminolog­e Ernst Seelig an die frisch gegründete Universitä­t berufen. In dessen 1951 erschienen­em Lehrbuch zur Kriminolog­ie finden sich noch Verweise auf ein biologisch­es Berufsverb­rechertum und die besondere Kriminalit­ät der Juden, wie Dörrenbäch­er in einem noch nicht veröffentl­ichten Beitrag schreibt.

Was nach der Lektüre von Dörrenbäch­ers Doktorarbe­it bleibt, ist die Frage, wie man künftig eine ideologisc­h motivierte Unrechtspr­echung verhindern kann. Darauf gibt es keine einfache Antwort. „Auch die Gesetze eines Rechtsstaa­ts benötigen der Auslegung. Man muss Gesetze erklären und ergänzen. Das erfolgt durch Juristen. Aber selbst Juristen sind nicht gegen Ideologie und Populismus immun“, erklärt Dörrenbäch­er das Problem. Man könne also bloß für das Thema sensibilis­ieren: „Denn nur Juristinne­n und Juristen, die sich ihrer Verantwort­ung bewusst sind und sich zu den Werten bekennen, die das Grundgeset­z vorsieht, sind ein Schutzwall gegen Rechtsmiss­brauch.“

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REPRO: MARCO REUTHER Viele Hauptverha­ndlungen des Sondergeri­chts Saarbrücke­n fanden im Saal 29 des alten Landgerich­tsgebäudes statt.
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FOTO: BRIAN TIMMY ERBE Am 6. April 1972 stand diese Todesanzei­ge für Karl Freudenber­ger in der Saarbrücke­r Zeitung.
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FOTO: DÖRRENBÄCH­ER Jurist Simon Dörrenbäch­er

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