Berlin, Paris und eine Achse für Europa
Europa, das Friedensprojekt, muss durch ungemütliche Zeiten. Womöglich auch durch einen Sturm. Für Deutschland und Frankreich, die beiden Staaten, deren Regierungen sich als Antriebsachse für Europa sehen, kann dies nur bedeuten: Sie sollten so eng wie möglich zusammenarbeiten, so einig wie möglich sein und möglichst wenig in Konkurrenz zueinanderstehen. Konkurrenz belebt das Geschäft? Nicht in diesem Fall, nicht in dieser Zeit, in der Frieden und Freiheit für den alten Kontinent längst nicht mehr garantiert sind.
Was mindestens für eine, vermutlich für zwei Generationen als Selbstverständlichkeit galt, ist spätestens mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine überholt. Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Frieden, Freiheit und Demokratie müssen verteidigt werden – im schlimmsten Fall mit den Mitteln von Streitkräften. Vor allem braucht es für Frieden und Freiheit in Europa Regierungen, die das politische Gebilde einer Europäischen Union auch tatsächlich anführen. Berlin und Paris sollten sich die europäische Vorreiterrolle teilen, indem sie gemeinsam dafür einstehen, erst recht, seit Großbritannien mit seinem Austritt ein Eigenleben führt. Der Antrittsbesuch des neuen französischen Premierministers Gabriel Attal bei Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin wäre eine Gelegenheit, das Verhältnis wieder aufzuladen. Vielleicht braucht es auf deutscher Seite auch mehr
Herz für eine Verbindung, die eine Herzensangelegenheit sein müsste. Eigentlich. Denn mehr als 60 Jahre nach Unterzeichnung des ÉlyséeVertrages durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle kommt es in Zeiten großer Umbrüche, neuer (Kriegs-)Gefahren und Angriffen gegen die EU auch von innen gerade darauf an, dass die immer wieder gerne bemühte deutschfranzösische Achse tatsächlich funktioniert und Europa wirklich antreibt. Die Achse Berlin-Paris wird ein bedeutendes Element des europäischen Motors bleiben.
Dazu gehört, dass eine Bundesregierung auf Angebote etwa der militärischen und sicherheitspolitischen Kooperation, wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron mehrfach gemacht hat, eingeht und sie nicht unbeantwortet lässt. Der Vorstoß von Macron, dem nuklearen Abwehrschirm Frankreichs eine europäische Dimension zu geben, ist eine Idee, über die man in Berlin zumindest nachdenken sollte, ohne damit gleich die nukleare Teilhabe in der Nato in Frage zu stellen oder sie gar zu beschädigen. Auch der deutschfranzösische Streit über den Abschluss eines Handelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten muss schnell beigelegt werden, weil Europa Wachstumsmärkte braucht.
Europa muss sich ohnehin für den Fall rüsten, wenn der irrlichternde Donald Trump im November ein zweites Mal als US-Präsident gewählt werden sollte. Danach könnte vom Atlantik eine anhaltende Kaltfront nach Europa strömen – mit allen Folgen für die die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor wie auch für die Sicherheit zwischen Lissabon und Helsinki. Wenn zwei Staaten die wirtschaftliche und politische Kraft haben, das Friedensprojekt Europa zu retten, dann Deutschland und Frankreich. Doch dazu müssen sie sich einig sein. Voilà.