Der Förderturm, in dem niemals Kohle landete
Mehrmals drohte ihm der Abriss: Heute steht das besondere Gebäude mitten in einem Wohnviertel in Stiring-Wendel. Ein Besuch direkt hinter der Grenze.
Mitten in StiringWendel, in der Rue de l'ingénieur Kind, inmitten eines Wohngebiets aus den 1970er Jahren, steht ein Überrest des Bergbaus, den man dort nicht erwarten würde. Es handelt sich dabei um einen Malakow-Förderturm des Schachts Sainte-Marthe aus dem Jahr 1852. „Er ist nicht nur das älteste Gebäude der Gemeinde, er ist einer von nur zwei gemauerten Fördertürmen in Frankreich. Und er ist der älteste in ganz Lothringen“, erklärt Audrey Escoin, Mitarbeiterin der Bibliothek von Stiring-Wendel, die sich mit der Geschichte des Orts gut auskennt.
Ab 1846 wurde in der Region von dem Eisenhüttenbetreiber Charles de Wendel nach Steinkohlevorkommen gesucht. Nach vielversprechenden Probebohrungen ließ der Ingenieur Karl Kind schließlich den Schacht Sainte-Marthe 1 abteufen und damit auch den Malakow-Förderturm errichten.
Malakow-Fördertürme sind im Gegensatz zu stählernen Fördergerüsten geschlossen und gemauert. Die massiven Bauten mit großen Wandstärken und einer zusätzlich versteifenden, runden Konstruktion im Turminneren ermöglichten, die großen Zugkräfte aufzufangen. So erinnern diese Fördertürme an Architekturen von Festungsbauwerken, oder wie hier in Stiring-Wendel, sogar entfernt an eine Kapelle.
Der über dem Schacht SainteMarthe 1 errichtete Malakow-Förderturm ist ein beeindruckendes, denkmalgeschütztes Bauwerk mit großen Rundbogenfenstern an den Seiten und einem Rundfenster im Dreiecksgiebel über dem Eingang. Die Außenwand zur Straße hin ist heute über drei Etagen verglast. Der Turm wurde aus verschiedenfarbigem Sandstein errichtet. Und er hat eine ungewöhnliche Geschichte.
Denn obwohl zur Kohleförderung gebaut, wurde hier nie Kohle abgebaut. „Obwohl hier bis zu einer Tiefe von 110,50 Metern, später sogar bis zu 166 Metern Tiefe gebohrt wurde, und man mächtige Pumpen nutzte, förderte man nur Wasser. Es gelang nicht, die Grube zu entwässern und Kohle zu fördern“, erklärt Audrey Escoin.
Allerdings machte man damals aus der Not eine Tugend. Und so diente die Puits Stainte-Marthe 1 samt Förderturm als Wasserreservoir für die benachbarte Fabrik „des anciennes forges“, in der Charles de Wendel bis 1897 Eisenbahnschienen herstellen ließ. „Anschließend wurde hier Trinkwasser für die Gemeinde gefördert, gerade während der Kriegsjahre 1944 und 1945 war das eine große Hilfe für die Bevölkerung“.
In den 1950er Jahren versiegte das Wasser, ab 1957 wurde kein Wasser mehr gefördert, die elektrische Pumpe wurde abgebaut und das Gebäude aufgegeben. Fast 20 Jahre wurde der Malakow-Turm sich selbst überlassen, bis um ihn herum ein Wohngebiet entstand. Mit dem Bau der Häuser und Gebäude sollte der Turm im Jahr 1975 abgerissen werden. „Aber es gab zum Glück doch Interesse an dem Turm, und so kaufte im Jahr 1978 der damalige Bürgermeister Rémy Botz ihn für einen Franc“, so berichtet Audrey Escoin weiter. Damit wurde der Turm nicht nur gerettet, er wurde nun auch renoviert.
Seit Mai 1980 hat der Turm ein zweites Leben. 128 Jahre nach seiner Erbauung wird er nun für kulturelle Veranstaltungen genutzt und ein Verein, „les amis du Puits Ste Marthe“, erinnert an die Geschichte des Ortes. Im Jahr 1992 wurde der Turm unter Denkmalschutz gestellt, „nun darf er nicht mehr zerstört werden“, sagt Audrey Escoin. Da es im Inneren des Turms jedoch keine Heizung gibt – und geben darf – nagte der Zahn der Zeit an den Holzkonstruktionen.
Somit war eine erneute Sanierung im Jahr 2016 unerlässlich. Nun wurden die Fenster neu verzinkt, Gläser ausgetauscht, eine neue Eingangstür mit historischem Aussehen eingefügt, dazu wurde eine offene Stahltreppe eingebaut, die auf zwei unterschiedlich hohe Plattformen führt.
Der Turm hat heute innen drei Stockwerke, in denen moderne Stahlformen die steinernen Verstärkungskonstruktionen der Entstehungszeit kontrastieren. Gerade diese alten Sandsteineinbauten, deren runde Formen gut zu erkennen sind, und die noch Steinmetzzeichen der Erbauer zeigen und von der ursprünglichen Nutzung als Förderturm zeugen, geben dem Turm seinen unverkennbaren Charakter – und Charme. Man fühlt sich im Inneren fast an archäologische Ausgrabungen erinnert.
Heute wird der 172 Jahre alte, außergewöhnliche Turm jedes Jahr im September, zu den „Journées européennes du patrimoine“geöffnet und der Bevölkerung zugänglich gemacht. Und er dient für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen. „Aber nur in der warmen Jahreszeit“, fügt Audrey Escoin noch hinzu.