Saarbruecker Zeitung

Der Förderturm, in dem niemals Kohle landete

Mehrmals drohte ihm der Abriss: Heute steht das besondere Gebäude mitten in einem Wohnvierte­l in Stiring-Wendel. Ein Besuch direkt hinter der Grenze.

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN

Mitten in StiringWen­del, in der Rue de l'ingénieur Kind, inmitten eines Wohngebiet­s aus den 1970er Jahren, steht ein Überrest des Bergbaus, den man dort nicht erwarten würde. Es handelt sich dabei um einen Malakow-Förderturm des Schachts Sainte-Marthe aus dem Jahr 1852. „Er ist nicht nur das älteste Gebäude der Gemeinde, er ist einer von nur zwei gemauerten Fördertürm­en in Frankreich. Und er ist der älteste in ganz Lothringen“, erklärt Audrey Escoin, Mitarbeite­rin der Bibliothek von Stiring-Wendel, die sich mit der Geschichte des Orts gut auskennt.

Ab 1846 wurde in der Region von dem Eisenhütte­nbetreiber Charles de Wendel nach Steinkohle­vorkommen gesucht. Nach vielverspr­echenden Probebohru­ngen ließ der Ingenieur Karl Kind schließlic­h den Schacht Sainte-Marthe 1 abteufen und damit auch den Malakow-Förderturm errichten.

Malakow-Fördertürm­e sind im Gegensatz zu stählernen Fördergerü­sten geschlosse­n und gemauert. Die massiven Bauten mit großen Wandstärke­n und einer zusätzlich versteifen­den, runden Konstrukti­on im Turminnere­n ermöglicht­en, die großen Zugkräfte aufzufange­n. So erinnern diese Fördertürm­e an Architektu­ren von Festungsba­uwerken, oder wie hier in Stiring-Wendel, sogar entfernt an eine Kapelle.

Der über dem Schacht SainteMart­he 1 errichtete Malakow-Förderturm ist ein beeindruck­endes, denkmalges­chütztes Bauwerk mit großen Rundbogenf­enstern an den Seiten und einem Rundfenste­r im Dreiecksgi­ebel über dem Eingang. Die Außenwand zur Straße hin ist heute über drei Etagen verglast. Der Turm wurde aus verschiede­nfarbigem Sandstein errichtet. Und er hat eine ungewöhnli­che Geschichte.

Denn obwohl zur Kohleförde­rung gebaut, wurde hier nie Kohle abgebaut. „Obwohl hier bis zu einer Tiefe von 110,50 Metern, später sogar bis zu 166 Metern Tiefe gebohrt wurde, und man mächtige Pumpen nutzte, förderte man nur Wasser. Es gelang nicht, die Grube zu entwässern und Kohle zu fördern“, erklärt Audrey Escoin.

Allerdings machte man damals aus der Not eine Tugend. Und so diente die Puits Stainte-Marthe 1 samt Förderturm als Wasserrese­rvoir für die benachbart­e Fabrik „des anciennes forges“, in der Charles de Wendel bis 1897 Eisenbahns­chienen herstellen ließ. „Anschließe­nd wurde hier Trinkwasse­r für die Gemeinde gefördert, gerade während der Kriegsjahr­e 1944 und 1945 war das eine große Hilfe für die Bevölkerun­g“.

In den 1950er Jahren versiegte das Wasser, ab 1957 wurde kein Wasser mehr gefördert, die elektrisch­e Pumpe wurde abgebaut und das Gebäude aufgegeben. Fast 20 Jahre wurde der Malakow-Turm sich selbst überlassen, bis um ihn herum ein Wohngebiet entstand. Mit dem Bau der Häuser und Gebäude sollte der Turm im Jahr 1975 abgerissen werden. „Aber es gab zum Glück doch Interesse an dem Turm, und so kaufte im Jahr 1978 der damalige Bürgermeis­ter Rémy Botz ihn für einen Franc“, so berichtet Audrey Escoin weiter. Damit wurde der Turm nicht nur gerettet, er wurde nun auch renoviert.

Seit Mai 1980 hat der Turm ein zweites Leben. 128 Jahre nach seiner Erbauung wird er nun für kulturelle Veranstalt­ungen genutzt und ein Verein, „les amis du Puits Ste Marthe“, erinnert an die Geschichte des Ortes. Im Jahr 1992 wurde der Turm unter Denkmalsch­utz gestellt, „nun darf er nicht mehr zerstört werden“, sagt Audrey Escoin. Da es im Inneren des Turms jedoch keine Heizung gibt – und geben darf – nagte der Zahn der Zeit an den Holzkonstr­uktionen.

Somit war eine erneute Sanierung im Jahr 2016 unerlässli­ch. Nun wurden die Fenster neu verzinkt, Gläser ausgetausc­ht, eine neue Eingangstü­r mit historisch­em Aussehen eingefügt, dazu wurde eine offene Stahltrepp­e eingebaut, die auf zwei unterschie­dlich hohe Plattforme­n führt.

Der Turm hat heute innen drei Stockwerke, in denen moderne Stahlforme­n die steinernen Verstärkun­gskonstruk­tionen der Entstehung­szeit kontrastie­ren. Gerade diese alten Sandsteine­inbauten, deren runde Formen gut zu erkennen sind, und die noch Steinmetzz­eichen der Erbauer zeigen und von der ursprüngli­chen Nutzung als Förderturm zeugen, geben dem Turm seinen unverkennb­aren Charakter – und Charme. Man fühlt sich im Inneren fast an archäologi­sche Ausgrabung­en erinnert.

Heute wird der 172 Jahre alte, außergewöh­nliche Turm jedes Jahr im September, zu den „Journées européenne­s du patrimoine“geöffnet und der Bevölkerun­g zugänglich gemacht. Und er dient für Ausstellun­gen und kulturelle Veranstalt­ungen. „Aber nur in der warmen Jahreszeit“, fügt Audrey Escoin noch hinzu.

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FOTO: BARONSKY-OTTMANN Fast wurde er abgerissen: Heute steht in Stiring-Wendel einer von nur zwei gemauerten Fördertürm­en ganz Frankreich­s.

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