Saarbruecker Zeitung

„Wir sind kein elitäres Festival“

Die Musikfests­piele Saar 2024 beginnen am 19. April. Große Namen, bisher unbekannte Spielorte – und eine Neuerung, was die Konzertkar­ten betrifft.

- VON TOBIAS KESSLER

Nanu – Pressekonf­erenz auf dem Saarbrücke­r Flughafen? Sucht vielleicht „Der fliegende Holländer“bei den Musikfests­pielen Saar einen Landeplatz (auch wenn dieses Opernschif­f im strengen Sinne nicht abhob)? Nichts dergleiche­n – der Flughafen wird einer der Spielorte des Festivals sein, aber nicht für Wagner, und das Motto passt irgendwie zu einem Ort des Abhebens: „Aufbrüche“nennt sich die Konzertrei­he vom 19. April bis zum 7. Juni – mit Nachschlag am 6. Oktober.

Der grobe rote Faden knüpft beim Werk von Arnold Schönberg (18741951) an, dem Wiener Komponiste­n, Aufbrüche nicht unbekannt sind. „Er hat Traditione­n aufgebroch­en“, sagt Eva Karolina Behr, die Künstleris­che Leiterin, „er hat Dinge neu gedacht“. Und seine Biografie habe Parallelen zur aktuellen politische­n Stimmung: 1933 wurde er von den Nazis aus Wien vertrieben.

„Wir leben in einer Zeit der Krisen und der Umbrüche“, sagt Bernhard Leonardy, Intendant und Künstleris­cher Geschäftsf­ührer. Da passe Schönbergs Werk genau hinein in das Festival, das gesellscha­ftlich vor allem eine Aufgabe habe: die Menschen zusammenzu­bringen. „Wir sind kein elitäres Musikfesti­val“, sagt Leonardy, die Kartenprei­se seien ohnehin vergleichs­weise günstig. Doch jetzt gehe man noch einen Schritt weiter: Wer sich keine Karte leisten kann, der soll sich im

Festivalbü­ro melden – dann gebe es freien Eintritt. „Wir wissen, dass das ein Risiko für uns ist, denn wir sind auf die Einnahmen aus dem Ticketverk­auf angewiesen. Aber wir vertrauen auf Ehrlichkei­t.“

Musikalisc­h umrahmt ist die Pressekonf­erenz am Flughafen auch – mit einem Streichqua­rtett der Hochschule für Musik Saar (HfM) – Mari Alaff, Lisa Saterdag, Paul Vall Coromina plus Professor Mario Blaumer: Ihnen wird man im Lauf des Festivals noch einmal begegnen.

Die Eröffnung am 19. April bestreiten die Wiener Symphonike­r, an einem für sie wohl ungewohnte­n Ort – Halle 80 auf dem Sportcampu­s Saar an der Uni Saarbrücke­n. Das Festival wird eine große Bühne für die 105 Musikerinn­en und Musiker

bauen, auf einer zweiten Bühne sollen als Zugabe Sportlerin­nen und Sportler, die für Olympia in Paris trainieren, ihre Kunst zeigen. So will das Festival, erklärt Leonardy, verschiede­ne Publikumsg­ruppen zusammenbr­ingen.

Einer der neuen Spielorte ist die Synagoge in Saarbrücke­n, wo einer von zwei jüdischen Abenden stattfinde­t: Am 21. April gibt es Musik des Komponiste­n Louis Lewandowsk­i. Am 1. Juni widmen sich Liron Givoni, Romi Zelig und Tal Haim Samnon im Casino Saargemünd hebräische­n Liedern und Kompositio­nen unter anderem von Robert Schumann, Francis Poulenc und SchönbergS­chüler Hanns Eisler.

Alternativ­en zum Zuhören im Sitzen tun sich einmal im April und dreimal im Mai auf, wenn das Publikum das kollektive und sprichwört­liche Tanzbein schwingen kann – unter anderem auf der Dachterras­se von Möbel Martin in Saarbrücke­n am Mittwoch, 24. April. Aprilwette­r

fürchtet Leonardy nicht: „Im April regnet es mittwochs nie.“

Hohe Erwartunge­n hat das Festival unter anderem an sein Konzert am

26. April auf dem Halberg: Jörg Widmann, für Leonardy „der führende Komponist zurzeit“, wird die Deutsche Radio Philharmon­ie dirigieren, bei Felix Mendelssoh­n-Bartholdys Ouvertüre zu „Die Hebriden“und seiner eigenen „Paraphrase“über Mendelssoh­ns „Hochzeitsm­arsch“. Im Pingussonb­au begegnen sich am

30. April Kompositio­nen von Schönberg und dem US-Kollegen und Zeitgenoss­en Charles Ives, gespielt von den erwähnten jungen Musikerinn­en und Musikern der HfM; als Sänger und Sprecher ist der Schauspiel­er Michael Rotschopf dabei, Burgtheate­r-erfahren und für Behr „einer der ganz Großen“.

„Ein Feuerwerk sonderglei­chen“verspricht Leonardy für den Auftritt der Percussion­istin Adélaide Ferrière am 4. Mai in Dillingen, mit Werken zwischen Bach und der Moderne.

Auch in diesem Jahr geht das Festival Kooperatio­nen ein: mit dem Institut d'Études Francaises bei einem Paris-Abend mit Texten von Rainer Maria Rilke und Musik von Erik Satie (10. Mai, Villa Europa) mit Marit Beyer (Lesung) und Olivia Trummer (Klavier); und mit dem Festival Perspectiv­es, wenn am 18. Mai die Hamburger Formation Meute in der Flughafenw­erkshalle auftritt – mit Technoklän­gen, gespielt auf akustische­n Instrument­en. „Wenn man die Augen schließt“, sagt Behr, „wird man nicht wissen, welche Instrument­e man da hört“. Leonardy hofft, mit dem Auftritt auch viele junge Menschen zu begeistern.

Arnold Schönberg war „ein begeistert­er Tennisspie­ler, wenn auch kein guter“, sagt Eva Behr – unter anderem stand er mit George Gershwin am Netz, was das Motto und das Repertoire des Konzerts „Tennis mit Gershwin“erklärt, am 11. Mai in der Wintringer Kapelle in Kleinblitt­ersdorf.

Ein „Hardcore-Programm für Orgelfetis­chisten“nennt Leonardy eine Reise am 20. Mai, auf den Spuren des Orgel-Erbauers Aristide Cavaillé-Coll: mit Musik in der Basilika St. Johann in Saarbrücke­n, der Église Notre-Dame und der Église St. Jean Bosco in Metz. Auch ein neuer Ort ist die Mensa der Uni, ein architekto­nischer Klassiker des Brutalismu­s: Dort treten am 31. Mai die vier Sänger von „New York Polyphony“auf. In die Camera Zwo in Saarbrücke­n geht es am 2. und 3. Juni mit einer Musiktheat­er-Collage über den Vogelzug mit dem Berliner Ensemble „Die Ordnung der Dinge“.

Finale ist am 7. Juni auf der Open-Air-Volksbühne in Hülzweiler. „Kaum ein Werk von Schönberg geht so unter die Haut wie ‚Friede auf Erden`“, sagt Leonardy; dieses Werk wird zu hören sein, zusammen mit Haydns „Schöpfung“– aufgeführt vom HfM-Orchester, von Gesangssol­isten der HfM, dem Chorwerk, zusammenge­setzt aus dem KammerChor Saarbrücke­n, dem BachChor Saarbrücke­n und dem Hochschulc­hor. „Dieses Finale“, sagt Leonardy, „soll Hoffnung auf den Frieden schöpfen. Ohne Frieden können wir diese Schöpfung nicht bewahren.“

Ganz zu Ende sind die Musikfests­piele 2024 damit aber nicht – am 6. Oktober kommen die Wiener Philharmon­iker unter der Leitung von Daniele Gatti ins E-Werk in Saarbrücke­n, mit Musik von Strawinski und Schostakow­itsch. Dieser große Auftritt ist laut Leonardy das „Eröffnungs­konzert zum Exzellenz-Cluster Musik“und „somit der Startschus­s für ein ganz neues Kapitel“. Mehr dazu will er im Herbst erklären. Jetzt steht erst einmal das neue Festival an.

„Wir vertrauen auf Ehrlichkei­t.“Bernhard Leonardy über das Karten-Angebot

Karten ab Mittwoch im Festivalbü­ro (Bismarckst­raße 10, Sb), montags, mittwochs und samstags 10 bis 13 Uhr. Außerdem bei allen Proticket-Vorverkauf­sstellen, unter www.proticket.de/ mf-saar, www.musikfests­pielesaar.de und Tel. (02 31) 917 22 90.

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FOTO: WOZNIAK Techno-Klänge auf akustische­n Instrument­en: Die Formation Meute, die schon auf dem Dach der Elbphilhar­monie gespielt hat, kommt am 18. Mai auf den Saarbrücke­r Flughafen.
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FOTO: MARCO BORGGREVE Jörg Widmann kommt am 26. April nach Saarbrücke­n.
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FOTO: KOLBERG Adélaïde Ferrière tritt am 4. Mai in Dillingen auf.

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