„Wenn ich komponiere, folge ich dem Herzen“
Der Trompeter spricht vor seinem Gastspiel im Saarländischen Staatstheater über seinen Bezug zu Jazz und die nächsten Projekte.
SAARBRÜCKENTrompeter Nils Wülker ist einer der renommiertesten und vielseitigsten deutschen Jazzmusiker. Der 46-Jährige kommt am 24. Februar ins Saarländische Staatstheater und trifft dort beim „Trompetentreff“auf seine beiden Kollegen aus der Klassik, Reinhold Friedrich und Gabor Reiter.
Was ist das für ein Konzert, der „Trompetentreff“?
WÜLKER Das war eine Idee des Orchesters um die Bandbreite der Trompete abzubilden, bei der es eine klassische Konzerthälfte gibt und zum anderen meine Musik. Ich finde das auch schön, weil die Trompete einfach eine unglaubliche klangliche Vielfalt bietet. Es ist mit das Faszinierendste an dem Instrument. Ich empfinde sie, gerade wie ich sie spiele, sehr nahe an der menschlichen Stimme. Man hat all die emotionalen Ausdrucksformen, man kann sie richtig fragil spielen bis hin zum Strahlend-Heroischen. Letzteres verbindet man eher mit der Trompete. Man kann weich klingen oder rau. Das Instrument bietet eine unglaubliche Ausdrucksvielfalt. Die findet sich an diesem Abend sicher wieder.
In den letzten Jahren hat sich der Jazz in eine Richtung entwickelt, für die es eigentlich noch keine Bezeichnung gibt. Man fragt sich auch, ob man überhaupt noch Jazz dazu sagen kann. Wie würden Sie die Musik, die Sie da spielen, für jemanden beschreiben, der Sie nicht kennt?
WÜLKER Das ist im Jazz verwurzelte Musik, die aber auch vielfältige andere Einflüsse hat. Sie ist sehr atmosphärisch und emotional. Viele Menschen reagieren auch sehr assoziativ darauf, das finde ich auch sehr schön. Jazz ist meinem Verständnis nach immer eine sehr offene Kunstform, die wie ein Schwamm alles Mögliche aufsaugt. Insofern finde ich es auch logisch, dass sich die Vielfalt des Jazz mit jedem Jahr erweitert, weil es immer neue Einflüsse gibt. Aber ich bin natürlich auch mit ganz viel europäischer Klassik und mit Popmusik aufgewachsen. Da möchte ich gar nicht bewusst irgendwelche Einflüsse auszugrenzen. Wenn ich komponiere, folge ich allein dem Herzen und dem eigenen Geschmack.
Auch heute noch gibt es noch Vorurteile gegenüber Jazz, dass Leute nicht auf ein Konzert gehen, wenn diese Genrebezeichnung dabei steht. Sie verbinden das mit schwierigen, anstrengenden Klängen. Das ist ja bei Ihnen genau das Gegenteil.
WÜLKERGenau. Insofern würde ich zu meiner Beschreibung gerne noch das Adjektiv melodisch hinzufügen. Ich mag gesangliche Melodien. Das Instrument Trompete ist mir näher als meine Stimme. Ich habe darauf das Gefühl mich direkt ausdrücken zu können. Sie ist gefühlt meine Stimme. Vielleicht ist deswegen meine Musik sehr gesanglich, sehr unmittelbar im Ausdruck.
Sie sind passionierter Bergsteiger und -wanderer. Fallen Ihnen dort in der stillen Bergwelt Melodien ein?
WÜLKERMeistens nicht beim Bergsteigen, eher, wenn ich wieder zuhause bin. Eine Parallele von Bergsteigen und Musikmachen ist für mich, dass es zwei Lebensbereiche sind, in denen es mir gelingt, ganz bei mir zu sein. Letztes Jahr habe ich zum Beispiel erlebt, dass ich auf Tournee war, aber mich vorher an der Schulter verletzt hatte. Die Reiserei, der Soundcheck, alles war mühsam. Aber auf der Bühne war das einfach weg. Im besten Fall ist es so: Wenn ich auf der Bühne mit anderen Menschen für andere Menschen Musik mache, dann gehe ich ganz auf in diesem Moment. Ähnlich ist es, wenn ich in den Bergen bin, dann habe ich das intensive Erlebnis, dass ich dann nur da vor Ort bin. Dann komme ich aufgetankt und inspiriert zurück.
Was muss man als Musiker tun, um sich vom Rest der Masse abzuheben?
WÜLKER Ich hatte schon einen sehr glücklichen Start… das Erweckungserlebnis war mit Miles Davis. Ich dachte, da ist ein Künstler, der ist einfach unverwechselbar,
in dem, was er macht. Er hat seine Bands und seine eigenen Visionen, die er verfolgt. Das war immer der Traum. Ich wollte nicht Jazztrompete lernen, um dann möglichst viele Bereiche abzudecken, sondern eine eigene künstlerische Vision und Zielsetzung haben, das war immer das Leitbild. Das habe ich immer sehr verfolgt und von Anfang immer
Musik komponiert. Ich habe schon früh ein erstes eigenes Album gemacht und hatte dann auch noch das Glück, dass Sony das veröffentlicht hat. Das war noch während des Studiums und hat für eine große Aufmerksamkeit gesorgt.
Was für ein Album kommt als Nächstes von Ihnen?
WÜLKER Ein akustisches Band-Album. Die letzten Band-Alben waren eher produzierter, gerade das letzte, „Go“, war mit sehr vielen Synthesizern, oft auch programmiert. Während der Pandemie habe ich drei Alben gemacht, was sehr schön war, so viel kreativen Output haben zu dürfen. Das hat mich auch vor dem mental belastenden Stillstand bewahrt. Dann gab es noch das Orchesterprojekt, das immer einen besonderen Platz für mich haben wird, weil man nicht alle Tage mit so einem tollen Klangkörper arbeiten kann. Danach kam mein DuoAlbum mit meinem guten Freund, dem Gitarristen Arne Jansen. Das war ein schöner Kontrast, nach dem großen Klangkörper wieder zur kleinstmöglichen Besetzung überzugehen. Jetzt möchte ich wieder, was ich lange nicht gemacht habe, ein kleines akustisches Band-Setup aufnehmen. Aber das ist das erste Mal, dass ich darüber spreche!
Sie sind sehr von Miles Davis beeinflusst, der hat ja auch ganz unterschiedliche Schaffensphasen durchgemacht – was ist denn Ihr Lieblingsalbum von ihm?
„Jazz ist meinem Verständnis nach immer eine sehr offene Kunstform, die wie ein Schwamm alles Mögliche aufsaugt.“Nils Wülker
WÜLKER Das erste, was ich gehört habe, war „Kind of Blue“von 1959, das hat mich elektrisiert. Aber auch das zweite Quintett, das er in den Sechzigern hatte. Und auch die Jazzrock-Sachen wie „Bitches Brew“finde ich gut. Ich hatte ja damals mit 16 Jahren überhaupt keine Berührungspunkte mit Jazz. Ich habe mir einfach den Namen gemerkt und bin in einen Plattenladen gegangen. Da war ich dann völlig überfordert von der Vielzahl der Alben. Also habe ich das bestaussehende Midprize-Cover gekauft, das war dann „Tutu“(Album von 1986, Anm. der Red.)! Als ich das zuhause aufgelegt habe, hab ich die Welt nicht mehr verstanden. Ich musste mich dann erst vergewissern, dass das wirklich derselbe Typ ist. Dass er während seiner Karriere so eine riesige Bandbreite durchlaufen hat, ist für mich das eigentlich Faszinierendste. Und dass er darin in allem seinen eigenen Ton hatte und mit ganz wenig eine unglaubliche Intensität herstellen konnte. Das ist für mich die Messlatte. Es gibt ja auch Menschen, die nicht viel sagen und die auch nicht laut werden, aber wo das Gesagte eine unglaubliche Intensität besitzt. Miles Davis hatte das im musikalischen Ausdruck auf seinem Instrument.