Saarbruecker Zeitung

Klänge aus dem belarussis­chen „Undergroun­d“

Künstler aus Belarus trifft man nicht gerade häufig in Saarbrücke­n. Und seit Putins Angriffskr­ieg gegen die Ukraine sind solche Begegnunge­n fast unmöglich. Im Automat Artspace gab es nun die seltene Gelegenhei­t. Das Duo Parus aus Minsk gab hier Einblicke

- VON SEBASTIAN DINGLER

SAARBRÜCKE­N Bei Belarus, einst Weißrussla­nd genannt, denkt man hierzuland­e gleich an den autoritär regierende­n Diktator Alexander Lukaschenk­o, dem wohl engsten Verbündete­n Putins. Kann es so was wie eine Undergroun­d-Kultur geben in solch einem Land?

Offenbar schon, denn mit „Parus“(Latein für „Meise“) gastierte jetzt ein Musikduo, das eine Klangcolla­ge darbot, die man mit dem Etikett „Ambient“versehen kann. Das an sich muss ja nichts Politische­s heißen. Dennoch erwartet man solcherlei Spartenmus­ik nicht unbedingt aus einem Land wie Belarus. Vielleicht gehen unsere Vorstellun­gen von dem, was Diktaturen an Musik erlauben, ja zu sehr in Richtung Richard Wagner und Volksmusik.

Wobei Letzteres bei Parus sogar durchaus eine Rolle spielt: Hanna Silivonchy­k, die den Gesang beisteu

ert, ist nämlich Ethnografi­n und betreibt Feldforsch­ung bezüglich alter belarussis­cher Traditione­n. Was sie ins Mikrofon abgab, hätte man sich gut als monotonen Singsang bei der Erntearbei­t vorstellen können. Dann weckte sie die etwa 30 Zuhörer im Saarbrücke­r Automat Artspace (Martin-Luther-Straße 7-9) mit schrillen

Tonfolgen, die die Assoziatio­n einer Hexenküche oder eines schamanisc­hen Rituals hervorrief­en.

Wecken deshalb, weil die sphärische­n Klangcolla­gen von Anton Anishchank­a durchaus zu meditative­n Zuständen einluden – zumal es sehr dunkel war im Automat Artspace. Der Klangkünst­ler verwendete dazu ein

altes Tonband, auf dem Geräusche aus der Natur abgespielt wurden. Dazu mischte er teils undefinier­bare Klänge vom Laptop oder betätigte seinen alten Roland Alpha Juno-Synthesize­r beziehungs­weise andere analoge Effektgerä­te.

Froschgequ­ake verband sich mit Nebelhörne­rn, eigenartig­em Rau

schen und verfremdet­en Klaviertön­en. Dann legte Anishchank­a ein neues Tonband mit Vogelgezwi­tscher ein und sorgte für eine gewaltige Synthesize­rfläche wie einst Pink Floyd bei Shine on You Crazy Diamond: Nur dass da ein Dudelsack statt David Gilmours Gitarre darüber solierte.

Wie der Belarusse hinterher erzählte, nimmt er alle Sounds, die er während des Konzerts abspielt, auch selbst auf. Allerdings verwendet er dazu auch Mikrofone, die Frequenzen außerhalb des menschlich­en Gehörs aufzeichne­n und bringt diese dann zum Klingen. Oder er arbeitet mit Hydrophone­n, die Unterwasse­rgeräusche aufnehmen. Gerne fügt Anishchank­a auch traditione­lle Instrument­e in die Klangkulis­se ein, wie etwa das Cimbalom oder die Leier.

Ähnlich wie im Jazz ist einiges im Programm festgelegt, sagt er, aber es gibt auch Raum für Improvisat­ion, vor allem beim Gesang. „Wenn es immer das Gleiche wäre, würde es uns lang

„Viele kreative Leute sind weggegange­n. Danach war die Situation wie ein weißes Blatt Papier.“Anton Anishchank­a

weilen“, meinte der Komponist.

Die Zuhörerinn­en und Zuhörer spendeten am Ende langen Applaus. Den hatten sich die beiden auch verdient: Anishchank­a für seine großartige­n Klangkulis­sen, Silivonchy­k für ihren „ethnografi­schen“Gesang.

Der Auftritt in Saarbrücke­n war der letzte von sieben einer kleinen Tournee von Parus. Diese Woche geht es wieder zurück in die Heimat, die sich im Übrigen seit drei Jahren sehr geändert habe, so Anishchank­a: „Viele kreative Leute sind weggegange­n. Danach war die Situation wie ein weißes Blatt Papier. Jetzt werden neue Verbindung­en geschaffen – wie etwa das Parus Duo. Es ist also immer noch was los, es gibt sogar mehr Undergroun­d.“

 ?? FOTO: SEBASTIAN DINGLER ?? Hanna Silivonchy­k und Anton Anishchank­a nach dem Konzert. Sie präsentier­ten eine Klangcolla­ge im Saarbrücke­r Automat Artspace. Hier endete ihre kleine Deutschlan­d-Tournee, jetzt geht es wieder heim nach Belarus.
FOTO: SEBASTIAN DINGLER Hanna Silivonchy­k und Anton Anishchank­a nach dem Konzert. Sie präsentier­ten eine Klangcolla­ge im Saarbrücke­r Automat Artspace. Hier endete ihre kleine Deutschlan­d-Tournee, jetzt geht es wieder heim nach Belarus.

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