Klänge aus dem belarussischen „Underground“
Künstler aus Belarus trifft man nicht gerade häufig in Saarbrücken. Und seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sind solche Begegnungen fast unmöglich. Im Automat Artspace gab es nun die seltene Gelegenheit. Das Duo Parus aus Minsk gab hier Einblicke
SAARBRÜCKEN Bei Belarus, einst Weißrussland genannt, denkt man hierzulande gleich an den autoritär regierenden Diktator Alexander Lukaschenko, dem wohl engsten Verbündeten Putins. Kann es so was wie eine Underground-Kultur geben in solch einem Land?
Offenbar schon, denn mit „Parus“(Latein für „Meise“) gastierte jetzt ein Musikduo, das eine Klangcollage darbot, die man mit dem Etikett „Ambient“versehen kann. Das an sich muss ja nichts Politisches heißen. Dennoch erwartet man solcherlei Spartenmusik nicht unbedingt aus einem Land wie Belarus. Vielleicht gehen unsere Vorstellungen von dem, was Diktaturen an Musik erlauben, ja zu sehr in Richtung Richard Wagner und Volksmusik.
Wobei Letzteres bei Parus sogar durchaus eine Rolle spielt: Hanna Silivonchyk, die den Gesang beisteu
ert, ist nämlich Ethnografin und betreibt Feldforschung bezüglich alter belarussischer Traditionen. Was sie ins Mikrofon abgab, hätte man sich gut als monotonen Singsang bei der Erntearbeit vorstellen können. Dann weckte sie die etwa 30 Zuhörer im Saarbrücker Automat Artspace (Martin-Luther-Straße 7-9) mit schrillen
Tonfolgen, die die Assoziation einer Hexenküche oder eines schamanischen Rituals hervorriefen.
Wecken deshalb, weil die sphärischen Klangcollagen von Anton Anishchanka durchaus zu meditativen Zuständen einluden – zumal es sehr dunkel war im Automat Artspace. Der Klangkünstler verwendete dazu ein
altes Tonband, auf dem Geräusche aus der Natur abgespielt wurden. Dazu mischte er teils undefinierbare Klänge vom Laptop oder betätigte seinen alten Roland Alpha Juno-Synthesizer beziehungsweise andere analoge Effektgeräte.
Froschgequake verband sich mit Nebelhörnern, eigenartigem Rau
schen und verfremdeten Klaviertönen. Dann legte Anishchanka ein neues Tonband mit Vogelgezwitscher ein und sorgte für eine gewaltige Synthesizerfläche wie einst Pink Floyd bei Shine on You Crazy Diamond: Nur dass da ein Dudelsack statt David Gilmours Gitarre darüber solierte.
Wie der Belarusse hinterher erzählte, nimmt er alle Sounds, die er während des Konzerts abspielt, auch selbst auf. Allerdings verwendet er dazu auch Mikrofone, die Frequenzen außerhalb des menschlichen Gehörs aufzeichnen und bringt diese dann zum Klingen. Oder er arbeitet mit Hydrophonen, die Unterwassergeräusche aufnehmen. Gerne fügt Anishchanka auch traditionelle Instrumente in die Klangkulisse ein, wie etwa das Cimbalom oder die Leier.
Ähnlich wie im Jazz ist einiges im Programm festgelegt, sagt er, aber es gibt auch Raum für Improvisation, vor allem beim Gesang. „Wenn es immer das Gleiche wäre, würde es uns lang
„Viele kreative Leute sind weggegangen. Danach war die Situation wie ein weißes Blatt Papier.“Anton Anishchanka
weilen“, meinte der Komponist.
Die Zuhörerinnen und Zuhörer spendeten am Ende langen Applaus. Den hatten sich die beiden auch verdient: Anishchanka für seine großartigen Klangkulissen, Silivonchyk für ihren „ethnografischen“Gesang.
Der Auftritt in Saarbrücken war der letzte von sieben einer kleinen Tournee von Parus. Diese Woche geht es wieder zurück in die Heimat, die sich im Übrigen seit drei Jahren sehr geändert habe, so Anishchanka: „Viele kreative Leute sind weggegangen. Danach war die Situation wie ein weißes Blatt Papier. Jetzt werden neue Verbindungen geschaffen – wie etwa das Parus Duo. Es ist also immer noch was los, es gibt sogar mehr Underground.“