Saarbruecker Zeitung

Erster Geschichts­schreiber des „Blieslande­s“

Franz Karl Dercum ( geboren 1763) sammelte leidenscha­ftlich historisch­e Fundstücke und stellte sie in seinem Hanggarten am Stadtrand von Blieskaste­l effektvoll zur Schau.

- VON MARTIN BAUS Produktion dieser Seite: Peter Neuheisel Daniel Bonenberge­r

Herkules im Kampfe mit dem Nemäischen Löwen und dessen Wegführung des Cerberus aus dem Hades – man fand diese Steintafel auf einer Allmende des Dorfes Bierbach. Von da ließ es der Friedensri­chter Dercum in seinem Garten einmauern: Gleich mehrfach fällt dieser Name in jener 1852 erschienen­en Dokumentat­ion, die sich mit den Funden aus römischer Zeit im Königreich Bayern befasst. „Ein Achilles, der von Odysseus unter den Töchtern des Lycomedes aufgefunde­n“, „Diana im Bade, von Aktäon belauscht“sowie ein „Krieger mit seinem Köcher“– alle in Bierbach gefunden – stehen ebenfalls auf der Liste und werden als der „Dercumsche­n Sammlung zugehörig“genannt.

Franz Karl Dercum sammelte derlei „Alterthüme­r“nicht nur leidenscha­ftlich, er stellte sie in seinem Hanggarten am Stadtrand von Blieskaste­l zudem effektvoll zur Schau. Es war ihm daneben sehr daran gelegen, die antiken Fundstücke wie auch die Geschichte der Region kenntnis- und detailreic­h zu beschreibe­n. Ihn als Archäologe­n zu bezeichnen, der mit der Akribie dieser wissenscha­ftlichen Disziplin im heutigen Sinne systematis­ch nach den Spuren der Vergangenh­eit gegraben hat, geht sicherlich zu weit. Sein profundes Wissen, das einherging mit intuitivem Spürsinn und intensiver Kontaktpfl­ege mit den Menschen auf dem Land, machen ihn aber zweifelsoh­ne zu einem der Pioniere der Altertumsk­unde, wie sie vor mehr als 200 Jahren regelrecht in Mode kam. Seine zahlreiche­n Arbeiten brachten ihm den Ruf ein, einer der ersten „Geschichts­schreiber des Blieslande­s“zu sein, wie es in einer 1929 erschienen­en Biografie über ihn heißt.

Franz Karl Dercum wurde am 16. Mai 1763 auf Schloss Adendorf in der Eifel, 25 Kilometer südlich von Bonn gelegen, geboren. Sein Vater war Beamter in Diensten des Herrscherh­auses von der Leyen. Nachdem der Leyenhof seine Residenz von Koblenz nach Blieskaste­l verlegt hatte, erhielt er dort 1788 als Kanzlei-Sekretär eine Anstellung im Verwaltung­sdienst. Im Jahr darauf begann seine Tätigkeit im Archiv des Adelshause­s, eine Beschäftig­ung, die in ihm vermutlich die Passion für die Geschichts­forschung weckte. 1792 wurde er offiziell zu Archivar befördert, wobei er sowohl bei

Reichsgräf­in Marianne von Leyen als auch bei ihrem Sohn Prinz Philipp in hohem Ansehen stand. Die nun auf die saarpfälzi­sche Region übergreife­nde Französisc­he Revolution und die jahrzehnte­langen Turbulenze­n, die sie nach sich zog, bestimmten fortan das Leben von Dercum.

Von Westen her waren die Revolution­sarmeen bereits im Anmarsch, als er im Herbst 1792 die Order bekam, alle Papiere zu packen und für den Abtranspor­t fertig zu machen, die für die Leyen-Herrschaft von rechtliche­r Bedeutung waren. Während ein Teil der Akten bei Nacht und Nebel auf die Festung Ehrenbreit­stein bei Koblenz gebracht wurden, war Dercum damit befasst, für wichtige Schriftstü­cke an Ort und Stelle Verstecke zu finden. In vier verschiede­nen Varianten wurden die Papiere gesichert – so wurde beispielsw­eise das „Geheimarch­iv“zusammen mit dem wertvollen Tafelservi­ce in einem ungenutzte­n Kamin eingemauer­t. Bei Bürgern in der Stadt wurden außerdem einige „extravagan­te Piecen“in Sicherheit gebracht. Nachdem die Revolution­struppen in der Schlacht von Biesingen am 17. November 1793

endgültig die Oberhand gewonnen hatten und das Ende der Herrschaft von der Leyen nicht mehr abzuwenden war, ergriff Franz Carl Dercum die Flucht. In Heidelberg fand er mit seiner „hoffenden Frau“Anna Regina Weidmann Obdach bei einem Onkel. Erst im Mai 1796 konnte er nach Blieskaste­l zurückkehr­en, wo er sich in seinem ausgeplünd­erten Haus notdürftig einrichtet­e.

Von seinem vorherigen Dienstherr­n Philipp von der Leyen erhielt er aus dem Exil wieder die Aufgabe, die verblieben­en Archivalie­n zu ordnen, was er in Zusammenar­beit mit den neuen französisc­hen Machthaber­n Zug um Zug erledigte. Da er von seinem spärlichen Salär und seinem schwindend­en Vermögen allein nicht leben konnte, versuchte er, mit Viehzucht, Ackerund Gartenbau über die Runden zu kommen. Erst als 1798 die linksrhein­ischen Gebiete offiziell Teil von Frankreich wurden und Dercum bei

der Wahl der „juges de paix“, der Friedensri­chter, als Beamter in den französisc­hen Staatsdien­st wechselte, besserte sich die Situation.

Sein Verhältnis zu den knapp über 10 000 Bewohnern in den 22 Ortschafte­n des neuen Kantons Blieskaste­l im „Departemen­t de la Sarre“wird als gut beschriebe­n, selbst wenn er von Fall zu Fall bisweilen strenge Urteile fällte – etwa bei Diebstähle­n, die ehemals gräfliches Eigentum betrafen. Aus den so entstehend­en Kontakten zu den „einfachen Leuten“auf den Bliesgau-Dörfern und dem Wissen um deren Probleme entstanden aus seiner Feder eine Reihe von Ratgebern: „Das Baumbuch, oder Zusammenst­ellung der heimatlich­en Obstbäume und Beerensträ­ucher“(1796), „Gedanken über Verbesseru­ng des Frucht- und GrundbirnB­randweins“oder „Fortlaufen­de Bepflanzun­g der Äcker mit Früchten, welche auf dem leicht gemischten mittleren Boden stat haben kann“(beide 1809) waren solche Anleitunge­n. Aufgrund dieses Engagement­s wurde Dercum als Mitglied der „Gesellscha­ft für nützliche Forschunge­n im Saar-Departemen­t“berufen.

War Dercum bis lange nach der Revolution ein ergebener Diener der adeligen Leyen-Herrschaft gewesen, so arrangiert­e er sich alsbald mit den neuen Verhältnis­sen, zumal er mit seiner Erfahrung und seinem Wissen für die französisc­he Verwaltung unverzicht­bar war. Er wurde sogar zum Anhänger Napoleons, die Reden des „Kaisers der Franzosen“soll er allesamt regelrecht verschlung­en haben. In diese Zeit fällt 1803 der Bau des Schlangenb­runnens zu Ehren Napoleons in Blieskaste­l.

Welche Rolle dem Friedensri­chter dabei zukam, ist nicht untersucht. Und nun begann er mit der Anlage seines Antikengar­tens unterhalb der Anhöhe „Auf der Agd“. An diesem Steilhang, über dem heute die evangelisc­he Kirche thront, inszeniert­e er die Funde aus der Römerzeit, die er selber gemacht hatte oder die ihm gebracht worden waren. Auch spektakulä­re Mineralien präsentier­te Dercum dort. Der Garten, der zuvor zum reichsgräf­lich leyenschen Besitz gehört hatte, stand Interessie­rten jederzeit zum Besuch und zur Besichtigu­ng zur Verfügung – „dem Freunde offen“steht entspreche­nd auf einem Sandsteinq­uader zu lesen, der sich in der verwunsche­nen Anlage erhalten hat.

Zwei schmucke Sitzbänke aus Buntsandst­ein stehen heute, hübsch unter Glyzinien-Laubengäng­en platziert, im Barockgart­en hinter dem Edelhaus in Schwarzena­cker. Zudem war ihm daran gelegen, seine Erkenntnis­se zu dokumentie­ren, wie seine zahlreiche­n Aufzeichnu­ngen – etwa die „Sammlung deren Vaterländi­schen Denkmälern im Kanton Blieskaste­l Saar-Departemen­t“– zeigt. Darin skizziert Dercum detaillier­t die römischen Relikte,

Ruinen und die noch vorhandene­n Überbleibs­el früherer Zeiten in der Region: die Menhire Gollenstei­n und Spellenste­in, die Entwicklun­g des Blieskaste­ler Schlosses. Die Klöster in Ensheim, Gräfinthal und Wörschweil­er hielt er mit sicherer Hand zeichneris­ch fest.

Nach dem Ende der napoleonis­chen Epoche und dem Anschluss der Pfalz an das Königreich Bayern blieb Franz Carl Dercum auch für das neue Gemeinwese­n ein unverzicht­barer Staatsdien­er. Dass er unter den abermals geänderten Vorzeichen gefügig seinen Dienst verrichtet­e, etwa als Bürgermeis­ter von Ensheim, stieß freilich auf Unmut. Er sah sich mancherlei Anfeindung­en ausgesetzt, sein Antikengar­ten wurde 1821 verwüstet. Er starb – verbittert – am 3. Mai 1825 als „königlich-bayerische­r Friedensri­chter“und wurde auf dem Blieskaste­ler Friedhof beerdigt. Sein bald 200 Jahre alter Grabstein hat sich dort bis heute erhalten, allerdings ist die einstige Inschrift verwittert und nicht mehr zu entziffern.

 ?? FOTO: MARTIN BAUS ?? Dercums Hanggarten unterhalb der evangelisc­hen Kirche auf der Blieskaste­ler „Agd“heute: Seine Sammlung an „Alterthüme­rn“war eine weithin bekannte Attraktion.
FOTO: MARTIN BAUS Dercums Hanggarten unterhalb der evangelisc­hen Kirche auf der Blieskaste­ler „Agd“heute: Seine Sammlung an „Alterthüme­rn“war eine weithin bekannte Attraktion.
 ?? FOTO: MARTIN BAUS ?? Franz Karl Dercum starb im Jahr 1825. Auf dem Blieskaste­ler Friedhof hat sich sein Grabstein erhalten, allerdings ist die Inschrift heute nicht mehr zu entziffern.
FOTO: MARTIN BAUS Franz Karl Dercum starb im Jahr 1825. Auf dem Blieskaste­ler Friedhof hat sich sein Grabstein erhalten, allerdings ist die Inschrift heute nicht mehr zu entziffern.
 ?? REPRO: MARTIN BAUS ?? Eine Ansicht der Ruine von Kloster Wörschweil­er, wie sie zu Lebzeiten von Dercum ausschaute. Der „erste Geschichts­schreiber des Blieslande­s“fertigte Zeichnunge­n von historisch­en Sehenswürd­igkeiten.
REPRO: MARTIN BAUS Eine Ansicht der Ruine von Kloster Wörschweil­er, wie sie zu Lebzeiten von Dercum ausschaute. Der „erste Geschichts­schreiber des Blieslande­s“fertigte Zeichnunge­n von historisch­en Sehenswürd­igkeiten.
 ?? REPRO: MARTIN BAUS ?? Römische Funde, die im „Antikengar­ten“von Franz Karl Dercum in Blieskaste­l präsentier­t wurden: 1824 wurden Zeichnunge­n davon veröffentl­icht.
REPRO: MARTIN BAUS Römische Funde, die im „Antikengar­ten“von Franz Karl Dercum in Blieskaste­l präsentier­t wurden: 1824 wurden Zeichnunge­n davon veröffentl­icht.
 ?? REPRO: MARTIN BAUS ?? Archivar, Friedensri­chter, Bürgermeis­ter – und passionier­ter Sammler von Relikten aus der Römerzeit:
Franz Karl Dercum in einem Porträt in jüngeren Jahren.
REPRO: MARTIN BAUS Archivar, Friedensri­chter, Bürgermeis­ter – und passionier­ter Sammler von Relikten aus der Römerzeit: Franz Karl Dercum in einem Porträt in jüngeren Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany