Der Aufstieg des Benfares-Express
Was hinter der Familie steckt – Vater Samir, einst ein Weltklasse-Läufer, ist heute der Trainer seiner drei talentierten Töchter.
Der Dopingfall Sara Benfares entwickelt sich zum Kriminalfall. Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken wegen des Verstoßes gegen das Anti-DopingGesetz. Verfahren bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA). Die mutmaßliche Diagnose Knochenkrebs bei der 22-jährigen OlympiaKandidatin des LC Rehlingen auf der einen Seite, persönliche Verbindungen der Familie Benfares zum rumänischen Trainer Carol Santa, der in der Vergangenheit immer wieder mit Doping in Verbindung gebracht wurde, auf der anderen Seite.
Eine Familie steht im Fokus – und hält die deutsche Leichtathletik und den nationalen Verband DLV aufgrund des positiven Tests von Sara auf Epo und Testosteron in Atem.
Was aber steckt hinter der Familie, der 2016 auf Vermittlung des im Saarland tätigen DLV-Trainers Adi Zaar zum LC Rehlingen kam? Zaar wollte sich auf Anfrage der Saarbrücker Zeitung nicht äußern.
Die Familie Benfares besteht aus Vater Samir, Mutter Beatrice, den Töchtern Selma (24), Sara (22) und Sofia (19) sowie Sohn Elias. Samir Benfares war selbst Weltklasse-Mittelstreckenläufer mit einer 1500-Meter-Bestzeit von 3:35,99 Minuten. In seiner Karriere hatte er 15 internationale Einsätze für Frankreich und schaffte es 1995 bei der WM in Göteborg ins Halbfinale.
Seine Frau Beatrice, geborene Röh, lernte er in einem Höhentrainingslager in Font-Romeu in den französischen Pyrenäen kennen. Sie war beim TSV Bayer 04 Leverkusen ebenfalls als Mittelstrecklerin über 1500 Meter aktiv (Bestzeit 4:21,76 Minuten). Der Lebensmittelpunkt der Familie ist der Ort Thomery bei Fontainebleau in der Nähe der französischen Hauptstadt Paris.
Das Talent der Eltern wird an die drei Schwestern Selma, Sara und Sofia vererbt, auch wenn diese lange nichts von den Erfolgen ihres Vaters wussten. „Er wollte zuerst auch gar nicht, dass wir mit der Leichtathletik anfangen“, sagte Sara in einem Interview der drei Benfares-Schwestern mit SZ-Mitarbeiter Manuel Keil im Jahr 2021. Stattdessen hätten alle zuerst gemeinsam andere Sportarten wie Schwimmen, Reiten und Tennis ausprobiert, bevor sie zur Leichtathletik kamen.
Als Selma, die älteste, etwa zehn Jahre alt war, ging das Training im Verein los. Für sie war Laufen schnell das, was „am besten gepasst hat“. Sara war schon in der Schule im Vergleich zu ihren Freunden immer die Schnellste und in Wettkämpfen auf der Mittel- und Langstrecke am erfolgreichsten. Die jüngste Schwester Sofia schloss sich als letzte einem Verein an und probierte zunächst alles aus, sogar den Dreisprung.
In Frankreich starten alle für den CA Montreuil, den früheren Verein ihres Vaters, den er als Vorsitzender leitet. Das Training seiner Töchter übernahm Samir Benfares aber erst, als der Leistungsgedanke in den Vordergrund rückte. Ihren Vater nannten alle drei damals ihr sportliches Vorbild. „Weil er selber gelaufen ist, versteht er uns auch immer“, sagte Selma. „Wir sind ein richtig gutes Team – und alle auf derselben Wellenlänge“, ergänzte Sara. Der „Benfares-Express“war geboren.
In der Bewertung und Förderung seiner Töchter eckte Samir Benfares mit dem französischen Verband allerdings an – und suchte früh einen Verein in Deutschland, der den Schwestern, die die doppelte Staatsbürgerschaft haben und zweisprachig erzogen wurden, auch ein Startrecht bei deutschen Meisterschaften ermöglicht. Mutter Beatrice kannte aus Leverkusen den DLVTrainer Zaar, Vater Samir kannte den LC Rehlingen von seinem Start beim Pfingstsportfest im Jahr 2000. Auch der Standort Saarbrücken mit seiner Universität passte. Selma begann im Jahr 2020 ihr Pharmaziestudium, Sara im Jahr danach.
Die Verbindung ins Saarland war hergestellt – zum Deutschen Leicht
athletik-Verband ebenso. Die Entscheidung, für Deutschland zu starten, ließ nicht lange auf sich warten. Selma Benfares war die erste, die das Trikot der deutschen Nationalmannschaft trug – bei der Cross-EM
in Dublin am 12. Dezember 2021. Sara Benfares musste auf ihr internationales Startrecht für Deutschland dagegen warten, weil sie als Jugendliche zweimal für Frankreich an internationalen Meisterschaften teilgenommen hatte.
„Ich hatte eigentlich schon immer vor, später in der Frauenklasse für Deutschland zu laufen. Ich dachte, ich kann ohne Probleme wechseln, weil ich nur in der Jugend für Frankreich gestartet bin. Das war damals etwas missverständlich“, sagte Sara Benfares 2021 im Interview. Die dreijährige Wechselsperre lief am 20. Juli 2022 aus – während der Weltmeisterschaften in Eugene. Der Vorlauf über 5000 Meter passte perfekt in den Zeitplan.
In Eugene sorgte Benfares aber nicht für sportliche Schlagzeilen, sondern für einen Schreckmoment. Fünf Meter hinter der Ziellinie brach die Athletin entkräftet zusammen. Die Ärzte eilten sofort zu Hilfe. Im Rollstuhl und sichtlich angeschlagen wurde Benfares aus dem In
nenraum transportiert. Sie hatte bei Temperaturen über 30 Grad einen Hitzekollaps erlitten, wurde früh abgehängt und letztlich 18. ihres Vorlaufs (16:34,23 Minuten). Bei den Heim-Europameisterschaften in München (15:20,94 Minuten, persönliche Bestzeit, Platz 12) zeigte Benfares dann ihr Potenzial, ebenso bei der folgenden Straßenlauf-Meisterschaft über 10 Kilometer in Saarbrücken, die sie gewann.
Während Selma Benfares ihren Fokus stärker auf ihr Studium richtete, dennoch aber immer in der erweiterten deutschen Spitze präsent war, reiften im Hause Benfares die Olympia-Träume heran. Trotz eines von Verletzungen geprägten Jahres 2023 wollte Sara Benfares angreifen. In Paris, im Stade de France, 88 Kilometer entfernt von zuhause, von Thomery. Auch die jüngere Schwester Sofia, die im August 2023 bei der U20-EM in Jerusalem die Bronzemedaille über 3000 Meter gewonnen hatte und folglich als Nawuchssportlerin des Jahres 2023 im
Saarland ausgezeichnet wurde, sah für sich eine winzig kleine Chance, gemeinsam mit ihrer Schwester Sara an der Startlinie zu stehen.
Und nun? Fragen. Fragen über Fragen. Über Saras vermeintliche Diagnose Knochenkrebs, die Vater Samir in einem Interview mit dem Doping-Portal SPE15 anführte als Erklärung für die Behandlung mit Epo und Testosteron. Just am Tag nach der exklusiven Veröffentlichung des positiven Dopingtests in der Saarbrücker Zeitung. Doch die Ausführungen des Vaters passen an einigen Stellen nicht zusammen und bleiben letztlich den Grund schuldig, warum Benfares keine medizinische Ausnahmegenehmigung bei der NADA beantragt hat. Erst der positive Test am 30. September brachte die Familie Benfares unter Zugzwang – und zog dem märchenhaften Aufstieg den Stecker.
Die Geschichte eines Familienclans, der Widerständen trotzt und zumindest ein Kind bis in die Weltspitze führt, ist nicht neu. Richard Williams ist dies mit seinen Töchtern Venus und Serena, die zu den besten Tennisspielerinnen in der Geschichte ihres Sports wurden, gelungen – mit einem harten, erbarmungslosen Plan, den er selbst auf 85 Seiten verfasst hatte.
Der Plan der Familie Benfares deutet zumindest von außen betrachtet daraufhin, dass eine der Schwestern „durchkommen“sollte. An die Spitze. Die Wahl der Mittel, dieses Ziel zu erreichen, beschäftigt nun die Staatsanwaltschaft, die NADA und die deutsche Leichtathletik, denn selbst im Falle einer Verurteilung und Sperre von Sara Benfares steht die nicht minder talentierte Sofia noch vor einer erfolgreichen Karriere. Dass sich Sara Benfares mit dem Rumänen Carol Santa und dessen Sohn Daniel, einem Sportmanager, bei der EM in München im Olympiastadion ablichten ließ, als die Santas, in Kleidern des BenfaresClubs CA Montreuil, Arm in Arm mit ihr in die Kamera blickten, hat für Aufsehen gesorgt – und die Familie und damit auch den „Benfares-Express“dem zweifelhaften Ruf der Santas bedenklich angenähert. Die Spannung in diesem Doping- und Kriminalfall ist geradezu greifbar.
„Er wollte zuerst auch gar nicht, dass wir mit der Leichtathletik anfangen.“Sara Benfares in einem Interview im Dezember 2021 über ihren Vater Samir Benfares