Aliyev will mit vorgezogener Wahl Macht in Aserbaidschan sichern
Der wichtige Öl- und Gaslieferant der EU ist ein autoritär geführtes Land. Nach der Eroberung Berg-Karabachs will sich der Machthaber nun wiederwählen lassen.
(dpa) Zumindest auf den Plakatwänden in der Hauptstadt Baku sieht es so aus, als hätte Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev bei der Wahl an diesem Mittwoch ernstzunehmende Konkurrenz. Neben- und untereinander hängen dort sieben kleine Poster – eins von jedem Präsidentschaftskandidaten, Aliyev inklusive. Von Balkonen in der winterlich sonnigen Millionenmetropole baumeln blau-rot-grüne Aserbaidschan-Flaggen. Doch die vermeintlichen Rivalen des autoritären Langzeit-Machthabers gelten nicht nur als komplett chancenlos, sie haben Aliyev in der Vergangenheit sogar öffentlich unterstützt.
Um einen fairen Wettstreit mit echter Opposition geht es hier in der öl- und gasreichen SüdkaukasusRepublik am Kaspischen Meer ganz offensichtlich nicht. Stattdessen will Aliyev nach mehr als 20 Jahren im Amt seine Macht durch eine vorgezogene Wahl weiter festigen – und der Zeitpunkt dafür scheint günstig.
Aktuell kann der 62-Jährige sich vor seinen Landsleuten als erfolgreicher Feldherr präsentieren, nachdem seine Armee im vergangenen Herbst nach jahrzehntelangen Konflikten die Region Berg-Karabach erobert hat. Berg-Karabach liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wurde aber bis dahin größtenteils von ethnischen Armeniern bewohnt und als selbst ernannte Republik Arzach verwaltet. Fast alle der mehr als 100 000 Karabach-Armenier flohen vor den aserbaidschanischen Truppen. Armenien, das wie Aserbaidschan einst Teil der Sowjetunion war, sprach von „ethnischer Säuberung“.
Aliyev hingegen kostete den Erfolg aus, ließ in Karabach eilig aserbaidschanische Flaggen hissen, kniete vor einer von ihnen nieder und küsste sie. Und schließlich führte er die Einnahme Berg-Karabachs auch als Grund an, als er vor zwei Monaten überraschend verkündete, die eigentlich erst für 2025 geplante Präsidentenwahl auf den 7. Februar dieses Jahres vorzuverlegen. Nach der Wiederherstellung der territorialen Integrität Aserbaidschans brauche der Präsident jetzt direkt eine neue Legitimation, hieß es. „Die Wahlen markieren das Ende einer Ära“, sagte Aliyev Mitte Januar bei einem großen Fernsehinterview, das mehrere Sender des Landes übertrugen.
„Ich glaube, dass die Ursachen tie
fer liegen“, sagt Marcel Röthig, der das Südkaukasus-Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. „Es ist nicht gesagt, dass diese Familienherrschaft auf ewig in Stein gemeißelt ist“, sagt der Experte mit Blick auf den aserbaidschanischen Präsidenten, der das Amt im Jahr 2003 von seinem Vater Heydar Aliyev übernahm und sich seitdem mehrfach wiederwählen ließ. „Jenseits der glitzernden Fassaden von Baku gibt es auch Anzeichen einer gewissen Fragilität.“Mit dem Vorziehen des Urnengangs vermeide Aliyev es, „in einer Situation
Wahlen durchführen zu müssen, wo Sollbruchstellen noch sichtbarer werden, als sie es zurzeit sind“.
„Wenn dieses externe Feindbild Armenien schwindet, dann droht die Gefahr, dass die Leute sich über andere politische Herausforderungen Gedanken machen“, sagt Röthig. Im Vergleich zu den beiden anderen Südkaukasus-Staaten Armenien und Georgien gebe es in Aserbaidschan, das stark von seinen Öl- und GasExporten abhängig ist, große soziale Ungleichheit, eine hohe Inflation und geringeres Wirtschaftswachstum. Fälle von Korruption hielten darüber hinaus ausländische Investoren ab.
Der aserbaidschanische Politologe und frühere Oppositionspolitiker Azer Gasimli äußert sich ähnlich. Er verweist außerdem darauf, dass viele Aserbaidschaner, die traditionell die Türkei als ihre Schutzmacht sehen, kaum erwarten könnten, dass aus der Region endlich die russischen Truppen abzögen. Diese waren nach Krieg 2020 in Karabach stationiert worden, um eine damals mit Armenien vereinbarte Waffenruhe zu überwachen. Sollten die Russen aber nicht wie geplant 2025 gehen, könnte die gesellschaftliche Stimmung noch weiter gegen Aliyev kippen, sagt Gasimli. Nicht zuletzt deshalb wolle sich der Präsident jetzt so schnell wie möglich seine nächsten sieben Amtsjahre sichern.
Gasimli hält es zudem für durchaus möglich, dass Aliyev mit dem Wahlsieg im Rücken schon bald armenisches Kernland angreifen könnte, um einen Korridor in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan zu erzwingen. Ein solch großer Krieg mit erwartbar hohen Verlusten aber werde bei vielen Aserbaidschanern kaum auf Zustimmung stoßen, meint er.
Zugleich aber ist der Politologe überzeugt, dass Aliyev bei ehrlichen Wahlen schon jetzt keine Mehrheit mehr hätte, weil die Bürger die große gesellschaftliche Ungerechtigkeit satt hätten: „Der größte Makel besteht aus Sicht der Leute darin, dass alle Ressourcen im Land heute einer Familie gehören“, sagt Gasimli. Aliyevs Macht fuße in weiten Teilen auf Wahlmanipulation und Unterdrückung von Kritikern.
Auch vonseiten internationaler Beobachter ist die Liste der Kritikpunkte lang. Das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) etwa verweist auf die Festnahmen zahlreicher unabhängiger Journalisten und eines bekannten Oppositionellen in den Monaten vor der Wahl, zu der mehr als sechs Millionen Aserbaidschaner aufgerufen sind. Neue Parteien- und Mediengesetze gelten als äußerst restriktiv. Aus aserbaidschanischen Gefängnissen gibt es zudem Berichte über Folter.
Auch Politologe Gasimli ist sich bewusst, dass seine kritische Haltung riskant ist. „Natürlich ist es sehr gefährlich“, sagt er bei dem Gespräch in einem Hauptstadt-Café. Es wirkt beinahe etwas surreal, wie er danach weiter ruhig an seinem Getränk nippt und hinzufügt: „Man kann jederzeit festgenommen werden. Jederzeit.“