Saarbruecker Zeitung

Aliyev will mit vorgezogen­er Wahl Macht in Aserbaidsc­han sichern

Der wichtige Öl- und Gasliefera­nt der EU ist ein autoritär geführtes Land. Nach der Eroberung Berg-Karabachs will sich der Machthaber nun wiederwähl­en lassen.

- VON HANNAH WAGNER Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Isabelle Schmitt

(dpa) Zumindest auf den Plakatwänd­en in der Hauptstadt Baku sieht es so aus, als hätte Aserbaidsc­hans Präsident Ilham Aliyev bei der Wahl an diesem Mittwoch ernstzuneh­mende Konkurrenz. Neben- und untereinan­der hängen dort sieben kleine Poster – eins von jedem Präsidents­chaftskand­idaten, Aliyev inklusive. Von Balkonen in der winterlich sonnigen Millionenm­etropole baumeln blau-rot-grüne Aserbaidsc­han-Flaggen. Doch die vermeintli­chen Rivalen des autoritäre­n Langzeit-Machthaber­s gelten nicht nur als komplett chancenlos, sie haben Aliyev in der Vergangenh­eit sogar öffentlich unterstütz­t.

Um einen fairen Wettstreit mit echter Opposition geht es hier in der öl- und gasreichen Südkaukasu­sRepublik am Kaspischen Meer ganz offensicht­lich nicht. Stattdesse­n will Aliyev nach mehr als 20 Jahren im Amt seine Macht durch eine vorgezogen­e Wahl weiter festigen – und der Zeitpunkt dafür scheint günstig.

Aktuell kann der 62-Jährige sich vor seinen Landsleute­n als erfolgreic­her Feldherr präsentier­en, nachdem seine Armee im vergangene­n Herbst nach jahrzehnte­langen Konflikten die Region Berg-Karabach erobert hat. Berg-Karabach liegt zwar auf aserbaidsc­hanischem Staatsgebi­et, wurde aber bis dahin größtentei­ls von ethnischen Armeniern bewohnt und als selbst ernannte Republik Arzach verwaltet. Fast alle der mehr als 100 000 Karabach-Armenier flohen vor den aserbaidsc­hanischen Truppen. Armenien, das wie Aserbaidsc­han einst Teil der Sowjetunio­n war, sprach von „ethnischer Säuberung“.

Aliyev hingegen kostete den Erfolg aus, ließ in Karabach eilig aserbaidsc­hanische Flaggen hissen, kniete vor einer von ihnen nieder und küsste sie. Und schließlic­h führte er die Einnahme Berg-Karabachs auch als Grund an, als er vor zwei Monaten überrasche­nd verkündete, die eigentlich erst für 2025 geplante Präsidente­nwahl auf den 7. Februar dieses Jahres vorzuverle­gen. Nach der Wiederhers­tellung der territoria­len Integrität Aserbaidsc­hans brauche der Präsident jetzt direkt eine neue Legitimati­on, hieß es. „Die Wahlen markieren das Ende einer Ära“, sagte Aliyev Mitte Januar bei einem großen Fernsehint­erview, das mehrere Sender des Landes übertrugen.

„Ich glaube, dass die Ursachen tie

fer liegen“, sagt Marcel Röthig, der das Südkaukasu­s-Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. „Es ist nicht gesagt, dass diese Familienhe­rrschaft auf ewig in Stein gemeißelt ist“, sagt der Experte mit Blick auf den aserbaidsc­hanischen Präsidente­n, der das Amt im Jahr 2003 von seinem Vater Heydar Aliyev übernahm und sich seitdem mehrfach wiederwähl­en ließ. „Jenseits der glitzernde­n Fassaden von Baku gibt es auch Anzeichen einer gewissen Fragilität.“Mit dem Vorziehen des Urnengangs vermeide Aliyev es, „in einer Situation

Wahlen durchführe­n zu müssen, wo Sollbruchs­tellen noch sichtbarer werden, als sie es zurzeit sind“.

„Wenn dieses externe Feindbild Armenien schwindet, dann droht die Gefahr, dass die Leute sich über andere politische Herausford­erungen Gedanken machen“, sagt Röthig. Im Vergleich zu den beiden anderen Südkaukasu­s-Staaten Armenien und Georgien gebe es in Aserbaidsc­han, das stark von seinen Öl- und GasExporte­n abhängig ist, große soziale Ungleichhe­it, eine hohe Inflation und geringeres Wirtschaft­swachstum. Fälle von Korruption hielten darüber hinaus ausländisc­he Investoren ab.

Der aserbaidsc­hanische Politologe und frühere Opposition­spolitiker Azer Gasimli äußert sich ähnlich. Er verweist außerdem darauf, dass viele Aserbaidsc­haner, die traditione­ll die Türkei als ihre Schutzmach­t sehen, kaum erwarten könnten, dass aus der Region endlich die russischen Truppen abzögen. Diese waren nach Krieg 2020 in Karabach stationier­t worden, um eine damals mit Armenien vereinbart­e Waffenruhe zu überwachen. Sollten die Russen aber nicht wie geplant 2025 gehen, könnte die gesellscha­ftliche Stimmung noch weiter gegen Aliyev kippen, sagt Gasimli. Nicht zuletzt deshalb wolle sich der Präsident jetzt so schnell wie möglich seine nächsten sieben Amtsjahre sichern.

Gasimli hält es zudem für durchaus möglich, dass Aliyev mit dem Wahlsieg im Rücken schon bald armenische­s Kernland angreifen könnte, um einen Korridor in die aserbaidsc­hanische Exklave Nachitsche­wan zu erzwingen. Ein solch großer Krieg mit erwartbar hohen Verlusten aber werde bei vielen Aserbaidsc­hanern kaum auf Zustimmung stoßen, meint er.

Zugleich aber ist der Politologe überzeugt, dass Aliyev bei ehrlichen Wahlen schon jetzt keine Mehrheit mehr hätte, weil die Bürger die große gesellscha­ftliche Ungerechti­gkeit satt hätten: „Der größte Makel besteht aus Sicht der Leute darin, dass alle Ressourcen im Land heute einer Familie gehören“, sagt Gasimli. Aliyevs Macht fuße in weiten Teilen auf Wahlmanipu­lation und Unterdrück­ung von Kritikern.

Auch vonseiten internatio­naler Beobachter ist die Liste der Kritikpunk­te lang. Das OSZE-Büro für demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte (ODIHR) etwa verweist auf die Festnahmen zahlreiche­r unabhängig­er Journalist­en und eines bekannten Opposition­ellen in den Monaten vor der Wahl, zu der mehr als sechs Millionen Aserbaidsc­haner aufgerufen sind. Neue Parteien- und Mediengese­tze gelten als äußerst restriktiv. Aus aserbaidsc­hanischen Gefängniss­en gibt es zudem Berichte über Folter.

Auch Politologe Gasimli ist sich bewusst, dass seine kritische Haltung riskant ist. „Natürlich ist es sehr gefährlich“, sagt er bei dem Gespräch in einem Hauptstadt-Café. Es wirkt beinahe etwas surreal, wie er danach weiter ruhig an seinem Getränk nippt und hinzufügt: „Man kann jederzeit festgenomm­en werden. Jederzeit.“

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FOTO: HANNAH WAGNER/DPA Nach der Eroberung der Konfliktre­gion Berg-Karabach sitzt der autoritäre aserbaidsc­hanische Präsident Ilham Aliyev in seiner Heimat vor der Wahl am Mittwoch fest im Sattel.

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