Union als Opposition auf einem schmalen Grat
WnichtWer die deutsche Politik erst seit Angela Merkel verfolgt, den kann die neue Schärfe in der politischen Debatte wenig schocken. Man begebe sich auf Youtube und suche nach Redeausschnitten der 70er Jahre. Da sprachen sich die Kampfhähne Franz-Josef Strauß, Herbert Wehner, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl gegenseitig nicht nur die Befähigung, sondern gleich Anstand und Friedensfähigkeit ab. Die Opposition malte die Lage des Landes regelmäßig in düstersten Farben, Überzeichnen war Prinzip. Diese radikale Form des Dagegenseins blieb zuletzt eher der AfD vorbehalten – in Zeiten der großen Koalition unter Angela Merkel allemal. Auch aus dieser jüngeren Erfahrung heraus erntet jede scharfe Kritik an der Regierung heute leicht den Vorwurf, das Geschäft der Radikalen zu betreiben. Die selbst nicht leise FDP-Europaspitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wirft dies Oppositionsführer Friedrich Merz vor. Dabei spricht viel dafür, dass gerade die Abwesenheit einer klaren Opposition unter den moderaten Parteien in den Merkel-Jahren die politische Mitte geschwächt hat.
Tatsächlich ist Opposition in der neuen Parteienlandschaft schwieriger geworden. Es ist ja richtig, dass sich Demokraten, wie jetzt bei riesigen Demonstrationen, in Gemeinsamkeit zum Schutz der offenen Demokratie versammeln. Wenn dauerhaft Unterschiede verwischt werden, überlässt man es jedoch den Radikalen, Unmut einzusammeln. Umgekehrt gilt aber: Wer zur Abgrenzung von der Regierung nur den Frust über die Probleme schürt, bereitet den Boden für Extremisten, die mit ihren radikalen (Schein-)Lösungen dann umso besser durchdringen.
Probleme benennen, damit sich Wähler gehört fühlen, bleibt in aufgeregten Zeiten wichtig. Aber eben so, dass nicht das Zerrbild eines Landes im Niedergang entsteht, Überzeichnen war gestern. Opposition ist damit eine Gratwanderung, nicht zuletzt bei den großen Themen der Gesellschaft, etwa der Migration. Friedrich Merz gelingt diese nicht immer. Sein Gerede von den muslimischen Jungs als „kleinen Paschas“etwa, seine Behauptung von den Geduldeten, die sich bei uns die Zähne machen lassen, sind Beispiele. Sie verzerren oder überzeichnen Probleme, pflanzen Empörung in die Köpfe, ohne Antworten anzubieten. Sie bedienen Narrative der Radikalen, die dann etwa mit Vertreibungsfantasien eine Scheinlösung bieten.
„Die Ampel muss weg“, ist natürlich kein undemokratischer Slogan. Aber SPD, Grüne und FDP haben Krieg, Klima-Wandel, Migrationsdruck und demografische Krise nicht erfunden – und schon gar nicht „hassen“sie Deutschland, wie AfD-Chefin Alice Weidel in volksverhetzender Weise kreischt. Viele Probleme hat sich die Ampel aber selbst eingebrockt – beim AKWAus, der kühnen Interpretation der Schuldenbremse, dem langen Murks beim Heizungsgesetz, dem Hin und Her beim Agrardiesel. Sie liefert mit Staatsbürgerschaftsrecht und Cannabis Stoff für legitimen Streit. Genug, um mit klarer Kante, aber konstruktiv zu opponieren und kritische Wähler zu sammeln, statt sie Radikalen zuzuführen. Opposition ist Mist, sagte einst ExSPD-Chef Franz Müntefering. Für die Demokratie aber ist sie wichtiger denn je – und anspruchsvoller.