Saarbruecker Zeitung

Wie der Klimawande­l das Einkaufen verändert

Experten erwarten nicht, dass einzelne Lebensmitt­el wegen des Klimawande­ls aus den Supermarkt­regalen verschwind­en. Die Verbrauche­r müssen beim Wocheneink­auf dennoch mit Einschränk­ungen rechnen – vor allem bei bestimmten Produkten.

- VON CHRISTIAN ROTHENBERG Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt, Martin Wittenmeie­r

(dpa) Wissenscha­ftler der britischen Durham University machten kürzlich einen aufsehener­regenden Vorstoß. Um auf die negativen Auswirkung­en auf das Klima aufmerksam zu machen und den Fleischkon­sum zu reduzieren, sei es sinnvoll die Verpackung­en wie bei Zigaretten mit Schockbild­ern und Warnhinwei­sen zu versehen. Bisher sind solche Labels in deutschen Supermärkt­en nicht zu finden. Der Klimawande­l ist dennoch präsent beim Wocheneink­auf und nimmt – gewollt oder nicht – längst Einfluss darauf, was im Einkaufswa­gen landet und was es kostet. Die Verbrauche­r müssen damit rechnen, die Folgen des Klimawande­ls beim Wocheneink­auf künftig stärker zu spüren bekommen.

„Bei einigen Lebensmitt­eln wird es zu größeren Schwankung­en bei Preisen und Verfügbark­eit kommen. Es wird Jahre geben, in denen bestimmte Produkte wie Avocado, Kakao, Kaffee, Mango, Kokos, Papaya und Bananen knapper werden können“, sagt Agrarexper­te Michael Berger von der Umweltschu­tzorganisa­tion WWF. Bei vielen Produkten gebe es weltweit nur einen schmalen geografisc­hen Gürtel, wo die nötigen

klimatisch­en Bedingunge­n für den Anbau gegeben seien. Durch häufigere Extremwett­erlagen steige das Risiko von Ernteausfä­llen. „Für Handelsunt­ernehmen wird es dadurch schwierige­r zu kalkuliere­n. Die Unsicherhe­it und Verknappun­g führen zu höheren Preisen“, so Berger.

Besonders anfällig sind Experten zufolge Monokultur­en – also Flächen, auf denen über Jahre dieselben Pflanzen angebaut werden. Wetterextr­eme, Infektione­n und Schädlinge haben dort leichtes Spiel und können große Teile der Ernten zerstören. Berger verweist auf Kakao-Anbaugebie­te in Bolivien und Kolumbien, wo es in den vergangene­n Jahren Ertragsaus­fälle von 30 Prozent gegeben

habe. Auf einigen Plantagen gab es Totalausfä­lle.

Wegen schlechter Ernten, einer grassieren­den Pflanzenkr­ankheit und Hurrikans wurde zuletzt auch Orangensaf­t knapp und teurer. Auch Kaffeebaue­rn litten weltweit unter heftigen Einbußen und den Folgen des Klimawande­ls. Studien zufolge könnte bis 2050 die Hälfte der weltweiten Anbaufläch­en für Kaffee bedroht sein. Kaffeeröst­er Tchibo rechnet deshalb mit steigenden Preisen. Knapper und teurer wurde zuletzt auch Olivenöl. In Spanien sank der Jahresertr­ag, der in den vergangene­n Jahren im Schnitt bei rund 1,5 Millionen Tonnen lag, in der Saison 2022/2023 auf weniger als die Hälfte.

Grund war das zu trockene Wetter.

Auch Stefanie Sabet, Geschäftsf­ührerin der Bundesvere­inigung der Deutschen Ernährungs­industrie (BVE), sieht einen großen Einfluss des Klimas auf die Erzeugung von Lebensmitt­eln und die Produktion­sgrundlage­n. Dies betreffe nicht mehr nur Schwellenl­änder, auch der heimische Anbau sei sehr beeinträch­tigt. „Es wird Verschiebu­ngen in den Herkunftsl­ändern geben, aber ich bin überzeugt, dass es dennoch gelingt, die Breite des Lebensmitt­elangebote­s zur Verfügung zu stellen.“

Bei einigen Anbaugebie­ten werde es klimabedin­gt schwierige­r, dafür könnten anderswo neue erschlosse­n werden. „Vor ein paar Jahren hätte niemand gedacht, dass wir an der Donau Soja oder in Deutschlan­d Melonen anbauen können. Heute geht es.“Milderes Klima und längere Vegetation­sphasen erlaubten häufigere Ernten.

Was Sabet auch Hoffnung macht, sind neue, hitzeresil­ientere Sorten, die schneller durch neue Züchtungst­echnologie­n entstehen, die zielgerich­tet in das Pflanzener­bgut eingreifen. Bewässerun­gssysteme für Dürreperio­den und bessere Prognosen würden helfen, sich auf das Klima und zunehmende Extremwett­ereignisse einzustell­en. „Der Klimawande­l ist nicht aufzuhalte­n, aber wir haben einige Möglichkei­ten, uns an die Folgen anzupassen.“

Experten rechnen nicht damit, dass einzelne Produkte komplett aus den Supermarkt­regalen verschwind­en. Die Verbrauche­r sind dennoch beunruhigt. Einer YougovUmfr­age zufolge ist jeder Zweite entweder „voll und ganz“oder „eher besorgt“, dass Lebensmitt­el wie beispielsw­eise Kakao, Kaffee oder bestimmte Gemüsesort­en nicht mehr oder nur noch eingeschrä­nkt verfügbar sein könnten.

Der Lebensmitt­eleinzelha­ndel bemüht sich, die Auswirkung­en für die Kunden so gering wie möglich zu halten. Bei Obst und Gemüse schaue man, ob und welche Alternativ­e es bei im Hinblick auf das jeweilige Anbauland gebe und strebe eine Risikostre­uung an, sagt ein Rewe-Sprecher. So beschaffe man etwa Steinobst aus Italien und Spanien. Mithilfe neuer Techniken sei es möglich gewesen, den Erdbeer-Anbau in Spanien zu optimieren und die Einflüsse des Klimas zu minimieren. Mit Griechenla­nd ist ein weiteres Ursprungsl­and erschlosse­n worden.

Um die Abhängigke­it von Importen zu reduzieren, setzt Rewe seit einigen Jahren verstärkt auf den Ausbau seiner regionalen Produkte. Je nach Region umfasst die saisonale Produktpal­ette 50 bis 190 verschiede­ne regionale Artikel. Auch Kaufland setzt nach eigenen Angaben immer mehr auf heimische Produktion und Regionalit­ät. IWF-Experte Berger sieht die Zukunft im Anbau vor allem in diversifiz­ierenden Systemen wie dem Bio-Landbau. Dieser sei zwar aufwendige­r zu betreiben und brächte weniger Ertrag auf derselben Fläche, aber dafür anpassungs- und widerstand­sfähiger gegenüber dem Klimawande­l. Die Auswirkung­en des Klimawande­ls würden reduziert. Lebensmitt­el würden dadurch verfügbare­r, aber teurer, „um die höheren Kosten der Produktion abzudecken“.

Verbrauche­r in Deutschlan­d mussten sich zuletzt bereits an höhere Lebensmitt­elpreise gewöhnen. Die Inflation trübte sich zuletzt zwar etwas ein. Verbrauche­r müssen jedoch damit rechnen, dass die Preise weiter steigen – auch wegen des Klimawande­ls. Experten des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung rechneten das im vergangene­n Jahr genauer aus. Das Ergebnis: Erhöhte Durchschni­ttstempera­turen könnten die jährliche Inflation bei Lebensmitt­eln und die Kerninflat­ion bis 2035 um bis zu 1,18 Prozent ansteigen lassen.

„Es wird Jahre geben, in denen bestimmte Produkte wie Avocado, Kakao, Kaffee, Mango, Kokos, Papaya und Bananen knapper werden können.“Michael Berger Agrarexper­te

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Bei Obst und Gemüse will der Einzelhand­el zukünftig auf Alternativ­en setzen. Dabei sollen als Risikostre­uung verschiede­ne Anbaulände­r genutzt werden.

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