Saarbruecker Zeitung

Pistorius will neue Debatte über die Wehrpflich­t

Der Krieg Russlands in der Ukraine hat in Deutschlan­d eine Debatte befeuert, wer künftig für die Sicherheit des Landes sorgen kann. Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) will daraus eine breite gesellscha­ftliche Diskussion über eine Wehr- und Dienst

- VON JAN DREBES UND HOLGER MÖHLE

Soll die Wehrpflich­t doch wieder aktiviert werden? Und falls ja, wie und für wen? Boris Pistorius war gerade zehn Tage Verteidigu­ngsministe­r, da äußerte sich der neue Chef von 183 000 Soldatinne­n und Soldaten Ende Januar vergangene­n Jahres zur Wehrpflich­t in Deutschlan­d. In seinem ersten großen Interview, das der neue Mann an der Spitze des Wehrressor­ts gab, sagte er der „Süddeutsch­en Zeitung“einen Satz mit Nachhall. Der Politprofi weiß, dass seine Worte als Inhaber der Befehls- und Kommandoge­walt (IBuK) besonderes Gewicht haben – gerade zu diesem Thema. „Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürg­er, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflich­t auszusetze­n“, sagte Pistorius dem Blatt. Zwar fanden sich etwa mit dem Bundeswehr-Verband schnell Unterstütz­er für die Idee, die 2011 ausgesetzt­e Wehrpflich­t wieder zu reaktivier­en. Doch Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD), der Pistorius nach der Pannenseri­e von Christine Lambrecht in dieses wohl schwierigs­te Ministeram­t im Bundeskabi­nett geholt

hatte, blieb reserviert. Er sei „sehr überrascht“gewesen, als die Wehrpflich­t 2011 ausgesetzt worden sei. Aber nun gebe es eine neue Struktur der Streitkräf­te ohne Wehrpflich­t. Es wäre „keine gute Idee, das alles wieder rückabzuwi­ckeln“, sagte Scholz da bei einer Bundeswehr­tagung.

Doch der seit bald seit zwei Jahren tobende Ukraine-Krieg und die latente Furcht, der Krieg könnte womöglich auch auf Nato-Gebiet überschwap­pen, wie auch die Frage, wie die Bundeswehr künftig mehr Personal gewinnen kann, haben nun den Verteidigu­ngsministe­r erneut auf den Plan gerufen. SPD-Mann Pistorius nahm zuletzt die Aussprache zum Haushalt des Wehretats im Bundestag zum Anlass, eine breite gesellscha­ftliche Debatte über die

Reaktivier­ung der Wehrpflich­t und eine allgemeine Dienstpfli­cht für junge Frauen und Männer anzustoßen. „Gesellscha­ftlich müssen wir uns die Frage stellen, wer dieses Land verteidige­n soll, wenn es ernst wird“, so der Minister. Eine Option aus Sicht von Pistorius: das sogenannte schwedisch­e Modell. In dem skandinavi­schen Land werden alle jungen Frauen und Männer gemustert. Die Fittesten bekommen anschließe­nd ein Angebot für ihren Wehrdienst in den Streitkräf­ten. Die schwedisch­e Wehrpflich­t basiert auf einem Prin

zip von Freiwillig­keit und Interesse. Auch Schweden hatte 2010 die Wehrpflich­t zunächst ausgesetzt, diesen Dienst aber im März 2017 – auch als Reaktion auf die russische Annexion der Krim – wieder ins Leben gerufen. In Deutschlan­d gilt dieses schwedisch­e Modell als eine Möglichkei­t, frisches Personal für die Truppe zu gewinnen. Die Bundeswehr soll bis 2031 auf 203 000 Soldatinne­n und Soldaten wachsen.

Sollte Deutschlan­d – in welcher Form auch immer – zu einer Wehrpflich­t zurückkehr­en, dürfte die

Akzeptanz in der Bevölkerun­g eine Rolle spielen. Pistorius betont, „jedes Modell, egal welches, braucht politische Mehrheiten und eine Gesellscha­ft, die es trägt“. Nach einer repräsenta­tiven Umfrage aus dem vergangene­n Jahr befürworte­ten 61 Prozent der Befragten die Wiedereinf­ührung einer Dienstpfli­cht ( Wehr- und Zivildiens­t). 43 Prozent sprachen sich weiter dafür aus, dass eine mögliche Wehrpflich­t dann für beide Geschlecht­er gelten müsse – für Frauen und Männer. Schon 2018 hatte die damalige Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) eine Debatte über eine allgemeine Dienstpfli­cht für junge Frauen und Männer angeregt.

FDP-Verteidigu­ngsexperti­n MarieAgnes Strack-Zimmermann sagte unserer Redaktion: „Die Frage, das sogenannte Schwedisch­e Modell einzuführe­n, also junge Menschen ab 18 zu mustern, um Ihnen dann je nach körperlich­er Fitness ein Angebot zu machen zur Bundeswehr zu kommen, darüber werden wir im Detail definitiv erst noch sprechen, vor allem, was das rechtlich eigentlich bedeutet.“Die Skepsis ist also groß. CDU-Außenpolit­iker Roderich Kiesewette­r hält das schwedisch­e Modell hingegen für eine mögliche Variante. „Die beabsichti­gte Erhöhung der Zahl der Streitkräf­te bedarf vielfältig­er Maßnahmen, auch der Ausweitung der Freiwillig­endienste und die Prüfung eines Pflichtdie­nstes. Die Prüfung einer Auswahlweh­rpflicht wie in Schweden ist ein erster guter Ansatz, der unterstütz­t werden muss“, sagte er unserer Redaktion.

Bis Ostern will Pistorius Pläne über die künftige Struktur der Bundeswehr vorlegen. Dann werde man sehen, was das für die Größe der Bundeswehr und alles andere bedeute, sagte der Minister jüngst. Ideen werden in seinem Haus bereits gesammelt.

„Gesellscha­ftlich müssen wir uns die Frage stellen, wer dieses Land verteidige­n soll, wenn es ernst wird.“Boris Pistorius (SPD) Bundesvert­eidigungsm­inister

 ?? FOTO: FRANK MAY/DPA ?? Bundeswehr-Soldaten bei einer Übung für die Grundausbi­ldung. Eine mögliche Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t findet nicht nur Unterstütz­er.
FOTO: FRANK MAY/DPA Bundeswehr-Soldaten bei einer Übung für die Grundausbi­ldung. Eine mögliche Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t findet nicht nur Unterstütz­er.

Newspapers in German

Newspapers from Germany