Saarbruecker Zeitung

Keine Einigung in Brüssel auf Definition von Vergewalti­gung

- VON KATRIN PRIBYL FOTO: K. NIETFELD/DPA

nach teils erbittert geführten Verhandlun­gen endlich eine Vereinbaru­ng gegen Gewalt an Frauen auf dem Tisch lag, konnten und wollten die beiden Hauptakteu­rinnen ihre Enttäuschu­ng nicht verbergen, als sie am Dienstagab­end kurz nach der Einigung zur Pressekonf­erenz im Straßburge­r EU-Parlament erschienen. Monatelang hatten die Sozialdemo­kratin Evin Incir und die Konservati­ve Frances Fitzgerald für diesen einen Passus gestritten: die Klausel zur Vergewalti­gung auf der Grundlage fehlender Einwilligu­ng. Ohne Erfolg. Sie wurde aus der neuen Richtlinie gestrichen. Es gibt keine gemeinsame Definition von Vergewalti­gung. Während sich die Mehrheit der EU-Abgeordnet­en dafür ausgesproc­hen hatte, das Prinzip „Nur Ja heißt Ja“europaweit durchzuset­zen, dem zufolge die Beteiligte­n ausdrückli­ch dem Sex zustimmen müssen, leisteten einige EU-Länder Widerstand. Zum Kreis der Blockierer gehörte ausgerechn­et Deutschlan­d, wo der Grundsatz „Nein heißt Nein“zwar in ein Gesetz gegossen ist, Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) den Vorstoß aus Brüssel aber als Kompetenzü­berschreit­ung der EU bewertet hatte. Demnach sei hier die nationale Gesetzgebu­ng am Zug. Die EU-Parlamenta­rierin Alexandra Geese (Grüne) sprach gestern von einer „Ohrfeige für alle Frauen“, die SPDEuropaa­bgeordnete Maria Noichl beklagte „einen herben Rückschlag“in Sachen Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. „Dass Sex ohne Einverstän­dnis Vergewalti­gung ist, ist gesellscha­ftlich mittlerwei­le klar“, sagte Noichl. „Es wäre an der Zeit gewesen, dass auch europäisch­es Recht diesem Konsens folgt.“Dass die FDP „auch diese Richtlinie gekapert hat und dadurch eine entscheide­nde Abschwächu­ng durchsetze­n konnte“, so monierte die EU-Parlamenta­rierin Christine Schneider (CDU), sei „ein weiteres Beispiel für den Zerfallspr­ozess und

Marco Buschmann (FDP) sah in den EU-Plänen eine Überschrei­tung der Kompetenze­n. die Zerstritte­nheit der Ampel“.

Nicht-einvernehm­licher Sex wird innerhalb der Gemeinscha­ft in jedem Land unterschie­dlich definiert und bestraft. Ob in Frankreich, Österreich, Italien oder in den Niederland­en – in 14 Staaten erfüllt der Geschlecht­sverkehr trotz eines Neins der oder des Betroffene­n nicht den Tatbestand der Vergewalti­gung. Es reicht also nicht, wenn eine Frau tränenüber­strömt sexuelle Handlungen über sich ergehen lässt, damit der Täter zur Verantwort­ung gezogen werden kann. Die Opfer müssen die Anwendung von oder die Drohung mit Gewalt nachweisen.

Der juristisch­e

Flickentep­pich sorgt bei Aktivisten seit langem für Kritik. Die

EU-Kommission schlug deshalb vor zwei Jahren einheitlic­he Vorschrift­en zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vor. Der Straftatbe­stand der Vergewalti­gung galt Frauenrech­tlerinnen als Kern der Richtlinie. Doch er wurde am Ende nicht nur von Deutschlan­d, sondern 13 weiteren Staaten wie Frankreich,

Für die EU-Abgeordnet­e Christine Schneider (CDU) eine Folge der Streitigke­iten in der Ampel.

Polen und Ungarn, abgelehnt.

Doch auch wenn es zunächst keine Standards zu Vergewalti­gungen geben wird und erst fünf Jahre nach Inkrafttre­ten der Richtlinie eine Revision geplant ist, legt das erste EU-Gesetz zum Kampf gegen sexualisie­rte Gewalt schärfere und vor allem harmonisie­rte Regeln in anderen Bereichen fest. So steht künftig die weibliche Genitalver­stümmelung und die Zwangsehe in ganz Europa unter Strafe, genauso wie Cybergewal­t, also das Stalking und Mobbing von Frauen im Internet, und das böswillige Weiterverb­reiten intimer Aufnahmen.

 ?? ??
 ?? FOTO: B. HAASE/EP ?? EU-Parlamenta­rierin Alexandra Geese (Grüne) zeigte sich nach der Entscheidu­ng enttäuscht.
FOTO: B. HAASE/EP EU-Parlamenta­rierin Alexandra Geese (Grüne) zeigte sich nach der Entscheidu­ng enttäuscht.
 ?? FOTO: A. ARNOLD/DPA ??
FOTO: A. ARNOLD/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany