Keine Einigung in Brüssel auf Definition von Vergewaltigung
nach teils erbittert geführten Verhandlungen endlich eine Vereinbarung gegen Gewalt an Frauen auf dem Tisch lag, konnten und wollten die beiden Hauptakteurinnen ihre Enttäuschung nicht verbergen, als sie am Dienstagabend kurz nach der Einigung zur Pressekonferenz im Straßburger EU-Parlament erschienen. Monatelang hatten die Sozialdemokratin Evin Incir und die Konservative Frances Fitzgerald für diesen einen Passus gestritten: die Klausel zur Vergewaltigung auf der Grundlage fehlender Einwilligung. Ohne Erfolg. Sie wurde aus der neuen Richtlinie gestrichen. Es gibt keine gemeinsame Definition von Vergewaltigung. Während sich die Mehrheit der EU-Abgeordneten dafür ausgesprochen hatte, das Prinzip „Nur Ja heißt Ja“europaweit durchzusetzen, dem zufolge die Beteiligten ausdrücklich dem Sex zustimmen müssen, leisteten einige EU-Länder Widerstand. Zum Kreis der Blockierer gehörte ausgerechnet Deutschland, wo der Grundsatz „Nein heißt Nein“zwar in ein Gesetz gegossen ist, Justizminister Marco Buschmann (FDP) den Vorstoß aus Brüssel aber als Kompetenzüberschreitung der EU bewertet hatte. Demnach sei hier die nationale Gesetzgebung am Zug. Die EU-Parlamentarierin Alexandra Geese (Grüne) sprach gestern von einer „Ohrfeige für alle Frauen“, die SPDEuropaabgeordnete Maria Noichl beklagte „einen herben Rückschlag“in Sachen Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. „Dass Sex ohne Einverständnis Vergewaltigung ist, ist gesellschaftlich mittlerweile klar“, sagte Noichl. „Es wäre an der Zeit gewesen, dass auch europäisches Recht diesem Konsens folgt.“Dass die FDP „auch diese Richtlinie gekapert hat und dadurch eine entscheidende Abschwächung durchsetzen konnte“, so monierte die EU-Parlamentarierin Christine Schneider (CDU), sei „ein weiteres Beispiel für den Zerfallsprozess und
Marco Buschmann (FDP) sah in den EU-Plänen eine Überschreitung der Kompetenzen. die Zerstrittenheit der Ampel“.
Nicht-einvernehmlicher Sex wird innerhalb der Gemeinschaft in jedem Land unterschiedlich definiert und bestraft. Ob in Frankreich, Österreich, Italien oder in den Niederlanden – in 14 Staaten erfüllt der Geschlechtsverkehr trotz eines Neins der oder des Betroffenen nicht den Tatbestand der Vergewaltigung. Es reicht also nicht, wenn eine Frau tränenüberströmt sexuelle Handlungen über sich ergehen lässt, damit der Täter zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Opfer müssen die Anwendung von oder die Drohung mit Gewalt nachweisen.
Der juristische
Flickenteppich sorgt bei Aktivisten seit langem für Kritik. Die
EU-Kommission schlug deshalb vor zwei Jahren einheitliche Vorschriften zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung galt Frauenrechtlerinnen als Kern der Richtlinie. Doch er wurde am Ende nicht nur von Deutschland, sondern 13 weiteren Staaten wie Frankreich,
Für die EU-Abgeordnete Christine Schneider (CDU) eine Folge der Streitigkeiten in der Ampel.
Polen und Ungarn, abgelehnt.
Doch auch wenn es zunächst keine Standards zu Vergewaltigungen geben wird und erst fünf Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie eine Revision geplant ist, legt das erste EU-Gesetz zum Kampf gegen sexualisierte Gewalt schärfere und vor allem harmonisierte Regeln in anderen Bereichen fest. So steht künftig die weibliche Genitalverstümmelung und die Zwangsehe in ganz Europa unter Strafe, genauso wie Cybergewalt, also das Stalking und Mobbing von Frauen im Internet, und das böswillige Weiterverbreiten intimer Aufnahmen.