Wie die Bauernproteste die EU-Debatte prägen
Die parlamentarische Aufwertung der europäischen Landwirtschaft war schon geplant, bevor in Brüssel Bauern Barrikaden brennen ließen. Die beste Debattenzeit der Woche widmet das Europaparlament der europäischen Agrarpolitik, nimmt sich sehr viel Zeit dafür und schickt auch die erste Garde ins Rennen um die besseren Argumente. Zwar hat am Vortag Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) auch für ihre Institution die Signale bereits verändert und die von den Landwirten erbittert bekämpfte Pestizidverordnung endgültig zurückgezogen. Doch als am Donnerstag die Redner von links und rechts, vom Rand und aus der Mitte heftig aneinander geraten, sind sie sich in einem einig: Enttäuschung über die Ideenlosigkeit der Kommission.
Für die beschreibt Vizepräsident Maros Sefcovic eingangs der Beratungen, wie sehr sich die europäische Landwirtschaft als „resistent“sowohl gegen die Pandemie als auch den russischen Angriffskrieg erwiesen habe. Wie klar die Bauernproteste das Gefühl der Landwirte vermittelten, in einer Sackgasse zu stecken und nicht ausreichend Gehör zu finden. Doch dann folgen nur Allgemeinplätze wie der Wunsch, „zu einem Konsens zu finden“. Die Kommission habe deswegen einen Dialog mit den Vertretern der europäischen Agrarverbände gestartet.
Schon dieses Vorgehen ist für die gelernte Bäuerin und amtierende Freie-Wähler-Europaabgeordnete Ulrike Müller falsch gewählt. Besser wäre es, in Regionalkonferenzen die Vorstellungen und Erwartungen der Landwirte einzusammeln, diese Erkenntnisse dann zu vergleichen und zu einer europäischen Lösung zu bringen. Den Dialog zu starten, zeuge zwar von einem „einsetzenden Problembewusstsein“der Kommission, dieses münde aber umgehend wieder in einem Hinterzimmercharakter, und das sei schlecht, kritisiert Müller.
Norbert Lins, CDU-Europaabgeordneter und Vorsitzender des EUAgrarausschusses, wendet sich ebenfalls an von der Leyens Stellvertreter: „Die Bauern sind auf der Straße und Sie kommen mit leeren Händen“, hält er Sefcovic vor. Eine Reform sei dringend nötig: „Lassen wir die Bauern wieder ihre Arbeit machen“, fordert Lins mit dem Hinweis auf den Abbau von Berichtspflichten.
Manfred Weber (CSU), der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, eröffnete die Debatte mit der Feststellung, dass „Agrarpolitik keine
Unterabteilung der Umweltpolitik“sei. Weber erinnert daran, dass seine Fraktion von Sozialdemokraten als „Klimaleugner“, von Liberalen als „Trumpisten“beschimpft worden sei, als sie die Gesetzesprojekte zur Naturwiederherstellung und zur Pestizidverringerung ausgebremst habe. Inzwischen zeige sich aber, wie richtig das gewesen sei: „Die Bauern wissen, dass sie sich auf uns verlassen können.“Es ist bereits Wahlkampf im Parlament. Und das ist dann auch die Stunde der Rechtspopulisten. Sie sagen voraus, dass in einigen Monaten „wieder die Menschen in den Mittelpunkt gestellt“würden und nicht die Ideologien – so Nicola Procaccini von den italienischen Fratelli.
Grünen-Agrarexperte Martin Häusling betont daraufhin, dass auch seine Fraktion Verständnis für die Proteste der Bauern habe.
Der Ruf nach Reformen klingt an diesem Tag in Straßburg durch viele Redebeiträge. Nur über die konkreten Konturen herrscht nicht die geringste Klarheit. Einstweilen macht das Parlament gegen den Widerstand von SPD, Grünen und Linken jedoch mehrheitlich den Weg frei für die Zulassung neuer Gentechniken in der EU. Pflanzen, die per Genschere gegen Schädlinge und Klimafolgen widerstandsfähiger werden, sollen nach Meinung der Mehrheit aus Christdemokraten, Liberalen und Rechtspopulisten auf EU-Felder wachsen können. Damit geht das Parlament nun in die Verhandlungen mit dem Rat.