Was die neuen Drohungen aus Nordkorea bedeuten
Auf der koreanischen Halbinsel nehmen die Spannungen wieder zu. Experten bezweifeln allerdings, dass der Norden einen Krieg mit dem Süden will.
(ap) „Wir haben gelernt, nichts dabei zu empfinden“, sagt Renee Na, eine 33-jährige Büroangestellte aus Seoul. Ihre Generation sei damit aufgewachsen, dass Nordkorea nukleare Provokationen als ein Mittel zur Wahrung der eigenen Stabilität nutze. Die jüngsten Waffentests der Regierung von Kim Jong Un mögen auf politischer Ebene große Sorgen geweckt haben. Die Menschen auf den Straßen scheinen dagegen nicht sehr beunruhigt zu sein. Etwa ein Dutzend Südkoreaner, mit denen die Nachrichtenagentur AP in diesen Tagen sprach, wirkten ähnlich wie Na eher gleichgültig als verängstigt.
Im Januar verkündete Pjöngjang eine Abkehr von dem grundsätzlichen Ziel einer Aussöhnung mit Südkorea. Kim wiederholte außerdem Drohungen, den Süden zu vernichten, falls dieser ihn provozieren sollte. Parallel ließ er eine Reihe von Raketen testen. Laut nordkoreanischen Angaben wurden auch Atomangriffe auf den Süden simuliert.
Die meisten Experten bezweifeln jedoch, dass die autokratische Regierung in Pjöngjang, der es vor allen anderen Dingen um den Erhalt der eigenen Macht geht, tatsächlich einen Krieg gegen das mit den USA verbündete Südkorea riskieren würde. Washington hat mehrfach betont, dass jeder Einsatz von Atomwaffen durch Nordkorea das Ende der Herrschaft von Kim zur Folge hätte.
„Persönlich glaube ich, dass Kim Jong Un derzeit weder einen Grund noch die Fähigkeiten hat, einen Krieg zu führen“, sagt Min Seungki, ein weiterer Bewohner von Seoul. „Die Nordkoreaner sehen sich ganz klar mit einer für sie ungünstigen südkoreanischen Regierung konfrontiert“, betont er. Und da die US-Regierung von Joe Biden kein großes Interesse an einer näheren Auseinandersetzung mit ihnen gezeigt habe, gehe es ihnen jetzt außerdem darum, von
Donald Trump und den Republikanern wahrgenommen zu werden.
Die Stimmung in Südkorea ist derweil auch von dem Gefühl geprägt, dass es gar nicht allzu viele Möglichkeiten gibt, auf den Druck aus Pjöngjang zu reagieren. Nach den zahlreichen Raketentests der vergangenen Jahre ist Kim nun sehr viel näher an seinem Ziel, ein Atomwaffenarsenal aufzubauen, mit dem er theoretisch sowohl die Nachbarstaaten als auch die USA treffen könnte.
Bislang seien die Sicherheitsängste der Südkoreaner zum einen durch das Bündnis mit den USA und zum anderen durch auf Annäherung ausgerichtete Projekte wie der gemeinsamen Industriezone Kaesong gestillt worden, sagt Han-Wool Jeong, Leiter des Korea People Research Institute. Die von liberalen Regierungen in Seoul angestoßenen innerkoreanischen Projekte seien jedoch zum Erliegen gekommen, seit sich die Beziehungen unter konservativen Regierungen verschlechtert hätten. Laut Jeong gehen viele Südkoreaner deswegen nun davon aus, dass ihre Sicherheit ganz und gar von der Allianz mit Washington abhänge. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2022 hat sich Präsident Yoon Suk Yeol dafür eingesetzt, die gemeinsamen Militärübungen mit den USA sowie mit Japan zu intensivieren.
Einige südkoreanische Experten fordern, dass die USA wieder taktische Atomwaffen in Südkorea stationieren sollten, die sie in den 90er Jahren abgezogen hatten. Kim gibt sich trotzdem selbstbewusst. Das dürfte nicht zuletzt mit Fortschritten bei der eigenen Waffenentwicklung zu tun haben.
„Fest steht, dass Nordkorea die Parlamentswahl im April nutzen will, um in Südkorea auf eine Entfernung von Yoon aus dem Amt hinzuwirken“, sagt Bong Youngshik, ein Nordkorea-Experte von der Yonsei-Universität in Seoul. Pjöngjang „könnte auch eine größere Provokation durchführen, um die Spannungen auf ein Maximum zu steigern und auf diese Art die Wähler zum Widerstand gegen den harten Kurs von Yoon zu bewegen versuchen“.