Kassensturz für bessere Chancen
Vom Startchancen-Programm werden im Saarland rund 50 Schulen profitieren. Insgesamt werden binnen zehn Jahren 240 Millionen Euro in diese Schulen fließen, rund die Hälfte aus Landesmitteln. Warum das Land dennoch billig davonkommen könnte und weshalb Lehr
Auch im Bildungsbereich wird inzwischen immer wieder gerne von einem Transformationsprozess geredet, der zu leisten ist. In welchem Politikfeld eigentlich nicht? „Mutig und mit vereinten Kräften“ließen sich die Schulen verändern,
meinte vergangenen Freitag die saarländische Bildungsministerin und diesjährige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Christine Streichert-Clivot (SPD), bei der Vorstellung des neuen, zum kommenden Schuljahr einsetzenden milliardenschweren StartchancenProgramms von Bund und Ländern.
Verändern in welche Richtung? Die Ministerin plädiert immer wieder dafür, „die Bedürfnisse“der Schüler in den Mittelpunkt zu rücken. Leisten soll dies nun auch das Startchancen
Programm. 50 saarländische Schulen (30 Grund- und 20 weiterführende Schulen) an besonders schwierigen Standorten erhalten dazu in den kommenden zehn Jahren jeweils zwölf Millionen Euro pro Jahr aus Bundes- und Landesmitteln. 24 Millionen Euro jährlich, das entspräche Jahr für Jahr 480 000 Euro pro Schule – ein dicker Batzen. Das Programm ruht auf drei Säulen, die sich in leicht unterschiedlicher Gewichtung auf drei Bereiche verteilen: Bauliche Investitionen (auf sie entfallen 40 Prozent der Fördergelder); Maßnahmen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung und zum Ausbau der multiprofessionellen Teams (jeweils 30 Prozent).
Auf Länderseite können, wie das saarländische Bildungsministerium auf SZ-Anfrage bestätigt, „bestehende Programme mit eingepreist werden“– etwa das vom Land aufgelegte Schulbauprogramm, dessen Volumen alleine 205 Millionen Euro umfasst. Weil laut Bund-Länder-Deal 40 Prozent des jeweiligen Landesanteils und damit im Saarland von 120 Millionen im Zehnjahreszeitraum 48 Millionen Euro auf bauliche Investitionen entfallen, ist die Säule eins für das Land, sofern an den 50 Schulen Baumaßnahmen erfolgen, schon mal ein Nullsummenspiel. Inwieweit man auch mit Blick auf die übrigen Säulen gegebenenfalls bestehende Landesprogramme subsumieren kann und damit finanziell „aus dem Schneider“ist, bleibt abzuwarten.
Ausgewählt werden die Schulen anhand der jeweiligen Armut und Migration im Einzugsgebiet. Finanziert werden soll an den betreffenden Schulen eine „moderne Schul- und Unterrichtsentwicklung“sowie der Ausbau multiprofessioneller Teams. Weil Bildungserfolg auf fatale Weise allzu oft mit der sozialen Herkunft korreliert, zielt das 20-MilliardenProgramm auf mehr Chancengerechtigkeit. Dass die zuletzt in diversen Studien dokumentierten deutschlandweiten Leistungseinbrüche in mehr oder minder allen Schulformen
die Bund-Länder-Einigung beschleunigten, liegt auf der Hand. Offiziell umgesetzt werden soll sie zwar bereits in diesem August, allerdings erst bis zum Schuljahr 2026/27 alle 4000 Schulen bestimmt sein.
Die Reaktionen der saarländischen Lehrerverbände sind ambivalent. Der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) hält das Startchancen-Programm zwar für „absolut begrüßenswert“, sieht allerdings nicht nur an sogenannten Brennpunktschulen Unterstützungsbedarf. „Mittlerweile ist es so, dass alle Schulen zusätzliche Kräfte benötigen“, gibt SLLV-Vize Dominik Schwer zu bedenken. Immer mehr Erziehungsaufgaben würden aus den Elternhäusern „in die Kitas und Schulen verlegt“, so Schwer.
Ähnliche Einwände hegt der Verband Reale Bildung ( VRB). Der Radius des verdienstvollen Bildungsprogramms sei zu eng: „Schon jetzt ist klar, dass das ,Chancenbudget` nicht reichen wird“, glaubt die VRB-Vorsit
zende Karen Claassen. Der VRB weist auf einen weiteren Aspekt hin: die mit der Umsetzung des Programms einhergehende Mehrarbeit. „Vorzubereitende Gespräche, pädagogische Tage, Konferenzen, Vergleichsarbeiten, Erstellung von Konzepten und noch weitere Aufgaben werden auf die ausgesuchten Schulen zukommen.“Die Überlastung der Lehrkräfte, fürchtet Claassen, werde dadurch noch größer.
Auch die außerparlamentarischen Grünen monieren bei aller Zustimmung, dass die Unterrichtsbedingungen und Fördermöglichkeiten auch an den übrigen „90 Prozent der saarländischen Schulen grundlegend verbessert werden“müssten. Konkret fordern sie erneut ein flächendeckendes, „transparentes und leistungsfähiges Bildungsmonitoring“. FDP-Landeschef Oliver Luksic sieht in dem von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mit den Ländern ausgehandelten Programm „das Fundament für ein
erfolgreiches Aufstiegsversprechen“, das eine Abkehr vom „Königsteiner Schlüssel“– sprich des Gießkannenprinzips – einleite.
Das „größte Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“(O-Ton Bundesbildungsministerium) ändert nichts daran, dass ein zweites Bildungsprogramm seiner Umsetzung harrt: Im „Digitalpakt 2.0“gibt es bislang keine Einigung zwischen Bund und Ländern. Der Bund soll, so der föderale Choral der 16 Länder, wie im ersten Digitalpakt pro Jahr eine Milliarde beisteuern. Umgekehrt will die Ampel die Länder stärker zur Kasse bitten: Sie sollen künftig 50 Prozent (bislang zehn Prozent) der Kosten tragen. Weil das Startchancen-Programm erst im Frühjahr von den Ländern ratifiziert werden muss, dürften Bund und Länder bis dahin ausloten, inwieweit sich beide Bildungsprogramme (Startchancen und Digitalpakt 2.0) im Finanzschacher noch gegeneinander ausspielen lassen.