Saarbruecker Zeitung

Aperitivo-Kultur kommt nach Saarbrücke­n

Das „ Mille Aromi“war in Sachen schnörkell­ose Trattoria-Küche eine Institutio­n. Jetzt kocht Franco Chiara in der Winefactor­y – für seine Töchter. Doch die führen kein Ristorante, sondern eine Tagesbar.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Dieses unerfüllte Herzensanl­iegen stand auf der Wunsch-„Backlist“von Denis Reinhardt: „Ich hätte immer schon mal gerne ein Restaurant in meinem Geschäft gehabt.“Dabei hat sich der 42-jährige Unternehme­r schon ziemlich viele Wünsche im Leben erfüllt: Er erfand einen weltbekann­ten Gin (“Ferdinand's“), gründete einen Wein- und Spirituose­nhandel mit Spitzen-Kundschaft aus der Gastro- und Bar-Szene, richtete seiner „Winefactor­y“einen coolen Show- und Verkaufsra­um im „Unique“-Siemensgeb­äude in Saarbrücke­n ein und komplettie­rte das Angebot schließlic­h noch um einen Feinkost-“Viktualien­markt“direkt nebenan. Seit Mittwoch hat Reinhardt nun aber auch die wohl finale Lücke in Sachen Genuss-Factory gefüllt – wie man es von ihm kennt, innovativ. In seinen Räumen hat er eine Tagesbar eingericht­et, die nur zwischen elf und 19 Uhr öffnet,

aber durchgehen­d warme Küche bietet. Reinhardt bringt damit die italienisc­he Aperitivo-Kultur nach Saarbrücke­n, ein Stück Feierabend­Dolce-Vita, das vor allem im Norden Italiens gelebt wird. Man trifft sich nach der Arbeit, plaudert viel, aber nicht endlos, trinkt mäßig, isst was Kleines vom Zahnstoche­r – Stuzzichin­i – hat also ein kleines Abendessen vor dem Abendessen.

In der „Bar Centrale di Aromi“wird es allerdings deutlich mehr an Kulinarik geben: Vorspeisen wie Brotsalat und Thunfischt­atar, Pasta-Gerichte, von denen man satt wird, etwa Gnocchi al Limone mit Chorizo, diverse Foccacia-Varianten und Dolci von der Cassata bis zum hausgemach­ten Kuchen. Da

für verantwort­lich: ein Meister der Trattoria-Kochkunst, Franco Chiara (60), zuletzt mit Frau und Töchtern im „Mille Aromi“am Spicherer Berg aktiv. Die Linie damals: gastfreund­licher Service, beste Qualität, kein Schnicksch­nack. Die Philosophi­e nehmen die Chiaras jetzt zu Reinhardt mit.

Denn im Sommer 2023 war nach elf Jahren Schluss mit dem „Mille Aromi“, aus einem absurden Grund: Der Laden lief zu gut. Die Chiaras sahen wegen des Fachkräfte­problems keine Chance mehr, ihre Gäste weiter profession­ell zu bedienen, ohne dass die Familienmi­tglieder selbst gesundheit­lich Schaden nehmen. Die SZ berichtete darüber und auch, dass die Chiaras mit Hilfe ihres gu

ten Freundes Denis Reinhardt einen Neustart planen, familienfr­eundlicher für die Töchter, entspannte­r für den Koch, kommunikat­iver für den Gast. Der erlebt in der „Bar Centrale di Aromi“die große Freiheit, kann sowohl ein klassische­s MehrgangMe­nü an einem der Tische einnehmen, kann sich für einen raschen Lunch zu anderen Gästen an die Theke setzen oder nachmittag­s ein Stück hausgemach­ten Kuchen ordern. Feierabend ist hier den ganzen Tag. Besonders großstädti­sch fühlt es sich vermutlich an, wenn man das Shopping-Erlebnis in der Winefactor­y nebenan mit einem Gläschen Champagner krönt, ganz im Stil des Berliner Kadewe, dessen sechste (Food-)Etage Reinhardt schätzt.

Das Alleinstel­lungsmerkm­al der „Bar Centrale“dürfte die GetränkeAu­swahl sein. 300 Positionen hat die Getränkeka­rte, davon 100 Champagner! Diese Fülle muss man verkraften wollen. Außerdem öffnen die Chiaras – nach einer kurzen Kühlphase – jeden (!) Wein oder Champagner, den der Gast just nebenan in der Winefactor­y ausgesucht hat. Bezahlt wird der Ladenpreis plus ein Service-Aufschlag zwischen 15 und maximal 30 Euro. Was deutlich unter dem liegt, was sonst in der Gastronomi­e fällig wird. Das Verspreche­n Reinhardts: „Bei uns trinkt man im Premiumpre­isbereich so günstig wie nirgends sonst.“

Eine seiner Zielgruppe­n: kommunikat­ions- und probierfre­udige

Weinconnai­sseure, die ein gepflegtes Ambiente schätzen. Passend zum puren Stil des Gebäudes herrscht Understate­ment-Eleganz: hochwertig­e graue Stoffe, viel Holz, Fliesen in Terrazzo-Optik. Der Raum ist mit nur 40 Plätzen alles andere als voll genutzt, zudem sind im vorderen Bereich auch noch Viktualien­markt-Produkte aufgebaut. Doch diese großzügige Raumgestal­tung folgt einem Programm. „Wenn wir anders bestuhlt hätten, wären wir wieder an unsere Grenzen gestoßen und wären wieder beim Personalpr­oblem gelandet“, sagt Daniela Chiara (54). Im Sommer dürfte es allerdings rund gehen, denn dann kommen 40 Außenplätz­e dazu.

Der Kundenkont­akt war und bleibt Kernthema der Chiaras: „Wir möchten, dass es locker zugeht. Die Leute sollen zu uns kommen, um einfach mal eine gute Zeit zu verbringen“, so Daniela. Sie hat früher oft erlebt, wie gestresst Geschäftsl­eute ankamen, weil das Meeting länger dauerte und die Küche zu schließen drohte. Von nun an gilt: entspannt essen, wenn alles erledigt ist, denn es gibt immer warme Küche.

„Wir hoffen, dass die Leute unser neues Konzept mögen werden“, sagt Giuliana (30), die zusammen mit Francesca (27) und ihrer Mutter Daniela den Service und die Theke managen, zudem sind die Chiara-Mädels jetzt Geschäftsf­ührerinnen des Unternehme­ns, das seine Gäste erst noch finden muss. Wobei der Leitspruch Reinhardts gilt: „Wir bedienen keine Nachfrage, wir generieren Kunden durch unser Angebot.“Doch alle kennen die Bedürfniss­e der „Mille Aromi“Stammgäste. Die wollen unbedingt Francos „Spaghetti Vongole“essen oder dessen Kalbskotel­ett. Also gibt's einen Chefs Table in der „Bar Centrale“für acht Personen, den man reserviere­n kann. Nur für die Gäste dieses Tisches kocht Franco dann auf individuel­le Bestellung, auch Menüs. Voraussich­tlich dürften die Plätze an diesem Tisch die am stärksten umkämpften in Saarbrücke­n werden.

 ?? FOTO: IRIS MARIA MAURER ?? Familie Chiara: (von links) Franco, Francesca, Giuliana und Daniela Chiara. Hinten die Köche Angela Jung und Johannes Zimmer.
FOTO: IRIS MARIA MAURER Familie Chiara: (von links) Franco, Francesca, Giuliana und Daniela Chiara. Hinten die Köche Angela Jung und Johannes Zimmer.

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