Aperitivo-Kultur kommt nach Saarbrücken
Das „ Mille Aromi“war in Sachen schnörkellose Trattoria-Küche eine Institution. Jetzt kocht Franco Chiara in der Winefactory – für seine Töchter. Doch die führen kein Ristorante, sondern eine Tagesbar.
Dieses unerfüllte Herzensanliegen stand auf der Wunsch-„Backlist“von Denis Reinhardt: „Ich hätte immer schon mal gerne ein Restaurant in meinem Geschäft gehabt.“Dabei hat sich der 42-jährige Unternehmer schon ziemlich viele Wünsche im Leben erfüllt: Er erfand einen weltbekannten Gin (“Ferdinand's“), gründete einen Wein- und Spirituosenhandel mit Spitzen-Kundschaft aus der Gastro- und Bar-Szene, richtete seiner „Winefactory“einen coolen Show- und Verkaufsraum im „Unique“-Siemensgebäude in Saarbrücken ein und komplettierte das Angebot schließlich noch um einen Feinkost-“Viktualienmarkt“direkt nebenan. Seit Mittwoch hat Reinhardt nun aber auch die wohl finale Lücke in Sachen Genuss-Factory gefüllt – wie man es von ihm kennt, innovativ. In seinen Räumen hat er eine Tagesbar eingerichtet, die nur zwischen elf und 19 Uhr öffnet,
aber durchgehend warme Küche bietet. Reinhardt bringt damit die italienische Aperitivo-Kultur nach Saarbrücken, ein Stück FeierabendDolce-Vita, das vor allem im Norden Italiens gelebt wird. Man trifft sich nach der Arbeit, plaudert viel, aber nicht endlos, trinkt mäßig, isst was Kleines vom Zahnstocher – Stuzzichini – hat also ein kleines Abendessen vor dem Abendessen.
In der „Bar Centrale di Aromi“wird es allerdings deutlich mehr an Kulinarik geben: Vorspeisen wie Brotsalat und Thunfischtatar, Pasta-Gerichte, von denen man satt wird, etwa Gnocchi al Limone mit Chorizo, diverse Foccacia-Varianten und Dolci von der Cassata bis zum hausgemachten Kuchen. Da
für verantwortlich: ein Meister der Trattoria-Kochkunst, Franco Chiara (60), zuletzt mit Frau und Töchtern im „Mille Aromi“am Spicherer Berg aktiv. Die Linie damals: gastfreundlicher Service, beste Qualität, kein Schnickschnack. Die Philosophie nehmen die Chiaras jetzt zu Reinhardt mit.
Denn im Sommer 2023 war nach elf Jahren Schluss mit dem „Mille Aromi“, aus einem absurden Grund: Der Laden lief zu gut. Die Chiaras sahen wegen des Fachkräfteproblems keine Chance mehr, ihre Gäste weiter professionell zu bedienen, ohne dass die Familienmitglieder selbst gesundheitlich Schaden nehmen. Die SZ berichtete darüber und auch, dass die Chiaras mit Hilfe ihres gu
ten Freundes Denis Reinhardt einen Neustart planen, familienfreundlicher für die Töchter, entspannter für den Koch, kommunikativer für den Gast. Der erlebt in der „Bar Centrale di Aromi“die große Freiheit, kann sowohl ein klassisches MehrgangMenü an einem der Tische einnehmen, kann sich für einen raschen Lunch zu anderen Gästen an die Theke setzen oder nachmittags ein Stück hausgemachten Kuchen ordern. Feierabend ist hier den ganzen Tag. Besonders großstädtisch fühlt es sich vermutlich an, wenn man das Shopping-Erlebnis in der Winefactory nebenan mit einem Gläschen Champagner krönt, ganz im Stil des Berliner Kadewe, dessen sechste (Food-)Etage Reinhardt schätzt.
Das Alleinstellungsmerkmal der „Bar Centrale“dürfte die GetränkeAuswahl sein. 300 Positionen hat die Getränkekarte, davon 100 Champagner! Diese Fülle muss man verkraften wollen. Außerdem öffnen die Chiaras – nach einer kurzen Kühlphase – jeden (!) Wein oder Champagner, den der Gast just nebenan in der Winefactory ausgesucht hat. Bezahlt wird der Ladenpreis plus ein Service-Aufschlag zwischen 15 und maximal 30 Euro. Was deutlich unter dem liegt, was sonst in der Gastronomie fällig wird. Das Versprechen Reinhardts: „Bei uns trinkt man im Premiumpreisbereich so günstig wie nirgends sonst.“
Eine seiner Zielgruppen: kommunikations- und probierfreudige
Weinconnaisseure, die ein gepflegtes Ambiente schätzen. Passend zum puren Stil des Gebäudes herrscht Understatement-Eleganz: hochwertige graue Stoffe, viel Holz, Fliesen in Terrazzo-Optik. Der Raum ist mit nur 40 Plätzen alles andere als voll genutzt, zudem sind im vorderen Bereich auch noch Viktualienmarkt-Produkte aufgebaut. Doch diese großzügige Raumgestaltung folgt einem Programm. „Wenn wir anders bestuhlt hätten, wären wir wieder an unsere Grenzen gestoßen und wären wieder beim Personalproblem gelandet“, sagt Daniela Chiara (54). Im Sommer dürfte es allerdings rund gehen, denn dann kommen 40 Außenplätze dazu.
Der Kundenkontakt war und bleibt Kernthema der Chiaras: „Wir möchten, dass es locker zugeht. Die Leute sollen zu uns kommen, um einfach mal eine gute Zeit zu verbringen“, so Daniela. Sie hat früher oft erlebt, wie gestresst Geschäftsleute ankamen, weil das Meeting länger dauerte und die Küche zu schließen drohte. Von nun an gilt: entspannt essen, wenn alles erledigt ist, denn es gibt immer warme Küche.
„Wir hoffen, dass die Leute unser neues Konzept mögen werden“, sagt Giuliana (30), die zusammen mit Francesca (27) und ihrer Mutter Daniela den Service und die Theke managen, zudem sind die Chiara-Mädels jetzt Geschäftsführerinnen des Unternehmens, das seine Gäste erst noch finden muss. Wobei der Leitspruch Reinhardts gilt: „Wir bedienen keine Nachfrage, wir generieren Kunden durch unser Angebot.“Doch alle kennen die Bedürfnisse der „Mille Aromi“Stammgäste. Die wollen unbedingt Francos „Spaghetti Vongole“essen oder dessen Kalbskotelett. Also gibt's einen Chefs Table in der „Bar Centrale“für acht Personen, den man reservieren kann. Nur für die Gäste dieses Tisches kocht Franco dann auf individuelle Bestellung, auch Menüs. Voraussichtlich dürften die Plätze an diesem Tisch die am stärksten umkämpften in Saarbrücken werden.