Ein Ministerpräsident Höcke ist nicht ausgeschlossen
Sieben Monate vor den Landtagswahlen in drei Ost-Ländern liegt die AfD klar auf Platz eins – auch in Thüringen. Raufen die übrigen Parteien sich zusammen?
Der Wahlkampf hat längst begonnen. Man werde „kämpfen bis zum Umfallen“, sagte Björn Höcke schon im November vergangenen Jahres bei der Versammlung der Thüringer AfD zur Aufstellung für die Landtagswahl. Man werde „das Establishment jagen“, so der AfDLandeschef in Pfiffelbach, „und darauf freue ich mich“. Höcke weiter: 2024 werde „eines der wichtigsten Wahlkampfjahre“, nicht nur für Thüringen, sondern „wahrscheinlich für die Bundesrepublik Deutschland“.
Die von dem Rechtsextremisten angeführte Thüringer AfD liegt in den Umfragen seit Monaten stabil auf Platz eins – aktuell mit 31 Prozent und damit elf Punkten Vorsprung zur zweitplatzierten CDU. Auch in Brandenburg und Sachsen, wo ebenfalls am 1. September gewählt wird, liegt die AfD klar vorne. Betrachtet man diese Werte, dann wird deutlich, warum das Szenario eines AfD-Ministerpräsidenten nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Die Vorbereitung der demokratischen Parteien auf die Landtagswahlen läuft am Ende auf die Gretchenfrage hinaus: Wie hältst du's mit der AfD?
Thüringens CDU-Chef Mario Voigt hat Anfang dieser Woche ein Versprechen abgegeben. „Ich werde mit dieser AfD, der angeblichen Alternative, nicht koalieren und nicht mit ihr zusammenarbeiten“, sagte Voigt im TV-Talk, „hart aber fair“. Der Chef der in Umfragen drittplatzierten Thüringer Linken, Christian Schaft, gibt das Ziel aus, bei der Landtagswahl „erneut stärkste Kraft in Thüringen“zu werden. In der kommenden Legislaturperiode will die Linke mit Bodo Ramelow wieder den Ministerpräsidenten stellen. Auch der Chef der Thüringer SPD, Innenminister Georg Maier, distanziert sich klar von Höcke. Die SPD stehe für eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht zur Verfügung, so Maier. Seine Strategie in Abgrenzung zur AfD bestehe darin, dass die SPD in Thüringen einen Wahlkampf für die eigenen Themen mache.
Das Rezept, die AfD inhaltlich zu stellen und auf den eigenen Markenkern zu setzen, findet man derzeit bei vielen Parteien. Doch in Thüringen kann diese Strategie an ihre Grenzen stoßen. Will man sichergehen, dass nach der Wahl nicht ein AfD-Ministerpräsident die Macht übernimmt, bräuchte es widerstandsfähigere Pläne – und vor allem klare Absprachen. Grund dafür ist eine Unschärfe in der Thüringer Verfassung. Die Verfassung sieht vor, dass bei der Wahl zum Ministerpräsidenten im dritten Wahlgang gewählt ist, wer „die meisten Stimmen“bekommt. Ist ein Kandidat gewählt, wenn er mehr Nein- als Ja-Stimmen erhält? Diese Frage wird unter Juristen kontrovers diskutiert. Laut dem Verfassungsrechtler Robert Böttner von der Uni Erfurt geht die „wohl richtige“und „herrschende Meinung“davon aus, dass im dritten Wahlgang gewählt sei, wer relativ zu anderen Bewerbern die meisten abgegebenen Ja-Stimmen erhalte. Es sei unerheblich, ob bei einem einzelnen Bewerber mehr Nein- als Ja-Stimmen vorlägen. „Gibt es nur einen einzigen Kandidaten im dritten Wahlgang, ist dieser gewählt“, so Böttner.
Die Staatsrechtlerin Sophie Schönberger von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hält die Auffassung für falsch, dass ein Kandidat auch dann gewählt ist, wenn er mehr Nein- als Ja-Stimmen erhält. Sie argumentiert, dass ein AfD-Kandidat zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte, „wenn er beispielsweise 35 Prozent Ja-Stimmen und 65 Prozent Nein-Stimmen erhielte“. Dieses Szenario würde allerdings voraussetzen, dass im dritten Wahlgang nur ein AfD-Kandidat ohne Gegenkandidat ins Rennen geht, oder dass die anderen Parteien nicht geschlossen für einen anderen Kandidaten stimmen. Die Debatte zeigt, wie wichtig es wäre, dass sich die demokratischen Parteien abstimmen.
Doch dazu halten sie sich auf Nachfrage bedeckt. „Natürlich sind die rot-rot-grünen Regierungsparteien und -fraktionen seit Jahren in einem regelmäßigen Austausch über die relevanten politischen Fragen, schließlich regieren wir seit inzwischen über neun Jahren vertrauensvoll zusammen“, sagte Thüringens Linken-Chef Schaft. Ob mit den „relevanten politischen Fragen“auch die Kandidatenaufstellung gemeint ist, lässt Schaft offen.
Laut SPD-Landeschef Maier brauche es eine „stabile demokratische Mehrheitsregierung“in Thüringen. „Je stärker die SPD abschneidet, desto wahrscheinlicher ist dieses Ziel“, so Maier. Doch danach sieht es nicht aus. Nach aktuellen Prognosen wäre nicht einmal dann eine mehrheitsfähige Koalition möglich, wenn sich CDU, Linke, SPD und Grüne zusammentun. Und zu diesem Viererbündnis wird es höchstwahrscheinlich nicht kommen, da die CDU an ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken festhält.
Vieles deutet also darauf hin, dass es an klaren Absprachen fehlt. Stattdessen gibt es einen offen ausgetragenen Streit in der Frage, ob die Verfassung noch vor der Landtagswahl geändert werden sollte, um mehr Rechtssicherheit bei der Ministerpräsidenten-Wahl zu schaffen. CDU und SPD sind dafür, Ministerpräsident Bodo Ramelow und seine Linke dagegen. Ein klares Patt.