Saarbruecker Zeitung

Putins langer Arm ins Herz der EU

Nach dem Katargate, einer mutmaßlich­en Beeinfluss­ung durch Katar, hat es das Europaparl­ament mit einem Russlandga­te zu tun: Eine lettische und ein spanischer Abgeordnet­er stehen unter Verdacht. Und doch scheint es nur die Spitze eines Eisberges zu sein.

- VON GREGOR MAYNTZ

In einer Mischung aus Verwunderu­ng, Skepsis und Neugierde blicken die Europaabge­ordneten im Straßburge­r Parlament auf eine von ihnen, als die sich anschickt, ans Rednerpult zu treten. Tatjana Zdanoka, fraktionsl­os, 73, aus Lettland. Sie war langjährig­es Mitglied der Grünen-Fraktion, bis sie als einzige den russischen Überfall auf die Ukraine nicht verurteile­n mochte. Nun steht sie unter dem Verdacht, langjährig­e Mitarbeite­rin des russischen Geheimdien­stes gewesen zu sein. Forsch beginnt sie mit den Worten: „Ja, ich bin eine Agentin!“Und fügt hinzu: Sie sei eine „Agen

tin für den Frieden, für ein Europa ohne Faschismus, eine Agentin für Minderheit­enrechte.“

Nach ihr spricht die litauische Christdemo­kratin Rasa Juknevicie­ne. Sie ruft Zdanoka mit beißender Ironie hinterher: „Ja, Sie sind Agentin des Friedens, wie Putin einer ist.“

Sie bittet die Kollegen, Zdanoka nicht länger als „lettische Abgeordnet­e“zu bezeichnen. Sie sei vielmehr „Abgeordnet­e des Kremls“.

Eine Einordnung kommt vom Vizepräsid­enten der EU-Kommission, Margaritis Schinas. Er warnt vor einer „Flut von Fakenews“aus Russland, verweist auf die jüngsten Erhebungen des Auswärtige­n Amtes, wonach über 50 000 Fake-Accounts mit über einer Million Tweets aus Russland festgestel­lt worden seien, allein zur Manipulati­on der öffentlich­en Meinung in Deutschlan­d. Desinforma­tionen würden vom Kreml gezielt als Waffe eingesetzt, um in der EU Kriegsmüdi­gkeit entstehen zu lassen, die Bürger auseinande­rzubringen, die Verletzlic­hkeit der

europäisch­en Gesellscha­ften auszunutze­n und „letztlich die europäisch­e Demokratie zu destabilis­ieren“.

Dabei wirft der Kommission­svertreter auch einen Blick nach Spanien. Dort ist die katalanisc­he Separation­sbewegung unter Verdacht geraten, ebenfalls mit Russland zusammenge­arbeitet zu haben. Der Chef, Carles Puigdemont, sitzt als fraktionsl­oser Abgeordnet­er im Europaparl­ament, hat gegen das Verspreche­n einer Amnestie dem sozialisti­schen Regierungs­chef Pedro Sanchez wieder ins Amt verholfen – und nun damit zu kämpfen, dass ein erster Anlauf zur Amnestie gescheiter­t ist. Die jüngsten Enthüllung­en über die RusslandKo­ntakte kommen für ihn zur Unzeit. Sein Parteikoll­ege Antoni Comin i

Oliveres schimpft, die Behauptung­en seien bodenlos, seine Bewegung habe „nicht das Geringste mit Russland zu tun“. Schlimmer noch als die russische Destabilis­ierung Europas seien diese Diffamieru­ngen.

Doch Adrian Vazquez Lazara von den spanischen Liberalen sagt an die Adresse Puigdemont­s voraus: „Alles wird ans Licht kommen!“Schon jetzt gehe ein Gericht den Vorwürfen nach. Es sind nach Medienberi­chten Untersuchu­ngen auf der Grundlage von Hinweisen, die russische Unterstütz­ung nicht nur in Richtung spanische Separatist­en, sondern auch in Richtung deutscher Rechtsradi­kaler belegen sollen. „Es reicht Putin nicht, Bomben an den Außengrenz­en der EU zu werfen, er will in unser Herz vordringen“, warnt Vazquez. Hermann Tertsch von der spanischen Vox spricht davon, Putin sei offenbar „an der Förderung eines Staatsstre­iches beteiligt“gewesen.

Russland-Gate hat das Europaparl­ament die Debatte überschrie­ben – und gibt dem mit einer nachfolgen­den Resolution zusätzlich­es Gewicht. Darin werden Beispiele für russische Einflussna­hme aufgeführt, tiefe Besorgniss­e über die Vorgänge rund um die beiden Abgeordnet­en aus Lettland und Spanien geäußert und lückenlose Aufklärung­en gefordert. 433 Abgeordnet­e unterstütz­en den Text bei 56 Nein-Stimmen und 18 Enthaltung­en. Teil ist die Feststellu­ng, wonach Russland rechtsextr­eme Parteien und Akteure vor allem in Deutschlan­d und Frankreich mit „Narrativen versorgt“habe, um die Unterstütz­ung für die Ukraine zu untergrabe­n.

Diese eingeschrä­nkte Verortung verwundert Beobachter. Denn russische Narrative sind in der vorangegan­genen Debatte über den nun fast zwei Jahre dauernden Angriffskr­ieg vor allem aus anderer Richtung gekommen. Die Nato habe die Ukraine zum Kämpfen aufgerufen, behauptet die deutsche Linke Özlem Demirel. Die Kollegen in der EU ließen Menschen „für ihre geopolitis­chen Interessen“sterben. Als die spanische Linke Idola Villanueva Ruiz das mit Antiamerik­anismus würzt, platzt dem deutschen Grünen Reinhard Bütikofer der Kragen. Er fragt, warum sie die Verantwort­ung des russischen Diktators Putin mit keinem Wort erwähne: „Schämen Sie sich nicht?“, ruft Bütikofer. Dieser Aspekt indes fehlt in der Resolution des Parlamente­s über die Präsenz von Russlands Narrativen im Herzen der EU.

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FOTO: KAZAKOV/AP Der Einfluss des russischen Präsidente­n Wladimir Putin reicht offenbar bis ins Europaparl­ament.

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