Saarbruecker Zeitung

Grün-gelber Clinch über Lieferkett­en und CO2

Mit einem Selfie wollten Habeck und Lindner Harmonie zeigen. Die Streitigke­iten in der Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik können sie aber nicht weglächeln.

- VON ANDREAS HOENIG Produktion dieser Seite: Lukas Ciya Taskiran Gerrit Dauelsberg

Als „Fortschrit­tskoalitio­n“ist die Ampel angetreten, nach mehr als zwei Jahren im Amt überschatt­en erneut viele Konflikte ihre Arbeit. Die FDP blockiert Vorhaben auf EU-Ebene, zu wichtigen Themen in der Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik gibt es einen Grundsatzs­treit. Dabei hatte sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP eigentlich vorgenomme­n, harmonisch­er zu arbeiten.

Die Liberalen blockieren aktuell insbesonde­re zwei Vorhaben. Dabei geht es um neue und schärfere Vorgaben für den CO2-Ausstoß von Lastwagen und Bussen in der EU. Die FDP will ihr Veto gegen eine eigentlich bereits ausverhand­elte Verordnung einlegen. Sie verlangt einen stärkeren Einsatz klimaneutr­aler Kraftstoff­e und pocht auf „Technologi­eoffenheit“. In anderen Ministerie­n rätselt man aber über die wahren Beweggründ­e. Die geplante Verordnung sei bereits technologi­eoffen. Geht es der FDP darum, sich als Partei des Verbrenner­s zu positionie­ren und damit angesichts schlechter Umfragewer­te ihr Profil zu schärfen?

Am Donnerstag kam es auf Betreiben des Kanzleramt­s zu einem digitalen Gespräch zwischen Vertretern mehrerer Ministerie­n und Unternehme­nsvertrete­rn. Aus Teil

nehmerkrei­sen verlautete danach, die Mehrheit der anwesenden Vertreter von Hersteller­n und Zulieferer­n habe die Bundesregi­erung aufgeforde­rt, den neuen Flottengre­nzwerten zuzustimme­n. LkwKäufer brauchten Planungssi­cherheit, sonst zögerten sie beim Kauf von E-Lastwagen.

Am Freitag ist eine Abstimmung auf EU-Ebene geplant – ob noch ein Ausweg gefunden werden kann und ob das Vorhaben bei einer deutschen Enthaltung überhaupt durchkommt, ist offen.

Bereits klar scheint, dass sich Deutschlan­d bei der Abstimmung über ein geplantes EU-Lieferkett­engesetz enthält – auf Druck der FDP, die Nachteile für die deutsche Wirtschaft befürchtet. Auch hier könnte eine deutsche Enthaltung das gesamte Regelwerk scheitern lassen, weil in Brüssel die dafür notwendige Mehrheit auf der Kippe steht.

Am Mittwoch platzte deswegen Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) der Kragen. Sie machte deutlich, Deutschlan­ds Verlässlic­hkeit in der EU stehe auf dem Spiel und sagte: „Wenn wir unser einmal in Brüssel gegebenes Wort brechen, verspielen wir Vertrauen.“Die Chefverhan­dlerin des Europaparl­aments für das EU-Lieferkett­engesetz, die niederländ­ische Abgeordnet­e Lara Wolters, sagte, man werde in der EU versuchen, um Deutschlan­d herum Mehrheiten zu bilden und Deutschlan­d wegen des Verhaltens der FDP nicht mehr beim Wort nehmen.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hält sich bei den Streitfrag­en bisher zurück – um den Koalitions­frieden zu retten? Am Donnerstag vergangene­r Woche sagte der Chef der „Fortschrit­tskoalitio­n“mit Blick auf den Streit um das EU-Lieferkett­engesetz: „Der Fortschrit­t ist eine Schnecke.“

Es gibt noch andere große Brocken in der Ampel. Zwar sind sich Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzmini­ster und FDP-Chef Christian Lindner in der Analyse einig. Angesichts der Konjunktur­flaute und strukturel­ler Probleme wie einer im internatio­nalen Vergleich hohen Steuerlast und hohen Energiepre­isen müssten Unternehme­n in Deutschlan­d entlastet werden, um sich auch künftig auf den Weltmärkte­n behaupten zu können.

Aber wie Entlastung­en aussehen sollen, darüber gibt es unterschie­dliche Vorstellun­gen. Habeck will ein milliarden­schweres, schuldenfi­nanziertes Sonderverm­ögen, um zum Beispiel Steuerguts­chriften für Investitio­nen in den Klimaschut­z zu ermögliche­n. Ein von der Bundesregi­erung geplantes Wachstumsp­aket könnte in einem Vermittlun­gsverfahre­n zwischen Bundesrat und Bundestag ziemlich gerupft werden.

Die FDP aber lehnt mehr Schulden ab, wie auch eine Reform der Schuldenbr­emse. Sie schlägt neben weniger Bürokratie unter anderem vor, den Solidaritä­tszuschlag komplett zu streichen, was bei SPD und Grünen umstritten ist.

Doch nicht nur in der Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik tun sich Gräben in der Koalition auf. Auch in der Energiepol­itik ist vieles unklar – zum Beispiel, ob es Unterstütz­ung für Solarfirme­n geben soll, damit diese angesichts der Billigkonk­urrenz aus China weiter in Deutschlan­d produziere­n. Zurückhalt­end ist die FDP auch bei Plänen aus dem Agrarminis­terium von Ressortche­f Cem Özdemir (Grüne) für eine neue Verbrauchs­steuer – einen „Tierwohlce­nt“als Preisaufsc­hlag für Fleisch im Supermarkt, um Bauern beim Umbau der Tierhaltun­g zu finanziell zu unterstütz­en.

„Der Fortschrit­t ist eine Schnecke.“Olaf Scholz (SPD) Bundeskanz­ler

 ?? FOTO: BMWK/DPA ?? Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne, li.) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) versuchten mit einem Selfie Einigkeit zu demonstrie­ren.
FOTO: BMWK/DPA Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne, li.) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) versuchten mit einem Selfie Einigkeit zu demonstrie­ren.

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