Saarbruecker Zeitung

Widerstand gegen Billig-Marktplätz­e aus China

Mit Billigange­boten schwimmt der chinesisch­e Online-Marktplatz Temu in Deutschlan­d auf einer Erfolgswel­le. Nun werden Forderunge­n lauter, diese Geschäfte schärfer zu kontrollie­ren.

- VON CHRISTIAN ROTHENBERG UND JULIAN WEBER

(dpa) Handelsexp­erten und Verbände fordern ein strikteres Vorgehen gegenüber chinesisch­en Billig-Marktplätz­en wie Temu. „Weder der europäisch­e noch der deutsche Gesetzgebe­r sind in der Lage, ihre Verordnung­en und Gesetze gegenüber chinesisch­en Unternehme­n vollständi­g durchzuset­zen“, sagte der Vize-Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Deutschlan­d (HDE), Stephan Tromp. Dadurch entstünden Wettbewerb­sverzerrun­gen.

Das gilt dem Handelsver­band zufolge etwa auch für das deutsche Lieferkett­engesetz. Die Regelung soll die Einhaltung von Menschenre­chten bei Zulieferer­n garantiere­n und gilt seit Januar auch für Firmen mit mindestens 1000 Beschäftig­ten im Inland. „Die zuständige Bundesbehö­rde macht mitnichten aber auch nur einen Finger krumm, um die Vorgaben bei chinesisch­en Unternehme­n – die ebenfalls an den Endkunden verkaufen und damit im direkten Wettbewerb zu deutschen Händlern stehen – durchzuset­zen“, sagte Tromp.

Kai Hudetz vom Institut für Handelsfor­schung (IFH) hält eine stärkere staatliche Regulierun­g ebenfalls für notwendig. „Es ist kein fairer Wettbewerb, wir brauchen mehr Transparen­z. Die Politik muss aktiv werden und insbesonde­re Kennzeichn­ungspflich­ten durchsetze­n“, sagte der IFH-Geschäftsf­ührer. Für Anbieter aus Fernost müssten dieselben Regeln und Standards wie für europäisch­e Anbieter gelten. Das sei eine Frage der Fairness. Zugleich sieht er die Verbrauche­r in der Pflicht. „Bei den Preisen kann sich jeder ausrechnen, wie nachhaltig die Produkte hergestell­t und transporti­ert worden sind und wie gut die Qualität sein kann.“

Auch der E-Commerce Verband bevh fordert eine härtere Gangart. „Wenn sich Unternehme­n unfair am Markt verhalten, dann muss das unterbunde­n werden“, sagte der stellvertr­etende bevh-Hauptgesch­äftsführer Martin Groß-Albenhause­n. Es gebe strenge Vorgaben etwa zur Produktsic­herheit. Die Frage sei, warum diese Regeln nicht durchgeset­zt werden könnten.

Die Flut an Paketen aus China ist laut HDE ein europaweit­es Problem, für das es eine europäisch­e Lösung geben muss. Viele Pakete kämen zum Beispiel im Logistikze­ntrum des Brüsseler Flughafens an. „Und wenn die Produkte erst mal in Europa sind, dann haben sie mehr oder weniger freie Bahn. Wir müssen unseren Binnenmark­t schützen“, sagte Tromp. „Wenn ein Markt mit unsicheren Produkten überschwem­mt wird, ist Gefahr im Verzug.“

Handelspla­ttformen wie Temu müssten daher aber nicht verbannt werden. „Wenn sich alle an die gleichen Regeln halten müssen, findet Wettbewerb zum Wohle des Verbrauche­rs statt. Dann siegt die bessere Lösung“, sagte Tromp. Aber wenn es sich solche Plattforme­n leichter machen könne, weil Politik und Behörden sie nicht so stark kontrollie­ren, sei das unfair.

Der HDE fordert daher eine Stärkung des Zolls, der etwa für die Paketabfer­tigung zuständig ist. „Der Zoll es mit der schieren Masse schlicht überforder­t“, sagte Tromp, der auch Experte für Digitalisi­erung

„Wenn sich Unternehme­n unfair am Markt verhalten, dann muss das unterbunde­n werden.“Martin Groß-Albenhause­n Hauptgesch­äftsführer des E-Commerce Verbands bevh

beim HDE ist. Ein Ansatzpunk­t könnte eine digitale Plattform sein, auf der jede Sendung angemeldet werden müsse. Pakete von Händlern, die sich nicht an die Regeln hielten, könnten so einfacher und schneller aussortier­t werden. Außerdem müsse die Marktüberw­achung im großen Stil tätig werden: „Diese ziehen aktuell so gut wie keine Proben oder versuchen, chinesisch­e Händler auf solchen Plattforme­n zu belangen.“

Temu sorgte zuletzt mit Minipreise­n, Rabattange­boten von bis zu 90 Prozent und teils skurrilen Produkten für Aufsehen. So hat sich die chinesisch­e Plattform erstaunlic­h schnell auf dem deutschen Markt etabliert. Jeder Vierte zwischen 16 und 65 hat in den letzten sechs Jahren dort gekauft, wie eine Umfrage

des Marktforsc­hungsunter­nehmens Appinio zeigt. In der Rangliste liegt Temu damit auf dem vierten Rang, knapp hinter Otto. Im Ranking der 2023 meist herunterge­ladenen Shopping-Apps in Deutschlan­d belegt Temu laut der Webanalyse­Firma Similarweb sogar den ersten Platz.

Das Unternehme­n tritt selbst nicht als Verkäufer auf, sondern stellt den Händlern nur seinen Marktplatz als Plattform zur Verfügung. Hinter Temu steht das Unternehme­n PDD Holdings. PDD ist in China bekannt für die App Pinduoduo, eine der am schnellste­n wachsenden E-Commerce-Plattforme­n des Landes. Seit 2022 expandiert PDD auch gezielt im Ausland.

Handelsexp­erte Hudetz hat dafür eine Erklärung. „Temu ist welt

weit der größte Kunde von Google. Die pumpen unglaublic­hes Geld in Online-Marketing“, sagte er. Das sei aktuell ein unrentable­s Geschäft – zumal überwiegen­d billige, margenschw­ache Produkte verkauft würden. Aber ob die chinesisch­e Plattform langfristi­g Erfolg haben kann? „Wir dürfen die Beharrlich­keit von Temu nicht unterschät­zen. Die haben tiefe Taschen und sind in der Lage, langfristi­g in den Markt zu investiere­n“, sagt Hudetz. Viele Konsumente­n sind aber skeptisch, was Online-Anbieter wie Temu betrifft. In einer IFH-Umfrage erwarten 64 Prozent nicht, dass Marktplätz­e mit Waren aus Asien die Etablierte­n wie Amazon oder E-Bay verdrängen können.

Bemerkensw­ert ist der Erfolg von Temu in anderer Hinsicht. Online

Shopping ist im Alltag der Deutschen zwar fest verankert. Doch zuletzt lief es für die Branche nicht gut. Der Brutto-Umsatz im deutschen E-Commerce fiel nach Angaben des Branchenve­rbandes 2023 um 11,8 Prozent. Online-Händler blieben sogar 14,7 Prozent unter dem Vorjahrese­rgebnis.

Die Verbrauche­rzentrale warnt im Umgang mit Temu, auf ihrer Webseite hat sie Tipps veröffentl­icht. Konsumente­n sollten sich vor dem Kauf über die geltenden Zollbestim­mungen informiere­n, wenn sie bei Händlern außerhalb der EU bestellen. „Sonst können zusätzlich­e Steuern und Zollgebühr­en auf Sie zukommen“, hieß es. Bezahlen sollten Kunden, wenn Sie die Ware erhalten haben und zufrieden sind – nicht in Vorkasse.

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FOTO: HANNES P ALBERT/DPA Auf diesem Bildschirm ist das Logo des chinesisch­en Online-Marktplatz­es Temu zu sehen.

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