Keine bloße „Verfassungslyrik“
Der Landtag hat der Saar-Verfassung zwei neue Staatsziel-Bestimmungen hinzugefügt. Ändert sich dadurch konkret etwas?
Die saarländische Landesverfassung ist um zwei Sätze reicher. Mit den Stimmen von SPD- und CDU-Fraktion fügte der Landtag am Mittwoch zwei Staatsziele hinzu. Erstens: „Die Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeit genießt den Schutz und die Förderung des Staates.“Und zweitens: „Es gehört ferner zu den Aufgaben des Staates, nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit zu handeln, um die Interessen künftiger Generationen zu wahren.“
Die AfD stimmte als einzige Fraktion dagegen. „Diese Verfassungsänderung wird nichts ändern“, sagte Fraktionschef Josef Dörr. Klar ist: Die hinzugefügten Staatsziele begründen keine Ansprüche, die Bürger oder Vereine einklagen könnten. Was also ändert sich?
Die SZ fragte den Saarbrücker Verfassungsrechtler Professor Dieter Dörr, der in der Vergangenheit über die Staatszielbestimmungen in der Saar-Verfassung einen juristischen Kommentar verfasst hat. Es handele sich keineswegs um bloße „Verfassungslyrik“, sagt Dörr. Vielmehr hätten auch Staatszielbestimmungen „wichtige Konsequenzen“.
Beispiel Ehrenamtsförderung: Durch den Verfassungsrang handele es sich nicht mehr um irgendeine öffentliche Aufgabe, sondern um eine, deren Erfüllung von der Verfassung vorgegeben ist. „Der Schutz
und die Förderung des Ehrenamtes stehen damit gleichrangig neben anderen Werten und Staatszielen, die in der saarländischen Landesverfassung verankert sind“, sagt Dörr.
Die Pflicht, das Ehrenamt zu fördern, enthalte „den rechtsverbindlichen Gestaltungsauftrag an das Land, das Ehrenamt in bestmöglicher Weise zu unterstützen“. Das Land müsse die Förderung des Ehrenamtes „als Handlungsleitlinie“berück
sichtigen, habe dabei aber einen „Gestaltungs-, Beurteilungs- und Prognosespielraum“.
Die verfassungsrechtliche Aufwertung des Ehrenamts könne mit dazu beitragen, dass die Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten erleichtert und forciert werde, sagt Dörr, insbesondere dann, wenn die Verfassungsbestimmung durch einfachgesetzliche Regelungen ergänzt werde, die konkrete Maßnahmen zum Schutz
und zur Förderung des Ehrenamtes enthielten.
Das zweite neu aufgenommene Staatsziel, Nachhaltigkeit, bindet laut Dörr den Gesetzgeber, die Exekutive und die Rechtsprechung. Die Bindungswirkung sei aber schwächer ausgeprägt als bei der Ehrenamtsförderung. Eine besondere Schutz- und Förderpflicht des Staates werde nicht verankert. Zudem weist Dörr auf Folgendes hin: Das Handeln nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit habe als „Aufgabe“des Staates einen niedrigeren Rang als die im gleichen Verfassungsartikel aufgeführten „erstrangigen Aufgaben“, etwa der Schutz des
Bodens, des Wassers, der Luft und der sparsame Energieumgang.
Es sei trotzdem zu begrüßen, so Dörr, dass eine „nachhaltige Entwicklung“als Aufgabe des Staates festgeschrieben und in der beigefügten Begründung nachvollziehbar definiert werde. Nach dieser Begründung des Landtags ist eine nachhaltige Entwicklung dadurch gekennzeichnet, „dass sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“. Nachhaltigkeit wird hier nicht nur ökologisch verstanden, sondern auch sozial und ökonomisch.
Verfassungsrechtler Professor Dieter Dörr aus Saarbrücken.