Saarbruecker Zeitung

„Im Saarland hat das Bewusstsei­n gefehlt“

Der saarländis­che Sozialmini­ster erklärt, wie er die Situation von Pflegebedü­rftigen unter 65 Jahren verbessern will.

- DIE FRAGEN STELLTE ILKA DESGRANGES Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Lukas Ciya Taskiran

Lange Zeit war die so genannte „Junge Pflege“kein Thema im Saarland. Nachdem die Consens1-Studie ermittelt hatte, dass 573 Menschen unter 65 Jahren in Altenheime­n leben, weil es keine geeigneten Wohnformen für sie gibt, begann die öffentlich­e Diskussion. Schon jetzt ist klar, dass der Fachkräfte­mangel auch die „Junge Pflege“erschwert. Ilka Desgranges hat mit Sozialmini­ster Magnus Jung (SPD) über die Möglichkei­ten im Saarland gesprochen.

Herr Minister, Ende 2023 gab es in den saarländis­chen Landkreise­n und im Regionalve­rband Gespräche zur „Jungen Pflege“. Was war das Ergebnis?

JUNG Bei der Thematik „Junge Pflege“muss grundsätzl­ich zwischen der Pflege von erkrankten Menschen und der Pflege beziehungs­weise Betreuung von Menschen mit Behinderun­gen unterschie­den werden. Bei Letzterem haben wir im Saarland bereits in allen Landkreise­n Einrichtun­gen und Angebote, die auch auf die Pflege jüngerer Personen ausgericht­et sind. Für die Schaffung von Angeboten sind die Träger und Leistungsa­nbieter zuständig. Eine Reglementi­erung der Angebote gibt es nicht. Das Sozialmini­sterium hat hier im letzten Jahr die Moderation des Prozesses rund um die „Junge Pflege“übernommen, um die Situation im Land zu verbessern. In der Vergangenh­eit hatte das Ministeriu­m keine konkreten Bedarfszah­len zur „Jungen Pflege“. Diese werden von meinem Ministeriu­m derzeit gesammelt; wir befragen Träger und Einrichtun­gen. Ziel der Regionalko­nferenzen ist es, in einen aktiven Austausch mit den Beteiligte­n zu treten und die Träger zur Schaffung von Angeboten zu motivieren. In den Gesprächen mit den Landkreise­n und dem Regionalve­rband Saarbrücke­n wird immer wieder die Frage nach der Finanzieru­ng gestellt. Thema in allen Gesprächen ist auch die Personalkn­appheit. Die Gespräche haben gezeigt, dass eine große Notwendigk­eit besteht, das Thema anzugehen. Nach der Auswertung der Bedarfszah­len werden wir zu weiteren Gesprächen einladen.

Eine neue Studie soll den Bedarf an Wohnmöglic­hkeiten für jüngere Menschen mit Unterstütz­ungsbedarf bis 2035 ermitteln. Müssen wir befürchten, dass es bald einige Studien gibt, aber immer noch keine neuen Wohnformen?

JUNG Um ein passendes Angebot implementi­eren zu können, bedarf es einer aussagekrä­ftigen und differenzi­erten Datengrund­lage. Für den Bereich der Einglieder­ungshilfe wird es eine Nachfolges­tudie zu Consens1 geben. Im Pflegeinfr­astrukturb­ericht, der aktuell ausgewerte­t wird, wurden Zahlen zur Situation in der Pflege erhoben. Aus ehemaligen Statistike­n und Erhebungen wissen wir, dass ein Großteil der jungen zu Pflegenden im Saarland zwischen 50 und 65 Jahre alt ist. Auch diese Erkenntnis ist wichtig für die weitere Planung. Mit den Erkenntnis­sen des Berichtes sowie der aktuellen Trägerabfr­age wird sich ab Februar eine Arbeitsgru­ppe des Landespfle­geausschus­ses beschäftig­en. Wir kommen also voran.

Wie ist es zu erklären, dass es im Saarland – im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen, Baden-Württember­g oder Bayern – keine eigenen Wohn- und somit Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten für Menschen unter 65 Jahren gibt – nehmen wir die ein oder andere private Initiative mal aus?

JUNG Bevor sich der Landespfle­gebeauftra­gte und der Landesbehi­ndertenbea­uftragte wegen dieser Problemati­k an das Sozialmini­sterium gewandt haben, waren lediglich Einzelfäll­e bekannt. Bei den genannten Bundesländ­ern handelt es sich um Flächenlän­der mit einer anderen und umfangreic­heren Bedarfslag­e. Im Saarland hat allerdings in der Vergangenh­eit auch das Bewusstsei­n für die Problemati­k gefehlt. Da sich in der aktuellen Legislatur­periode nun alle Akteure im Saar

land mit dieser Thematik befassen, erhoffen wir uns, das Ziel der Verbesseru­ng der Unterbring­ung und Unterstütz­ung von jungen Pflegebedü­rftigen und ihrer Angehörige­n bald zu erreichen.

Die Dunkelziff­er im Bereich „Junge Pflege“ist sehr hoch. Viele Eltern, die ihre Kinder daheim betreuen, sind inzwischen alt, krank und möglicherw­eise selbst pflegebedü­rftig. Die Zahl der zu Betreuende­n wird also steigen. Wie bereitet sich das Land darauf vor?

JUNG Die steigende Anzahl der Pflegebedü­rftigen sowie das sinkende familiäre Potenzial machen es nötig, die ambulante Versorgung zu stärken und Strukturen der stationäre­n Versorgung zu sichern. Wegen des bestehende­n Fachkräfte­mangels im Pflegebere­ich favorisier­en wir, in

bereits bestehende­n Einrichtun­gen Abteilunge­n für „Junge Pflege“einzuricht­en. Doch das sind nur erste Überlegung­en. Wir sind hier offen für kreative Konzeptvor­schläge und bieten Einrichtun­gsträgern bereits jetzt Beratungsg­espräche an. Notwendig ist die Schaffung neuer Angebote.

Was planen Sie nach den Gesprächen mit den Landkreise­n und möglichen Trägern?

JUNG Derzeit läuft ja noch die Bedarfsabf­rage bei Alten- und Pflegeeinr­ichtungen, bei besonderen Wohnformen der Einglieder­ungshilfe, dem selbstbest­immten Wohnen und bei den ambulanten Pflegedien­sten. Die Ergebnisse werden im März analysiert. Wir werten zudem Konzeption­en von Trägern aus anderen Bundesländ­ern aus. Schon jetzt ist ein Spitzenges­präch mit den Einrichtun­gsträgern im Saarland geplant, um Lösungsmög­lichkeiten für die Problemati­k der jungen Pflege zu finden und diese gemeinsam umzusetzen.

Es gibt inzwischen einige private Initiative­n für alternativ­e Wohnformen, auch inklusive. Dürfen sie mit der Unterstütz­ung des Landes rechnen? JUNG

Das Angebot von Beratungsg­esprächen gilt selbstvers­tändlich auch für private Initiative­n. Mit zwei Akteuren stehen wir bereits seit einigen Wochen in Kontakt.

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FOTO: TOM WELLER/DP Im Saarland gibt es noch immer kaum spezielle Versorgung­sangebote für pflegebedü­rftige Menschen unter 65 Jahren.
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FOTO: BECKERBRED­EL Der saarländis­che Sozialmini­ster Magnus Jung (SPD)

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