Saarbruecker Zeitung

Radfahrer klagen über Rücksichts­losigkeit

Der Tod eines Rad-Aktivisten aus Baden-Württember­g erschütter­t auch die Szene im Saarland. Radfahrer berichten von täglichen brenzligen Situatione­n – und Autofahrer­n, die ihrer Wut freien Lauf lassen.

- VON ALINE PABST

Ein Radfahrer wird auf einer deutschen Straße totgefahre­n. Das allein ist keine Besonderhe­it: Insgesamt 474 Radfahrer starben laut Statistisc­hen Bundesamt im Jahr 2022 im deutschen Straßenver­kehr. Ein Fall aus Baden-Württember­g sorgt dennoch bundesweit für Entsetzen – denn der Tote, Andreas Mandalka, war in der Szene kein Unbekannte­r.

Jahrelang kämpfte der Pforzheime­r Radaktivis­t für sicheren Verkehr, berichtete unter dem Pseud

onym „Natenom“in den Sozialen Medien und seinem Blog wiederholt von brenzligen Situatione­n, versuchte immer wieder, rücksichts­lose oder fahrlässig­e Autofahrer zur Anzeige zu bringen – scheiterte aber am Desinteres­se und Unwillen der zuständige­n Polizei. Dass er am 31. Januar nun ausgerechn­et auf einer Landstraße getötet wurde, auf deren Gefährlich­keit er seit langem erfolglos hingewiese­n hatte, bringt deshalb auch die örtlichen Behörden in Erklärungs­not.

Auch im Saarland trauert die Radfahrer-Gemeinde um Mandalka. Bei dem Unfall seien wohl zwar viele ungünstige Faktoren zusammen gekommen, berichtet Thomas Fläschner, Landesvors­itzender des ADFC Saarland: Der 77-jährige Autofahrer

hat Mandalka – obwohl dieser wie immer eine Warnweste trug – in der Dunkelheit auf nasser, spiegelnde­n Straße wohl schlicht übersehen. „Aber das sind ja alles keine Entschuldi­gungen“, betont er. „So etwas darf einfach nicht passieren.“Wer nachtblind ist, dürfe schlicht bei solchen Bedingunge­n nicht fahren, unabhängig vom Alter. Andere Situatione­n, die der Rad-Aktivist regelmäßig mit seiner Helmkamera gefilmt hat, seien auch im Saarland an der Tagesordnu­ng.

Auch Thomas Ruf hat einige solcher Fälle dokumentie­rt und bei Youtube eingestell­t. Vor der Pandemie war er regelmäßig auf dem Meerwieser­talweg zur Saar-Uni unterwegs. „Ich habe regelmäßig erlebt, dass mit zu wenig Abstand

überholt wurde – und das mit Absicht“, sagt er. Autofahrer hätten ihn außerdem angehupt, lautstark beschimpft oder im Vorbeifahr­en mit Scheibenwi­schwasser bespritzt. Nur ein einziges Mal war er bei der Polizei: Ein Busfahrer hatte ihn zu eng überholt. Dabei sei es aber geblieben. „Ich habe da keinen Sinn drin gesehen, weil es aussichtsl­os ist. Es wird einfach nicht als wichtig angesehen, solange nichts passiert.“

Seiner Ansicht nach wüssten die meisten Autofahrer nicht einmal, dass seit einigen Jahren ein Mindestabs­tand beim Überholen von Radfahrern Pflicht ist: 1,5 Meter innerorts, 2 Meter außerhalb. „Und die, die es wissen, ignorieren es einfach.“

Der Fall Mandalka treffe ihn persönlich sehr: Der Aktivist kannte

die Verkehrsre­geln genau, habe alle möglichen Sicherheit­svorkehrun­gen getroffen. “Da frage ich mich: Soll ich regelwidri­g auf den Gehweg ausweichen oder muss ich in ständiger Angst fahren?“Autofahrer seien seit Jahrzehnte­n daran gewöhnt, dass sich alles nur um sie dreht. „Es müsste ein radikales Umdenken stattfinde­n, damit jeder Verkehrste­ilnehmer gesehen und beachtet wird.“

Auch Ulrike Pabst sieht das ähnlich. Sie ist täglich mit einem Erwachsene­ndreirad unterwegs, das etwas breiter ist als ein normales Fahrrad. Das scheine manche Autofahrer zusätzlich zu provoziere­n. Nach Beispielen gefragt kann sie gleich mehrere gefährlich­e Stellen in Saarbrücke­n nennen: Darunter die Fahrradstr­aße (Hohenzolle­rn

straße), da die Autofahrer offensicht­lich die dort geltenden Regeln nicht kennen. Besonders häufig angepöbelt werde sie in der Gersweiler­straße Richtung Calypso, weil sie dort auf der Straße fahren muss: Zwar gäbe es einen Radstreife­n, aber den könne sie nicht benutzen, weil die Fahrbahn sich zur Seite wölbt „und ich mit dem Rad dann einfach umkippen würde“. Riskante Überholman­över habe sie schon oft erlebt, selbst bei Gegenverke­hr. „Die aggressive­n Fahrer sind nicht in der Lage, einfach kurz hinter mir her zu fahren.“Das gleiche passiere ihr regelmäßig auf dem ohnehin schmalen Trillerweg: Dort überholen Autofahrer sogar auf der Höhe des Hotels in der schlecht einsehbare­n Kurve.

Ein einziges Mal habe sie eine Anzeige in Erwägung gezogen: Ein Paar habe sie mit dem Auto verfolgt, nachdem sie in der Vorstadtst­raße ein Foto des auf dem Radweg parkenden Autos gemacht habe. „Die haben mich überholt und genötigt anzuhalten. Sie wollten wohl ein bisschen Selbstjust­iz betreiben.“Aufgrund der schweren Beweislage sei das aber chancenlos gewesen.

Gedanken, dass etwas Schlimmes passieren könne, habe sie immer. Das sei natürlich „eine schrecklic­he Vorstellun­g“. Pabst wünsche sich eine „ganz andere Radinfrast­ruktur“, die sie bisher nur aus anderen Ländern kenne. „Hier ist alles Flickwerk.“Aber damit sich daran etwas ändert, sei die Politik gefragt. Den Willen dazu sehe sie aktuell nicht.

 ?? FOTO: ANDREAS CREMER ?? Mit Poolnudeln auf dem Gepäckträg­er wiesen Radfahrer des ADFC in St. Ingbert vergangene­n Herbst auf den Mindestabs­tand beim Überholen hin. Was lustig aussieht, hat einen ernsten Hintergrun­d: Regelmäßig werden Radler getötet oder verletzt, weil Autofahrer zu eng an ihnen vorbei rasen.
FOTO: ANDREAS CREMER Mit Poolnudeln auf dem Gepäckträg­er wiesen Radfahrer des ADFC in St. Ingbert vergangene­n Herbst auf den Mindestabs­tand beim Überholen hin. Was lustig aussieht, hat einen ernsten Hintergrun­d: Regelmäßig werden Radler getötet oder verletzt, weil Autofahrer zu eng an ihnen vorbei rasen.

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