Putin nutzt Interview als Bühne
Tucker Carlson bekommt als erster US-Interviewer seit Beginn des Kriegs ein Gespräch mit dem Kremlchef gewährt. Und meidet kritische Fragen.
(dpa) Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich erstmals seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ausführlich von einem US-Interviewer befragen lassen. Im Gespräch mit dem rechten Talkmaster Tucker Carlson sagte der Kremlchef unter anderem, ein Einmarsch Russlands in die Nato-Staaten Polen und Lettland stehe im Grunde „komplett außer Frage“– mit einer Ausnahme. Auf die Frage, ob er sich ein Szenario vorstellen könne, in dem er russische Truppen nach Polen schicken würde, entgegnete Putin: „Nur in einem Fall: wenn Polen Russland angreift.“
Das 127Minuten lange Interview wurde bereits am Dienstag aufgezeichnet und am Donnerstagabend zur besten Sendezeit in den USA veröffentlicht. Der für die Verbreitung von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien bei seinem früheren Arbeitgeber Fox News bekannte Carlson stellte Putins langatmige Ausführungen nicht infrage. Kritiker hatten dies schon im Vorhinein des Gesprächs als Grund ausgemacht, warum der Kremlchef dem Amerikaner ein Interview gewährt haben dürfte.
Erwartungsgemäß dominierte Putin das Gespräch, während Carlson davon absah, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch als solchen zu bezeichnen oder von einer Invasion zu sprechen. Putin wiederum legte dar, dass Russland überhaupt kein Interesse an Polen,
Lettland oder anderen Ländern habe, Ängste vor einem russischen Angriff also unangebracht seien. „Warum sollten wir das tun? Wir haben einfach kein Interesse.“Es widerspreche dem gesunden Menschenverstand, sich auf „eine Art globalen Krieg“einzulassen. Den Nato-Staaten warf Putin vor, die eigene Bevölkerung mit dem Vorgaukeln einer „imaginären russischen Bedrohung“einzuschüchtern.
Mit Blick auf den Ukraine-Krieg sagte Putin gegen Ende des Interviews, man sei zum Dialog bereit – die Zeit für Gespräche sei gekommen, weil der Westen erkennen müsse, dass der Konflikt für ihn militärisch nicht zu gewinnen sei. „Früher oder später wird das in einer Einigung enden“, sagte Putin.
Das in Moskau aufgezeichnete Interview erschien auf Carlsons Webseite und der Plattform X. Darin machte Putin zunächst langatmige Ausführungen über die Geschichte Russlands, holte bis ins 13. Jahrhundert aus und überreichte Carlson eine Mappe mit Dokumenten, „damit sie nicht denken, dass ich mir etwas ausdenke“. Im weiteren Verlauf rechtfertigte er den russischen Einmarsch in die Ukraine erneut mit angeblichen historischen Gebietsansprüchen und übte scharfe Kritik an Nato und USA. Carlson ließ den Kremlchef weitestgehend ausreden und hakte selten ein, baute ihm aber auch rhetorische Rampen.
Am Ende sprach er Putin direkt auf den in russischer Haft sitzenden US-Journalisten Evan Gershkovich an und fragte, ob es Chancen auf dessen Freilassung gebe. Putin gab sich gesprächsbereit und deutete die Möglichkeit eines Austauschs an. „Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten“, so Putin. Die USA sollten vielmehr darüber nachdenken, wie sie zur Lösung beitragen könnten. Weitere Äußerungen Putins ließen sich so deuten, dass eine Freipressung des im Dezember 2021 verurteilten Tiergarten-Mörders Vadim K. gemeint sein könnte, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.
Im Dezember hatte das Weiße Haus mitgeteilt, Moskau habe ein Angebot Washingtons zur Freilassung des Journalisten abgelehnt. Gershkovich war Ende März 2023 auf einer Reportagereise in Jekaterinburg am Ural festgenommen worden. Russland wirft ihm Spionage vor. Der Amerikaner mit russischen Wurzeln und die Zeitung weisen die Vorwürfe ebenso zurück wie die USRegierung. Das Gespräch mit dem 54-Jährigen Talkmaster dürfte dem international in der Kritik stehenden Kremlchef als willkommene Bühne vor der Präsidentenwahl am 17. März in Russland gedient haben, wie die russische Politologin Tatjana Stanowaja anmerkte.