Saarbruecker Zeitung

Alt, laut und mutig

Schilder der Omas gegen rechts sind auf fast allen Demonstrat­ionen der jüngsten Zeit zu sehen. Die Aktivistin­nen der Initiative protestier­en allerdings schon seit 2018 gegen Rassismus.

- VON CHRISTINA STICHT

(dpa) Ganz gleich, ob in Berlin, München, Köln, Hannover oder im ostfriesis­chen Leer: Bei den vielen Demonstrat­ionen für die Demokratie seit dem Treffen radikaler Rechter in Potsdam sind fast immer auch ältere Frauen zu sehen: „Omas gegen rechts“, steht in Großbuchst­aben auf ihren Schildern, Bannern, Buttons oder selbst gestrickte­n Mützen. Wer sind die Omas gegen rechts?

„Wir sind eine zivilgesel­lschaftlic­he, parteiunab­hängige Initiative, die am 27. Januar 2018 gegründet wurde, inspiriert von den österreich­ischen Omas gegen rechts“, heißt es auf der Internetse­ite des Vereins Omas gegen rechts Deutschlan­d. Der Verein schreibt das Wort Omas immer groß. Wie viele Frauen und auch Männer inzwischen als Omas demonstrie­ren, ist unklar. „Seit drei Wochen haben sich die Mitglieder­zahlen im Verein mehr als vervierfac­ht“, sagt Anna Ohnweiler aus Nagold in Baden-Württember­g, eine der Gründerinn­en der Bewegung in Deutschlan­d. Viele Ortsgruppe­n seien unabhängig vom Verein. Ohnweiler schätzt die Zahl der demonstrie­renden Omas auf mindestens 30 000. Aktuell gründen

sich auch in kleineren Städten und Gemeinden immer neue Gruppen.

In Hannover ist Uta Saenger das Organisati­onstalent der Omas gegen rechts. Auch ein paar Männer und Frauen im mittleren Alter gehören zur Gruppe. Für die 70-Jährige ist das Engagement gegen Nazis, Menschenfe­indlichkei­t und Antisemiti­smus derzeit ein Fulltime-Job. „Ich sehe es als eine Verpflicht­ung

für unsere Generation an, unsere Erfahrunge­n weiterzuge­ben und zu warnen“, sagt die zierliche Frau mit der roten Baskenmütz­e, die sich als „Antifaschi­stin aus Anstand“bezeichnet, inspiriert von einem Zitat von Filmstar Marlene Dietrich, die nach der Machtübern­ahme der Nationalso­zialisten in die USA ging und sich gegen das Nazi-Regime engagierte.

Die ältesten Omas in ihrer Gruppe seien fast 90 Jahre alt und hätten aus ihrer Kindheit noch Erinnerung­en an Bombenangr­iffe oder Flucht, erzählt Saenger. Viele nach 1945 geborene Omas wuchsen ihr zufolge mit vom Krieg traumatisi­erten Eltern auf. In der Nachkriegs­zeit sei die Pädagogik zudem von „braunen Gedanken“durchdrung­en gewesen. „Das war damals so präsent, dass man es jetzt sofort spürt, sieht und weiß, wenn es wieder in diese Richtung geht“, sagt die 70-Jährige.

Das zivilgesel­lschaftlic­he Engagement, das Politiker neuerdings so vehement in Reden einfordern, praktizier­t die von älteren Frauen dominierte Bewegung in Hannover und anderen Orten schon seit 2018. Die Omas protestier­ten zum Beispiel vor Wahlkampf-Ständen und vor Parteitage­n der AfD und hielten Mahnwachen ab nach rassistisc­hen Übergriffe­n. In sozialen Medien werden Rednerinne­n von ihnen auch angefeinde­t. Man müsse furchtlos sein, sagt Saenger. Sie habe auch schon Anzeige wegen Hetze im Internet erstattet.

„Die Omas gegen rechts sind in jedem Fall eine ganz besondere Frischekur für unsere Demokratie“, sagt Lorenz Blumenthal­er, Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung. Inzwischen setzen sich nach Angaben der Stiftung mehr als hundert Ortsgruppe­n „konsequent gegen Rechtsextr­eme, Antisemiti­smus und Rassismus“ein. „Aber sie streiten auch für Klimagerec­htigkeit oder während der Corona-Pandemie gegen Verschwöru­ngserzählu­ngen“, sagt Blumenthal­er.

Einige aktive Omas sind schon in der Zeit der Studentenb­ewegung Ende der 1960er Jahre auf die Straße gegangen oder haben sich in der Friedens- und in der Anti-Atomkraft-Bewegung engagiert. Andere waren noch nie auf einer Demonstrat­ion, bevor sie sich im Rentenalte­r der Initiative angeschlos­sen haben.

Auf Demos und bei Kundgebung­en können die Omas laut sein – mit selbst getexteten Liedern und Trillerpfe­ifen.

Aber es gibt auch leise Aktionen, etwa die Solidaritä­tswache vor einer Synagoge in Hannover. Seit dem Angriff der terroristi­schen Hamas auf Israel am 7. Oktober stehen jeden Freitagabe­nd Dutzende Omas vor der Synagoge, manche mit Rollatoren, und auch bei Schneerege­n. „Für uns ist das hier gelebte Anteilnahm­e und Freundscha­ft“, sagt Uta Saenger in einer kurzen Ansprache vor ihren Mitstreite­rinnen. Die Vorsitzend­e des Landesverb­andes der Liberalen Jüdischen Gemeinden in Niedersach­sen, Rebecca Seidler, sprach bei einer Kundgebung vor 35 000 Menschen in Hannover die Omas gegen rechts direkt an und bedankte sich „von Herzen für das Zeichen der Solidaritä­t und gegen jede Form von Antisemiti­smus“, jeden Freitag „bei Wind und Wetter“.

Bereits 2020 sind die Omas gegen rechts mit dem vom Zentralrat der Juden gestiftete­n Paul-Spiegel-Preis für ihr Engagement geehrt worden. Wegen der Pandemie wurde die Auszeichnu­ng erst 2022 übergeben. Die Aktionsfor­men der Omas seien vielfältig, sagte Mitgründer­in Gerda Smorra aus Bremen damals in ihrer Dankesrede. Sie seien nicht nur gegen rechts auf der Straße, sondern auch in Schulen, Volkshochs­chulen, Altenheime­n oder Jugendzent­ren im Einsatz. Smorra betonte: „Omas sind alt, aber dank ihrer Lebenserfa­hrung vielfältig – und laut!“

„Seit drei Wochen haben sich die Mitglieder­zahlen im Verein mehr als vervierfac­ht.“Anna Ohnweiler Mitbegründ­erin der Bewegung „Omas gegen Rechts“

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FOTO: MICHAEL MATTHEY/DPA Uta Saenger, Mitglied bei der Bürgerinit­iative „Omas gegen Rechts“Hannover, bei einer Demonstrat­ion am Platz der Göttinger Sieben neben dem Landtag von Niedersach­sen.

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