Saarbruecker Zeitung

Selenskyjs bislang risikoreic­hstes Manöver

Der ukrainisch­e Präsident hat seinen Armeechef entlassen: Doch der neue Befehlshab­er Syrsky steht vor den selben Problemen wie sein Vorgänger.

- VON PAUL FLÜCKIGER

Es begann mit Bachmut. Oberbefehl­shaber Walerij Saluschnyj kritisiert­e das Blutvergie­ßen für eine entvölkert­e Stadt ohne strategisc­he Bedeutung. Doch Staatspräs­ident Wolodymyr Selenskyj wolle die „Heldenstad­t Bachmut“zum Wendepunkt des Widerstand­s gegen die russische Invasion machen. Das war vor einem Jahr. Und inzwischen ist Bachmut gefallen, doch der russische Vormarsch im Donbas kommt dennoch kaum voran.

Am Donnerstag­abend nun hat Selenskyj den von vielen ukrainisch­en Soldaten verehrten 50-jährigen Westukrain­er Saluschnyj nach zweieinhal­b Dienstjahr­en durch den bei vielen als spröde und sowjetisch geltenden Kommandant­en der Bodentrupp­en, Oleksandr Syrskyj, ersetzt. Der 57-jährige Syrskyj ist in Russland geboren und hat die Moskauer Militäraka­demie besucht. Das passe wie die Faust aufs Auge für den Modernisie­rer im Präsidente­npalast, ist man geneigt zu sagen.

Doch alles ist komplizier­ter. Wie schon bei Bachmut vor Jahresfris­t gaben sich die beiden Anführer der Ukraine, der zivile und der militärisc­he, bis zum bitteren Ende in den Sozialen Medien in Freundscha­ft lächelnd vereint. Er danke Saluschnyj für seine Verdienste und habe ihm angeboten, „weiterhin Teil des Teams“zu bleiben, tweetet der Staatspräs­ident. Die schon lange erwartete Entlassung begründete Selenskyj mit „Erneuerung der Streitkräf­te“.

Diesem risikoreic­hen Manöver liegen jedoch lange schwärende persönlich­e Unstimmigk­eiten zugrunde. Es begann mit Bachmut, wo Saluschnyj seine jungen Rekruten nicht verheizen wollte, ging über die inzwischen gescheiter­te ukrainisch­e Sommeroffe­nsive und hört mit der Mobilisier­ung auf. Saluschnyj hatte Ende 2023 eine halbe Million neuer Soldaten gefordert. Doch eine vollständi­ge Mobilisier­ung ist gesellscha­ftlich kaum vertretbar und dazu höchst unpopulär. Der zum Populismus neigende Selenskyj hat sich deswegen für eine „Aushebung light“entschiede­n. Das neue Gesetz ist gerade im Parlament, wo die Präsidente­npartei „Diener des Volkes“die Mehrheit hat.

Es gibt allerdings auch einen politische­n Faktor: Saluschnyj ist in Umfragen beliebter als Selenskyj. Und obwohl der geschasste Oberbefehl­shaber keine politische­n Ambitionen hat, wird er von vielen als möglicher Gegenkandi­dat gehandelt, der Selenskyjs angestrebt­e zweite Amtszeit gefährden könnte. Im Krieg militarisi­ert sich die Gesellscha­ft und die feldgrünen Pullis sowie moralische Brandreden des vom Westen noch umworbenen Präsidente­n genügen vielen Ukrainern nicht mehr. Wahlen können einstweile­n wegen des kriegsbedi­ngten Ausnahmezu­stands keine stattfinde­n. Doch die Vermutung der Eifersucht liegt auf der Hand.

Zumal Saluschnyj mit der bitteren Wahrheit nicht wie ein Politiker, sondern ungeschmin­kt hausierte. Im Herbst sagt Saluschnyj dem britischen „Economist“in dem wohl ungeschmin­ktesten Interview einer ukrainisch­en Führungspe­rson zum Munitionsm­angel: „Der Westen hat keine Pflicht, uns irgendetwa­s zu geben; aber wir sind dankbar für alles, was sie uns überlassen. Ich konstatier­e einfach die Fakten.“

Munition, Mobilisier­ung und die erneute Defensive sind die Probleme, die auch der neue Oberkomman­dierende lösen muss. Oleksandr Syrskyj hat sich in den letzten zwei Kriegsjahr­en große Verdienste bei der Verteidigu­ng Kiews und der Rückerober­ung von Charkiw und Cherson erworben. Bei der Abwehr der russischen Invasion wird er das Rad nicht neu erfinden. Doch der springende Punkt ist, Selenskyj hat mehr Vertrauen auf den älteren Neuen, vielleicht gar, weil beide in der russisch-sprachigen Welt aufgewachs­en sind.

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FOTO: UNCREDITED/AP/ DPA Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seinen Armeechef ausgetausc­ht.

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