„Wir brauchen den Kleber nicht mehr“
Das Kapitel des Klebens ist vorbei. Bislang scheint es die Letzte Generation mit ihrer Ankündigung ernst zu meinen. Künftig soll es „ungehorsame Versammlungen“geben. Was das genau bedeutet.
Zuletzt ist es stiller geworden um die Aktivisten der sogenannten Letzten Generation. Ihre Protestform der Straßenblockaden und der Sachbeschädigung verfing nicht mehr oder sorgte nur noch für Ablehnung, wie Umfragen zeigten. Die Aktivisten kündigten an, dass nun zumindest das „Kapitel des Klebens“vorbei sei. Es beginne eine „neue Ära unseres friedlichen, zivilen Widerstandes“, heißt es nun in einem jüngst veröffentlichten Schreiben.
Dies sei das Ergebnis strategischer Überlegungen der Organisation gewesen, betonte die Sprecherin der Gruppe, Lina Johnsen, auf Anfrage unserer Redaktion. „Wir haben uns selbstkritisch hinterfragt, Analysen hinsichtlich der letzten Jahre unseres Protestes betrieben und Schlüsse gezogen, was unsere Außenwahrnehmung angeht“, so Johnsen. Man habe somit auch auf die aktuellen politischen Gegebenheiten reagiert. „Wir haben erkannt, dass wir mit unseren Protesten in den letzten zwei Jahren bereits viele Menschen erreicht
haben. Die Klimazerstörung ist in den Köpfen der Menschen angekommen. Wir brauchen den Kleber nicht mehr“, meint Johnsen.
Dem entgegen steht, dass Umfragen zuletzt immer wieder gezeigt hatten, dass nur die Wenigsten Verständnis für die Klebeblockaden hatten. Im Mai vergangenen Jahres waren es noch acht Prozent, wie beispielsweise das Institut Kantar bei 2000 Befragten ermittelt hatte.
Doch wie soll es jetzt genau wei
tergehen? Worauf müssen die Menschen sich einstellen, wenn nicht mehr auf spontane Straßenblockaden? Noch habe die Letzte Generation laut Johnsen einen aktiven Kern von Aktivisten „im oberen hundertstelligen Bereich“. Zuletzt sei jedoch die Zahl der freiwilligen Protestteilnehmer aufgrund von kostspieligen Gerichtsverfahren und der zunehmenden Feindseligkeit während der Klebeaktionen geringer geworden. Es gelte nun
neue, kreative Formen des Protestes zu entwickeln.
Dazu sollen einerseits „offene ungehorsame Versammlungen“gehören, bei denen die Aktivisten auf eine verstärkte Teilnahme aus der Mitte der Gesellschaft hoffen. „Mit diesen Aktionen wollen wir den Widerstandsgeist wieder aufleben lassen und anschlussfähig für viele Menschen werden. Die Proteste werden gut in den Alltag integrierbar sein“, so Johnsen. Weitere Proteste sollen verstärkt an Orten der „fossilen Zerstörung“stattfinden, wie Flughäfen oder Ölpipelines.
Es gehe den Aktivisten bei dem neuen Kurs darum, eine „kritische Masse in der Bevölkerung“zur Teilnahme an ihren Protesten zu bewegen. „Wenn wir bloß 0,1 bis ein Prozent der Menschen in jeder größeren deutschen Stadt mobilisieren können, wovon wir ausgehen, können wir endlich die notwendigen politischen Veränderungen erreichen“, glaubt Johnsen.
Des Weiteren will die Protestbewegung „Verantwortliche für die Klimazerstörung“in Zukunft verstärkt „direkt konfrontieren“und Politiker vor laufender Kamera zur Rede stellen. „Wir planen dabei nicht gezielt Straftaten. Aber wir haben Leute, die bereit sind, persönliche Konsequenzen zu tragen, und Strafen in Kauf zu nehmen“, sagt Johnsen. Ein erstes Beispiel dieser angekündigten Konfrontationsform lieferten die Aktivisten am vergangenen 6. Februar in Konstanz beim SPD-Neujahrsempfang, bei welchem Europa-Spitzenkandidatin Katarina Barley auf der Bühne gestört wurde.
Bei den Aktionen werde man aber stets friedlich bleiben, betont Johnsen. Oberstes Gebot sei, dass keine Personen zu Schaden kommen. „Anders als oft berichtet, sind wir eine Art Gewaltfreiheitskader, kein Gewaltkader“, sagt die Sprecherin der Letzten Generation. Niemand gehe in den Protest, ohne zuvor Gewaltfreiheit trainiert zu haben. Das Ziel: Auch unter Druck und bei Beschimpfungen oder Gewaltanwendung anderer Personen zwar nicht völlig passiv, aber ruhig zu bleiben.
Doch für die Aktivisten konnte die Teilnahme an den Protesten mitunter teuer werden. Mitglieder, denen Geldstrafen, Bußgelder und Gerichtskosten auferlegt wurden, trugen diese laut Johnsen selbst. Jedenfalls sofern sie dazu finanziell in der Lage waren. In vielen Fällen habe es durch Crowdfunding-Programme Unterstützung gegeben.
„Wir haben uns selbstkritisch hinterfragt, Analysen hinsichtlich der letzten Jahre unseres Protestes betrieben und Schlüsse gezogen, was unsere Außenwahrnehmung angeht.“Lina Johnsen Sprecherin Letzte Generation
Und um zu zeigen, dass die Letzte Generation es mit der neuen Strategie ernst meint, verschenkten zuletzt einige Aktivisten ihre noch vorhandenen Klebeflaschen am Berliner Alexanderplatz.
Am vergangenen Mittwoch gab die Organisation dann bekannt, bei den Europawahlen als „sonstige politische Vereinigung“teilnehmen zu wollen. Dazu sollen im Vorfeld Spenden und die nötigen 4000 Unterstützerunterschriften gesammelt werden. Sollte es zum Antritt der Letzten Generation bei der Wahl kommen, soll Pressesprecherin Lina Johnsen ganz oben auf der Wahlliste stehen.