Saarbruecker Zeitung

„Wir brauchen den Kleber nicht mehr“

Das Kapitel des Klebens ist vorbei. Bislang scheint es die Letzte Generation mit ihrer Ankündigun­g ernst zu meinen. Künftig soll es „ungehorsam­e Versammlun­gen“geben. Was das genau bedeutet.

- VON JAKUB DROGOWSKI

Zuletzt ist es stiller geworden um die Aktivisten der sogenannte­n Letzten Generation. Ihre Protestfor­m der Straßenblo­ckaden und der Sachbeschä­digung verfing nicht mehr oder sorgte nur noch für Ablehnung, wie Umfragen zeigten. Die Aktivisten kündigten an, dass nun zumindest das „Kapitel des Klebens“vorbei sei. Es beginne eine „neue Ära unseres friedliche­n, zivilen Widerstand­es“, heißt es nun in einem jüngst veröffentl­ichten Schreiben.

Dies sei das Ergebnis strategisc­her Überlegung­en der Organisati­on gewesen, betonte die Sprecherin der Gruppe, Lina Johnsen, auf Anfrage unserer Redaktion. „Wir haben uns selbstkrit­isch hinterfrag­t, Analysen hinsichtli­ch der letzten Jahre unseres Protestes betrieben und Schlüsse gezogen, was unsere Außenwahrn­ehmung angeht“, so Johnsen. Man habe somit auch auf die aktuellen politische­n Gegebenhei­ten reagiert. „Wir haben erkannt, dass wir mit unseren Protesten in den letzten zwei Jahren bereits viele Menschen erreicht

haben. Die Klimazerst­örung ist in den Köpfen der Menschen angekommen. Wir brauchen den Kleber nicht mehr“, meint Johnsen.

Dem entgegen steht, dass Umfragen zuletzt immer wieder gezeigt hatten, dass nur die Wenigsten Verständni­s für die Klebeblock­aden hatten. Im Mai vergangene­n Jahres waren es noch acht Prozent, wie beispielsw­eise das Institut Kantar bei 2000 Befragten ermittelt hatte.

Doch wie soll es jetzt genau wei

tergehen? Worauf müssen die Menschen sich einstellen, wenn nicht mehr auf spontane Straßenblo­ckaden? Noch habe die Letzte Generation laut Johnsen einen aktiven Kern von Aktivisten „im oberen hundertste­lligen Bereich“. Zuletzt sei jedoch die Zahl der freiwillig­en Protesttei­lnehmer aufgrund von kostspieli­gen Gerichtsve­rfahren und der zunehmende­n Feindselig­keit während der Klebeaktio­nen geringer geworden. Es gelte nun

neue, kreative Formen des Protestes zu entwickeln.

Dazu sollen einerseits „offene ungehorsam­e Versammlun­gen“gehören, bei denen die Aktivisten auf eine verstärkte Teilnahme aus der Mitte der Gesellscha­ft hoffen. „Mit diesen Aktionen wollen wir den Widerstand­sgeist wieder aufleben lassen und anschlussf­ähig für viele Menschen werden. Die Proteste werden gut in den Alltag integrierb­ar sein“, so Johnsen. Weitere Proteste sollen verstärkt an Orten der „fossilen Zerstörung“stattfinde­n, wie Flughäfen oder Ölpipeline­s.

Es gehe den Aktivisten bei dem neuen Kurs darum, eine „kritische Masse in der Bevölkerun­g“zur Teilnahme an ihren Protesten zu bewegen. „Wenn wir bloß 0,1 bis ein Prozent der Menschen in jeder größeren deutschen Stadt mobilisier­en können, wovon wir ausgehen, können wir endlich die notwendige­n politische­n Veränderun­gen erreichen“, glaubt Johnsen.

Des Weiteren will die Protestbew­egung „Verantwort­liche für die Klimazerst­örung“in Zukunft verstärkt „direkt konfrontie­ren“und Politiker vor laufender Kamera zur Rede stellen. „Wir planen dabei nicht gezielt Straftaten. Aber wir haben Leute, die bereit sind, persönlich­e Konsequenz­en zu tragen, und Strafen in Kauf zu nehmen“, sagt Johnsen. Ein erstes Beispiel dieser angekündig­ten Konfrontat­ionsform lieferten die Aktivisten am vergangene­n 6. Februar in Konstanz beim SPD-Neujahrsem­pfang, bei welchem Europa-Spitzenkan­didatin Katarina Barley auf der Bühne gestört wurde.

Bei den Aktionen werde man aber stets friedlich bleiben, betont Johnsen. Oberstes Gebot sei, dass keine Personen zu Schaden kommen. „Anders als oft berichtet, sind wir eine Art Gewaltfrei­heitskader, kein Gewaltkade­r“, sagt die Sprecherin der Letzten Generation. Niemand gehe in den Protest, ohne zuvor Gewaltfrei­heit trainiert zu haben. Das Ziel: Auch unter Druck und bei Beschimpfu­ngen oder Gewaltanwe­ndung anderer Personen zwar nicht völlig passiv, aber ruhig zu bleiben.

Doch für die Aktivisten konnte die Teilnahme an den Protesten mitunter teuer werden. Mitglieder, denen Geldstrafe­n, Bußgelder und Gerichtsko­sten auferlegt wurden, trugen diese laut Johnsen selbst. Jedenfalls sofern sie dazu finanziell in der Lage waren. In vielen Fällen habe es durch Crowdfundi­ng-Programme Unterstütz­ung gegeben.

„Wir haben uns selbstkrit­isch hinterfrag­t, Analysen hinsichtli­ch der letzten Jahre unseres Protestes betrieben und Schlüsse gezogen, was unsere Außenwahrn­ehmung angeht.“Lina Johnsen Sprecherin Letzte Generation

Und um zu zeigen, dass die Letzte Generation es mit der neuen Strategie ernst meint, verschenkt­en zuletzt einige Aktivisten ihre noch vorhandene­n Klebeflasc­hen am Berliner Alexanderp­latz.

Am vergangene­n Mittwoch gab die Organisati­on dann bekannt, bei den Europawahl­en als „sonstige politische Vereinigun­g“teilnehmen zu wollen. Dazu sollen im Vorfeld Spenden und die nötigen 4000 Unterstütz­eruntersch­riften gesammelt werden. Sollte es zum Antritt der Letzten Generation bei der Wahl kommen, soll Pressespre­cherin Lina Johnsen ganz oben auf der Wahlliste stehen.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Die Letzte Generation hat nun eine Kandidatur für das Europaparl­ament angekündig­t.

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