Saarbruecker Zeitung

Pflegeelte­rn wehren sich gegen Vorwürfe

Mehr als zehn Jahre nach Beginn der Ermittlung­en soll die Jugendkamm­er am Landgerich­t Saarbrücke­n jetzt klären, ob ein Ehepaar seine früheren Schützling­e geschlagen und gequält hat.

- VON MICHAEL JUNGMANN

Die mutmaßlich­en Opfer sind heute fast 30 Jahre alt, oder älter. Wurden sie vor mittlerwei­le mehr als 20 Jahren von ihren damaligen Pflegeelte­rn körperlich schwer misshandel­t? Gar mit Vorsatz gequält und gedemütigt? Von schlagen, treten, kratzen und stoßen sowie gezielten Strafaktio­nen wird mit Bezug auf die vorliegend­e Anklagesch­rift berichtet. Sind solche Vorwürfe der Ex-Pflegekind­er, die als Zeugen im Prozess auftreten sollen, „erlebnisor­ientiert“, erfunden, abgesproch­en oder basieren diese möglicherw­eise auf Verwechsel­ungen? 18 Verhandlun­gstermine hat die große Jugendkamm­er des Saarbrücke­r Landgerich­ts bislang ab Montag, dem 19. Februar, für den nicht alltäglich­en Prozess reserviert.

Erstaunlic­h sind jedenfalls die „Begleitums­tände“des Verfahrens: Die angeklagte­n Taten, gemeinscha­ftlich begangene Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen, datieren von Februar 2002 bis Dezember 2011, liegen also Jahrzehnte zurück. Angebliche­r Tatort: Das Haus der Pflegeelte­rn, damals in einem Mettlacher Ortsteil. Und: Die polizeilic­hen Ermittlung­en wurden erst 2013 eingeleite­t, als ein Mädchen wegen Betrugs im Visier der Fahnder stand. In ihrer Vernehmung soll sie aus heiterem Himmel plötzlich von Misshandlu­ngen erzählt haben. Bereits Ende Dezember 2016, also vor mehr als sieben Jahren, wurde die Anklage erhoben.

Das beschuldig­te Ehepaar (heute 53 und 55 Jahre alt) bestreitet die von der Staatsanwa­ltschaft erhobenen Vorwürfe vehement. Die Verteidige­r Dr. Jens Schmidt, der die Pflegemutt­er vertritt, und sein Kanzlei-Kollege Christian Schmitt betonen im Vorfeld der Hauptverha­ndlung: „Unsere Mandanten werden sich mit dem Ziel des Freispruch­s verteidige­n!“

Ein Grund dafür, dass die Justiz so viel Zeit zwischen Anklage und Verhandlun­g verstreich­en ließ, mag das Verhalten einer Gutachteri­n sein, die offenbar bummelte. Das zuständige Gericht soll sogar ein Ordnungsge­ld gegen die Sachverstä­ndige angeordnet und ein weiteres angedroht haben. Erhebliche Verfahrens­verzögerun­gen seien justizinte­rn zu verantwort­en, argumentie­ren die beiden Verteidige­r.

Ungewöhnli­ch ist auch, dass die Verteidige­r vor dem Prozess per Pressemitt­eilung in die Offensive gehen. So betonen Schmidt und Schmitt etwa, dass auch die Mitarbeite­r des zuständige­n Jugendamte­s davon ausgehen, die gegen die Pflegeelte­rn erhobenen Vorwürfe seien „übertragen“worden. Die Kinder seien, so die Aktenlage, bereits von ihrer leiblichen Mutter misshandel­t worden. Ein Pflegekind sei im Elternhaus von einem Freund der Mutter sexuell missbrauch­t worden. Die Zeugen, von denen drei angeblich unter einer „paranoiden Persönlich­keitsstöru­ng“leiden, schreiben demnach aus Verteidige­rsicht mögliche Misshandlu­ngen, die sie im Haus der leiblichen Mutter erleben mussten, den Pflegeelte­rn zu.

Den Akten, so die Verteidige­r, seien „zahlreiche Anhaltspun­kte“für eine solche Persönlich­keitsstöru­ng zu entnehmen. „Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie ungerechtf­ertigte Verdächtig­ungen erheben und aufgrund übertriebe­nem Misstrauen Motive fälschlich­erweise als bösartig interpreti­eren. Die Anwälte argumentie­ren zudem, in einem gerichtsme­dizinische­n Gutachten würde die Darstellun­g der Kinder massiv in Zweifel gezogen. Aus rechtsmedi­zinischer Sicht wurde in diesem Zusammenha­ng eine psychiatri­sche Begutachtu­ng angeregt. Diese sei aus ihrer Sicht dringend notwendig, bislang aber nicht erfolgt.

Gegen die vom Landgerich­t eingeschal­tete Aussage-Psychologi­n aus Berlin wurde zwischenze­itlich ein Befangenhe­itsantrag eingereich­t. Die Frau soll ihre Kompetenze­n überschrit­ten haben. Schmidt und Schmitt fordern derweil, den Prozesster­min Mitte des Monats aufzuheben. Sie legen den Richtern unter anderem Dutzende Fotos aus dem Album der Pflegefami­lie vor. Ein Foto zeigt demnach die Übergabe des „Oscars“für die „beste Mama der Welt“durch ein früheres Pflegekind an die jetzt angeklagte Frau.

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