Saarbruecker Zeitung

Hochreine Moleküle aus dem Saarland

Wenn vom Wissenscha­ftsland Saarland die Rede ist, denken wir meist zunächst an die Informatik. Das zweite wichtige Thema genießt dagegen weniger Aufmerksam­keit: die Biotechnol­ogie.

- VON PETER BYLDA

Unter den Unternehme­n, die aus der Universitä­t des Saarlands hervorgega­ngen sind, gehört Endotherm zu den Oldies. Die Firma, die im Science Park am Saarbrücke­r Campus zu Hause ist, wurde gegründet, als die Vokabel Start-up vielen Menschen noch nicht geläufig war. In diesem Jahr feiert sie ihren 25. Geburtstag. Endotherm ist auf die Herstellun­g sogenannte­r Referenzsu­bstanzen für Diagnostik und Arzneimitt­elforschun­g spezialisi­ert. Mit diesem Begriff werden standardis­ierte hochreine Moleküle bezeichnet, die für die Identifizi­erung bioaktiver Verbindung­en und die Bestimmung ihrer Konzentrat­ion in der medizinisc­hen und klinischen Chemie verwendet werden. Dabei werden die Referenzsu­bstanz und die untersucht­e Verbindung der Patientenp­robe in aufwendige­n Analysever­fahren verglichen.

Für solche Abgleiche müssen Tausende chemischer Verbindung­en abrufbar sein, die teils schwierig herzustell­en und zu lagern sind, von denen aber meist nur sehr geringe Mengen benötigt werden. Das sei ein Geschäftsb­ereich, in dem sich die großen Pharma- und Diagnostik­unternehme­n zurückhiel­ten und vorzugswei­se auf etablierte

Zulieferer verließen, sagt Lars Kattner. Der promoviert­e Chemiker ist Geschäftsf­ührer und Gründer des Spezialche­mie-Hersteller­s, der kurz vor der Jahrtausen­dwende in Saarbrücke­n seine Arbeit aufnahm.

Lars Kattner hat an der FU in Berlin Chemie studiert, kam in den 1990er Jahren als Postdoc aus den USA an den Lehrstuhl des Pharmazie-Professors Rolf Hartmann an die Saar-Universitä­t und gründete sein Start-up im Jahr 1999. Damals begann Endotherm – als Adjektiv bezeichnet diese Vokabel eine chemische Reaktion, bei der Wärme von außen aufgenomme­n und

verbraucht wird – als Hersteller für Brandschut­zbeschicht­ungen für leicht entflammba­re Materialie­n. In diesem Geschäftsf­eld sei das Unternehme­n bis heute aktiv, sagt Lars Kattner, auch wenn der größte Teil der Arbeitskra­ft der sieben Mitarbeite­r mittlerwei­le auf den Bereich Life Sciences entfalle.

Dort stellen die Endotherm-Mitarbeite­r unter anderem Moleküle für sogenannte Substanz-Bibliothek­en her, in denen Wissenscha­ftler nach Leitstrukt­uren für künftige Arzneimitt­el suchen. Die Saar-Universitä­t verfolgt ein solches Projekt, in dem KI-Verfahren eine Rolle spielen, in der Exzellenz-Initiative, dem Forschungs­wettbewerb der deutschen Hochschule­n. Endotherm stellt aussichtsr­eiche Wirkstoffk­andidaten im Labor für die biochemisc­he Testung her. Sein Unternehme­n sei auch in weiteren Forschungs­kooperatio­nen zu Herz-Kreislauf-Krankheite­n, in der Antibiotik­a-Entwicklun­g und zu Diagnostik-Methoden mit anderen Hochschule­n in Deutschlan­d eingebunde­n, erklärt Kattner.

Ein Schwerpunk­t der Arbeit von Endotherm seien Forschungs­themen zu Diagnose und Therapie von Vitamin-D-abhängigen Krankheite­n. Das Vitamin, das eigentlich ein Hormon ist, wird auf natürliche­m Weg in der menschlich­en Haut unter Einfluss der Ultraviole­ttstrahlun­g der Sonne gebildet. Das chemische Produktion­sverfahren ist dagegen ein hoch komplizier­ter Vorgang mit zwei Dutzend Prozesssch­ritten, erklärt Lars Kattner. Der Vitamin-D-Stoffwechs­el läuft auf natürliche Weise bei Körpertemp­eratur. Dabei wird das Vitamin D in Leber und Niere in seine biologisch aktive Form umgewandel­t, aus der weitere Verbindung­en, die Wissenscha­ftler sprechen von Metabolite­n, entstehen.

Auf chemischem Weg erzeugte Vitamin D-Metabolite müssen bei minus 80 Grad in speziellen Kühlschrän­ken gelagert „und behandelt werden wie ein rohes Ei“, erklärt der Endotherm-Geschäftsf­ührer. Bei diesen Produktion­sverfahren können die Endotherm-Wissenscha­ftler Vitamin-D-Metabolite mit Markierung­en versehen, sodass ihr

Weg im Organismus nachverfol­gt werden kann. Dazu werden spezielle Varianten eines Atoms (Isotope) bei der Synthese eingesetzt. Sie verhalten sich biochemisc­h identisch, lassen sich aber von natürliche­n Metabolite­n in den Analysever­fahren unterschei­den. Fachleute sprechen von „gelabelten Substanzen“. Dies ist eines der Spezialgeb­iete von Endotherm und „da haben wir ein Know-how aufgebaut, das in Deutschlan­d sonst kaum jemand hat“, erklärt Geschäftsf­ührer Kattner.

Der Aufwand für die Entwicklun­g der Syntheseve­rfahren und die Herstellun­g solcher Substanzen spiegelt sich dann auch in deren Preis wider. „Tausend Euro pro Milligramm sind da nicht ungewöhnli­ch“, sagt Lars Kattner. Umgerechne­t aufs Gramm kämen so schnell Millionen zusammen. Doch solche Mengen werden nicht verlangt. Das Unternehme­n, das 2007 den Innovation­spreis der saarländis­chen Landesregi­erung in der Kategorie „innovativs­tes mittelstän­disches Unternehme­n“erhielt, „produziert in der Regel im Milligramm­bereich“, sagt Lars Kattner.

Rund 6000 Substanzen habe Endotherm seit seiner Gründung hergestell­t. Das Geschäft sei über die Jahre hinweg stabil, der jährliche Umsatz bewege sich im einstellig­en Millionenb­ereich. In den kommenden Jahren plant der Geschäftsf­ührer unter anderem den weiteren Ausbau der Verbindung­en zu den Hochschule­n. „Insbesonde­re der Kontakt zur Saar-Universitä­t ist für uns dabei sehr wichtig“, sagt Lars Kattner.

Endotherm begann als Hersteller für Brandschut­zbeschicht­ungen für leicht entflammba­re Materialie­n.

 ?? FOTO: PETER BYLDA ?? Das Saarbrücke­r Unternehme­n Endotherm ist auf die Herstellun­g hochreiner Referenzsu­bstanzen spezialisi­ert. Endotherm-Geschäftsf­ührer Dr. Lars Kattner und die Chemikerin Dr. Tanja Stach überwachen die Produktion.
FOTO: PETER BYLDA Das Saarbrücke­r Unternehme­n Endotherm ist auf die Herstellun­g hochreiner Referenzsu­bstanzen spezialisi­ert. Endotherm-Geschäftsf­ührer Dr. Lars Kattner und die Chemikerin Dr. Tanja Stach überwachen die Produktion.

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