Hochreine Moleküle aus dem Saarland
Wenn vom Wissenschaftsland Saarland die Rede ist, denken wir meist zunächst an die Informatik. Das zweite wichtige Thema genießt dagegen weniger Aufmerksamkeit: die Biotechnologie.
Unter den Unternehmen, die aus der Universität des Saarlands hervorgegangen sind, gehört Endotherm zu den Oldies. Die Firma, die im Science Park am Saarbrücker Campus zu Hause ist, wurde gegründet, als die Vokabel Start-up vielen Menschen noch nicht geläufig war. In diesem Jahr feiert sie ihren 25. Geburtstag. Endotherm ist auf die Herstellung sogenannter Referenzsubstanzen für Diagnostik und Arzneimittelforschung spezialisiert. Mit diesem Begriff werden standardisierte hochreine Moleküle bezeichnet, die für die Identifizierung bioaktiver Verbindungen und die Bestimmung ihrer Konzentration in der medizinischen und klinischen Chemie verwendet werden. Dabei werden die Referenzsubstanz und die untersuchte Verbindung der Patientenprobe in aufwendigen Analyseverfahren verglichen.
Für solche Abgleiche müssen Tausende chemischer Verbindungen abrufbar sein, die teils schwierig herzustellen und zu lagern sind, von denen aber meist nur sehr geringe Mengen benötigt werden. Das sei ein Geschäftsbereich, in dem sich die großen Pharma- und Diagnostikunternehmen zurückhielten und vorzugsweise auf etablierte
Zulieferer verließen, sagt Lars Kattner. Der promovierte Chemiker ist Geschäftsführer und Gründer des Spezialchemie-Herstellers, der kurz vor der Jahrtausendwende in Saarbrücken seine Arbeit aufnahm.
Lars Kattner hat an der FU in Berlin Chemie studiert, kam in den 1990er Jahren als Postdoc aus den USA an den Lehrstuhl des Pharmazie-Professors Rolf Hartmann an die Saar-Universität und gründete sein Start-up im Jahr 1999. Damals begann Endotherm – als Adjektiv bezeichnet diese Vokabel eine chemische Reaktion, bei der Wärme von außen aufgenommen und
verbraucht wird – als Hersteller für Brandschutzbeschichtungen für leicht entflammbare Materialien. In diesem Geschäftsfeld sei das Unternehmen bis heute aktiv, sagt Lars Kattner, auch wenn der größte Teil der Arbeitskraft der sieben Mitarbeiter mittlerweile auf den Bereich Life Sciences entfalle.
Dort stellen die Endotherm-Mitarbeiter unter anderem Moleküle für sogenannte Substanz-Bibliotheken her, in denen Wissenschaftler nach Leitstrukturen für künftige Arzneimittel suchen. Die Saar-Universität verfolgt ein solches Projekt, in dem KI-Verfahren eine Rolle spielen, in der Exzellenz-Initiative, dem Forschungswettbewerb der deutschen Hochschulen. Endotherm stellt aussichtsreiche Wirkstoffkandidaten im Labor für die biochemische Testung her. Sein Unternehmen sei auch in weiteren Forschungskooperationen zu Herz-Kreislauf-Krankheiten, in der Antibiotika-Entwicklung und zu Diagnostik-Methoden mit anderen Hochschulen in Deutschland eingebunden, erklärt Kattner.
Ein Schwerpunkt der Arbeit von Endotherm seien Forschungsthemen zu Diagnose und Therapie von Vitamin-D-abhängigen Krankheiten. Das Vitamin, das eigentlich ein Hormon ist, wird auf natürlichem Weg in der menschlichen Haut unter Einfluss der Ultraviolettstrahlung der Sonne gebildet. Das chemische Produktionsverfahren ist dagegen ein hoch komplizierter Vorgang mit zwei Dutzend Prozessschritten, erklärt Lars Kattner. Der Vitamin-D-Stoffwechsel läuft auf natürliche Weise bei Körpertemperatur. Dabei wird das Vitamin D in Leber und Niere in seine biologisch aktive Form umgewandelt, aus der weitere Verbindungen, die Wissenschaftler sprechen von Metaboliten, entstehen.
Auf chemischem Weg erzeugte Vitamin D-Metabolite müssen bei minus 80 Grad in speziellen Kühlschränken gelagert „und behandelt werden wie ein rohes Ei“, erklärt der Endotherm-Geschäftsführer. Bei diesen Produktionsverfahren können die Endotherm-Wissenschaftler Vitamin-D-Metabolite mit Markierungen versehen, sodass ihr
Weg im Organismus nachverfolgt werden kann. Dazu werden spezielle Varianten eines Atoms (Isotope) bei der Synthese eingesetzt. Sie verhalten sich biochemisch identisch, lassen sich aber von natürlichen Metaboliten in den Analyseverfahren unterscheiden. Fachleute sprechen von „gelabelten Substanzen“. Dies ist eines der Spezialgebiete von Endotherm und „da haben wir ein Know-how aufgebaut, das in Deutschland sonst kaum jemand hat“, erklärt Geschäftsführer Kattner.
Der Aufwand für die Entwicklung der Syntheseverfahren und die Herstellung solcher Substanzen spiegelt sich dann auch in deren Preis wider. „Tausend Euro pro Milligramm sind da nicht ungewöhnlich“, sagt Lars Kattner. Umgerechnet aufs Gramm kämen so schnell Millionen zusammen. Doch solche Mengen werden nicht verlangt. Das Unternehmen, das 2007 den Innovationspreis der saarländischen Landesregierung in der Kategorie „innovativstes mittelständisches Unternehmen“erhielt, „produziert in der Regel im Milligrammbereich“, sagt Lars Kattner.
Rund 6000 Substanzen habe Endotherm seit seiner Gründung hergestellt. Das Geschäft sei über die Jahre hinweg stabil, der jährliche Umsatz bewege sich im einstelligen Millionenbereich. In den kommenden Jahren plant der Geschäftsführer unter anderem den weiteren Ausbau der Verbindungen zu den Hochschulen. „Insbesondere der Kontakt zur Saar-Universität ist für uns dabei sehr wichtig“, sagt Lars Kattner.
Endotherm begann als Hersteller für Brandschutzbeschichtungen für leicht entflammbare Materialien.