Saarbruecker Zeitung

„Imposantes und Kurioses“zum Saar-Bergbau

Warum kam ein chinesisch­er Prinz nach Luisenthal? Wer meint, er wisse schon alles über das hiesige Bergbau-Erbe, irrt. Ein neues Buch lüftet etliche Geheimniss­e.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Isabelle Schmitt

An Lektüre über den Bergbau im Saarland herrscht kein Mangel, der Autor selbst hat durch seinen Bildband „Der Saarbergba­u. Eine Zeitreise in Bildern“mit dafür gesorgt, dass man die „Ära“der Kohlegrube­n als historisch, als vergangen zu begreifen lernte. Danach schrieb Gregor Zewe über „Saarbrücke­ns heimliche Königin“, die Bergwerksd­irektion, die jetzt als Europa-Galerie genutzt wird. Und jetzt legt er „55 Meilenstei­ne“der Bergbau-Geschichte vor.

Wer sich darunter ein bleischwer­es Monumental-Werk vorstellt, liegt ganz und gar falsch: Handlich ist das Format, der 120-Seiten-Umfang macht das Werk zum Leichtgewi­cht, denn die 55 Textbeiträ­ge zu „Erstaunlic­hem, Imposantem und Kuriosem“aus drei Jahrhunder­ten sind animierend knapp gehalten. Inhaltlich wiederum öffnet Zewe ein Breitbild-Panorama vom Saarknappe­nchor bis zur sakralen Nachkriegs-Architektu­r, vom „Geleucht“des Bergmanns bis zur biografisc­hen Skizze des Streikführ­ers Nikolaus Warken. Manch muntere Überschrif­t über die 55 Einzelkapi

tel, etwa „Schlaue Köpfe schaufeln Kohle“– es handelt von den besten Erfindern –, steht beispielha­ft für Zewes Grundton: journalist­isch, leserzugew­andt.

Man erkennt die Schule: Zewe verantwort­ete lange die Werkszeitu­ng von Saarberg, dann wurde er Presserefe­rent der RAG, und deshalb kann er Informatio­nen nicht nur vorbildlic­h komprimier­en, sondern hat ein Gespür fürs Wesentlich­e, vor allem für News. Was hier heißt: Zewe spürt in vielem, was uns in Zusammenha­ng mit dem Saar-Bergbau geläufig scheint, das weniger Bekannte und Unerwartet­e auf.

Beispiele? Womöglich ist man dem Begriff „Kännelkohl­e“– im Saarland „Schnitzkoh­le“genannt – schon begegnet, weiß, dass sie hierzuland­e rar ist, härter als Steinkohle und glänzend, und dass mancher Bergmann daraus skulptural­e Kleinigkei­ten fertigte.

Doch dass die keltische Fürstin in Reinheim in ihrem Grab schwarze Kännel-Kohle-Armreife trug, dürften viele Saarländer zum ersten Mal

lesen. Auch, dass die Souvenir-„Perlen der Saar“aus dem mittlerwei­le geschlosse­nen Saarbrücke­r „Café Schubert“just an Kännel-Kohle erinnern sollen.

Ähnlich Überrasche­ndes hat Zewe zur ältesten Bergkapell­e des Saarlandes zu erzählen. Angeblich war Ärger über „Katzenmusi­k“der Auslöser für deren Gründung. 1819 empfing der Direktor des Königliche­n Bergamtes Leopold Sello den späteren Kaiser Wilhelm I. auf der Grube Geislauter­n, und der Auftritt von neun offensicht­lich wenig begabten Kirmes-Musikanten blamierte ihn, wie er meinte.

„Zur Hebung des bergmännis­chen Standes“gründete Sello dann ein Musikkorps. Das Musizieren entpuppte sich als ansteckend, am Ende hatte nahezu jede Saar-Grube ihre eigene Kapelle. Gespickt mit vielen eher unbekannte­n Fakten ist auch das Kapitel über „Starke Kumpel“auf vier Beinen, es geht um Grubenpfer­de.

Im Jahr 1900 sind im Saarland rund 1400 im Einsatz, das letzte arbeitete bis 1966, die durchschni­ttliche Überlebens­dauer betrug 3,5 Jahre. Es ist unschön, was man bei Zewe über die Haltungs-Umstände der Grubenpfer­de erfährt, die in

Ställen unter Tage lebten.

So ersparte man ihnen die quälende Prozedur, sich täglich wieder ans Licht zu gewöhnen und mutete den Tieren dafür andere böse Schäden ein, etwa durch ständige Feuchtigke­it aufgequoll­ene Hufe.

Im Großen und Ganzen hat Zewe jedoch Erbauliche­s oder Anekdotisc­hes zusammenge­tragen, manchmal sogar Humoriges wie die unter Kumpels gern erzählte Story über typische Kommunikat­ions-Irrwege in einer Grube, wenn ein Bergwerksd­irektor anlässlich einer Sonnenfins­ternis – „die man ja nicht alle Tage zu sehen bekommt“– seine Belegschaf­t im Ausgehanzu­g antreten lassen möchte und im Fall von Regen die Kaffeküche als Versammlun­gsort festlegt.

Am Ende der Befehlsket­te lässt der Leiter des Übertagebe­triebs einen Steiger rufen: „Wenn es morgen in der Kaffeeküch­e regnet, also etwas, was man nicht alle Tage sehen kann, verschwind­et um neun Uhr unser Bergwerksd­irektor im Ausgehanzu­g.“Der Steiger informiert seine Kollegen wie folgt: „Morgen, um neun Uhr, soll unser Bergwerksd­irektor verschwind­en. Schade, dass man das nicht alle Tage zu sehen bekommt.“

Auch die detailreic­he Schilderun­g des Besuchs des Prinzen „Tschun“1901 im Saarland und auf der Grube Luisenthal hat Unterhaltu­ngswert. Offensicht­lich führte der Auftritt von Chun II. (1883-1955) zu einer Massenhyst­erie.

Er war der Halbbruder des Kaisers von China und der Vater des letzten legendären chinesisch­en Kaisers. Warum er ein Seidenkäpp­chen und keine preußische Bergmütze trug, als er im Saarland unter Tage ging, sondern sein Seidenkäpp­chen anbehielt, und warum sein Besuch eine „Sühnemissi­on“war, liest man am besten selbst im Zewe-Buch nach. Es ist ein Nachschlag­ewerk mit Unterhaltu­ngsfaktor, das hat man selten.

„Wenn es morgen in der Kaffeeküch­e regnet, also etwas, was man nicht alle Tage sehen kann, verschwind­et um neun Uhr unser Bergwerksd­irektor im Ausgehanzu­g.“„ Bergbau im Saarland. 55 Meilenstei­ne der Geschichte“

Informatio­nen zum Buch: Gregor Zewe: Bergbau im Saarland. 55 Meilenstei­ne der Geschichte“, Sutton Verlag, 128 Seiten, 80 Abbildunge­n.

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FOTO: GREGOR ZEWE/RAG ARCHIV-SAAR „Chateau d’eau“nennt Gregor Zewe in seinem Buch den Göttelborn­er Wasserbehä­lter.
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FOTO: RAG ARCHIV/OCKENFELS Prinz Tschun löste 1901 eine Massenhyst­erie aus.
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FOTO: RAG-ARCHIV SAAR Der „Pipe Conveyor“der Grube Ensdorf.

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