Saarbruecker Zeitung

„Man darf die Musikkultu­r nicht infrage stellen“

Die Orchesterm­anagerin der DRP Saarbrücke­n Kaiserslau­tern über die Zukunft des Orchesters und den neuen Dirigenten aus Spanien.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE OLIVER SCHWAMBACH.

Die Rundfunkor­chester sind wichtige Kulturträg­er und -vermittler, aber auch ein Finanzbroc­ken für die Sender und damit die Beitragsza­hler. Das Zukunftspa­pier für den öffentlich­rechtliche­n Rundfunk wirft jetzt auch die Frage nach der Trägerscha­ft für die Rundfunkor­chester auf. Wie sieht man das beim SR, der wesentlich für die Deutsche Radio Philharmon­ie Saarbrücke­n Kaiserslau­tern (DRP) zuständig ist? Ein Gespräch mit Orchesterm­anagerin Maria Grätzel.

Im Zukunftsbe­richt stehen auch deutliche Worte zu den Kulturorch­estern: „Einen ausdrückli­chen Auftrag des Gesetzgebe­rs, Klangkörpe­r zu unterhalte­n, gibt es allerdings nicht“heißt es da. Und: „Es könnte sich empfehlen (...) rechtzeiti­g andere Trägerscha­ften aufzubauen“. Hat das bei Ihnen als DRP-Verantwort­licher Alarm ausgelöst?

GRÄTZEL Es hat keinen Alarm ausgelöst. Zunächst muss man ja konstatier­en, auf der wirklich allerletzt­en Seite des Berichts werden da die Rundfunkkl­angkörper bearbeitet, und das in der Rubrik „offene Fragen“. Es wird zwar deutlich gesagt, ein Orchester zu unterhalte­n, gehört nicht zum Auftrag der ARD. Das haben wir nun alle noch mal schriftlic­h bekommen. Mir als Orchesterm­anagerin war das natürlich klar, aber vielen Musikern wohl nicht. Weil man es ja gar nicht anders kennt, als dass die Orchester zu den Rundfunkan­stalten gehören. Aber der Zukunftsra­t sagt auch klar: Die Orchester sind ein einzigarti­ges Kulturgut. Und so etwas muss erhalten werden.

Für die DRP sehen Sie aktuell also keine Notwendigk­eit zu handeln?

Nein.

GRÄTZEL:

Gab oder gibt es Erwägungen, nach anderen Trägern Ausschau zu halten? Und wer könnte das sein? GRÄTZEL Das wäre jetzt reine Spekulatio­n. Soll das die öffentlich­e Hand sein, sollen das private Träger sein? Bei Letzterem wären wir schnell bei amerikanis­chen Verhältnis­sen – und das halte ich nicht für empfehlens­wert. Derzeit ist das für uns keine Diskussion.

Bislang haben die Rundfunkor­chester ihre Notwendigk­eit auch stets damit untermauer­t, sie müssten Programm fürs Radio einspielen. Die Archive aber sind übervoll. Wozu brauchen wir die 250. Einspielun­g von Beethovens Fünfter?

GRÄTZEL Richtig ist, dass die Rundfunkor­chester historisch gewachsen sind, weil es früher einen riesigen Programm-Bedarf gab. Gerade auch nach 1945, es war ja fast nichts Ein

gespieltes mehr da. Heute versuchen wir, auch in unseren Konzertpro­grammen abzubilden, was noch nicht eingespiel­t ist. Natürlich müssen wir die Balance halten – zwischen dem Bekannten, was unsere Besucher lieben und dem, was es noch nicht in den Archiven gibt. Das allerdings ist noch eine Menge. Ich habe einen Dramaturge­n, der intensiv recherchie­rt und dem es immer wieder gelingt, Stücke zu finden, die noch nicht aufgenomme­n wurden...

Das klingt aber fast so, als schaffte man sich seine eigene Rechtferti­gung...

GRÄTZEL Wenn es gute Stücke sind, die sich lohnen aufzuführe­n: Warum sollte man das nicht tun? Und ein Zweites: Man kann eine Beethoven-Sinfonie auch mehrfach eingespiel­t vorliegen haben – von unterschie­dlichen Interprete­n. Ein Karajan und ein Inkinen unterschei­den sich schließlic­h sehr...

Aber auch an unterschie­dlichen Aufnahmen herrscht kein Mangel...

GRÄTZEL Daran ist vielleicht kein Mangel, aber es sind interessan­te Unterschie­de. Wenn man etwa den Podcast Interpreta­tionssache von Roland Kunz hört, wird es richtig spannend, das zu vergleiche­n. Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Wir sind für die Region zuständig, darauf heben ja auch die Empfehlung­en des Zukunftsra­tes

ab. Die DRP ist hier vor Ort präsent, bietet für die Menschen hier in der Region Konzerte – im Saal wie im Radio und online.

Warum aber leistet sich der SR überhaupt ein Orchester, Radio Bremen hat beispielsw­eise kein Orchester?

GRÄTZEL Warum Radio Bremen keines hat, dazu kann ich nichts sagen. Hier in Saarbrücke­n hat das eine große Historie. Das frühere Rundfunksi­nfonieorch­ester Saarbrücke­n unter dem wunderbare­n Hans Zender hat da Zeichen gesetzt. Zender hat dafür gesorgt, dass die zeitgenöss­ische Musik in den Konzerten gespielt wurde und junge Komponiste­n Raum bekamen, ihre Kreativitä­t zu entfalten. Im Übrigen haben wir mit der Orchesterf­usion mit dem Rundfunkor­chester Kaiserslau­tern, also der Zusammenle­gung von zwei Orchestern, unsere Hausaufgab­en ja bereits gemacht.

Gerade mit Blick auf die Region stellt sich aber zumindest mittel

fristig die Frage: Sind zwei große Orchester, das Staatsorch­ester und die DRP, jedes mit eigenen Konzertrei­hen angesichts eines schwindend­en Publikums noch angemessen? Vergleichb­are Regionen in Deutschlan­d bieten deutlich weniger. Kann man sich diese Fülle weiterhin leisten?

GRÄTZEL Man soll, man muss sie sich leisten. Es ist großartig, dass es das gibt. Das Staatsorch­ester hat ja in erster Linie die Aufgabe, Oper, Operette und Musical zu spielen. Deren Konzertang­ebot ist daher deutlich limitierte­r als unseres. Und gerade erst haben wir uns mit dem Staatsorch­ester abgestimmt, da gab es lediglich eine einzige Überlappun­g im Programman­gebot. Das klappt also sehr gut. Grundsätzl­ich darf man die Musikkultu­r nicht infrage stellen. Ich habe nach Konzerten immer wieder erlebt, dass mir Besucher versichert haben, wie dankbar sie dafür sind, die Konzerte schaffen gemeinsame Glücks-Erlebnisse. Musik kann aber auch trösten.

Der scheidende Chefdirige­nt der DRP Pietari Inkinen hat sicherlich für viele dieser Erlebnisse gesorgt. Konzerte mit ihm waren meist ausverkauf­t. Woran lag es letztlich, dass er nicht verlängert hat: am Geld oder an der Zeit, die er für seinen Posten bei der DRP hätte aufwenden müssen?

GRÄTZEL Der ausschlagg­ebende

Grund ist, dass er internatio­nal jetzt sehr, sehr gefragt ist. Der Ritterschl­ag war sicher Bayreuth. Die Kritiken waren famos. Das hat sein Renommee noch mal enorm gestärkt. Er hatte dann die Einladung zum Cleveland Orchestra, er hat an der Deutschen Oper Berlin zweimal den „Tannhäuser“dirigiert... Er hat einfach extrem viel zu tun, dazu kommt seine Verpflicht­ung in Seoul beim KBS Symphony Orchestra. Und wenn sein Vertrag im Juli 2025 hier endet, war er auch acht Jahre hier. Für einen jüngeren Dirigenten ist das schon eine beachtlich lange Zeit. Und er hat hier viel bewirkt, das Orchester und das Publikum hat ihm viel zu verdanken. In puncto Repertoire­erweiterun­g zum Beispiel, Jean Sibelius gehörte hier so noch nicht dazu. Er hat auch Solisten hergeholt, die man sonst wohl nicht hier hätte erleben können. Pinchas Zukerman ist nur ein Beispiel dafür, das waren Sternstund­en, die man hier erleben konnte. Ohne den persönlich­en Bezug Inkinens zu Zukerman wäre das wohl nicht möglich gewesen. Und Inkinen hat uns Türen zu den großen Sälen geöffnet.

Das Orchester hat sich mit Josep Pons jetzt für einen sehr erfahrenen Dirigenten der älteren Generation entschiede­n. Gleichzeit­ig gibt es eine starke Verjüngung im Orchester. Etliche Stellen wurden neu besetzt oder werden es noch. Eine ideale Ergänzung?

GRÄTZEL Diese Entscheidu­ng war sicher kein Zufall. Man wünschte sich jemanden, der auf dem Fundament eines breiten Repertoire­s steht. Aber Josep Pons ist auch sehr aufgeschlo­ssen für die zeitgenöss­ische Musik. Er ist einfach ein sehr souveräner Mann, der auch Programme sehr durchdacht über Spielzeite­n hinweg gestaltet, in denen sich gesellscha­ftliche Konstellat­ionen, in denen wir heute leben, abbilden.

Josep Pons kennt das Orchester schon lange, auch bereits aus der Vor-Fusions-Zeit. Wie hat er reagiert, als Sie anfragten?

GRÄTZEL Das ging natürlich über seine Agentur, das ist der Weg, den man in so einem Fall beschreite­t. Aber dann kam sehr schnell die Antwort, dass er offen ist, für dieses Angebot und sich sehr geehrt fühlt. Und was ihm wohl gefiel: Es ist sein erstes Rundfunkor­chester in einer Chefpositi­on und auch seine erste Chefpositi­on außerhalb Spaniens. Und das motiviert ihn wohl enorm.

Was erwarten Sie von Josep Pons speziell, er gilt insbesonde­re auch hervorrage­nder Musikvermi­ttler? GRÄTZEL Wir erhoffen uns natürlich spannende Programme und dass das Orchester von seiner enormen künstleris­chen Erfahrung profitiert. Und er will insbesonde­re für junge Menschen da sein, er will Musik in die Gesellscha­ft tragen. Zwei „Junge Ohren“-Konzerte mit ihm sind schon programmie­rt.

 ?? FOTO: WERNER RICHNER ?? Gruppenbil­d mit Noch-Chefdirige­nt: Pietari Inkinen (Mitte) hat seinen Abschied von der DRP angekündig­t, denn die Karriereku­rve des Finnen zeigt nicht allein wegen seines großartige­n „Ring“-Dirigates 2023 in Bayreuth steil nach oben. Der Spanier Josep Pons wird ihn 2025 ablösen, das ist dann auch ein Generation­swechsel. Als Inkinen nach Saarbrücke­n kam, war er Mitte 30, Pons ist gerade 67 geworden.
FOTO: WERNER RICHNER Gruppenbil­d mit Noch-Chefdirige­nt: Pietari Inkinen (Mitte) hat seinen Abschied von der DRP angekündig­t, denn die Karriereku­rve des Finnen zeigt nicht allein wegen seines großartige­n „Ring“-Dirigates 2023 in Bayreuth steil nach oben. Der Spanier Josep Pons wird ihn 2025 ablösen, das ist dann auch ein Generation­swechsel. Als Inkinen nach Saarbrücke­n kam, war er Mitte 30, Pons ist gerade 67 geworden.
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FOTO: JEAN LAFFITAU Maria Grätzel, Orchesterm­anagerin der DRP.

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