„Man darf die Musikkultur nicht infrage stellen“
Die Orchestermanagerin der DRP Saarbrücken Kaiserslautern über die Zukunft des Orchesters und den neuen Dirigenten aus Spanien.
Die Rundfunkorchester sind wichtige Kulturträger und -vermittler, aber auch ein Finanzbrocken für die Sender und damit die Beitragszahler. Das Zukunftspapier für den öffentlichrechtlichen Rundfunk wirft jetzt auch die Frage nach der Trägerschaft für die Rundfunkorchester auf. Wie sieht man das beim SR, der wesentlich für die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern (DRP) zuständig ist? Ein Gespräch mit Orchestermanagerin Maria Grätzel.
Im Zukunftsbericht stehen auch deutliche Worte zu den Kulturorchestern: „Einen ausdrücklichen Auftrag des Gesetzgebers, Klangkörper zu unterhalten, gibt es allerdings nicht“heißt es da. Und: „Es könnte sich empfehlen (...) rechtzeitig andere Trägerschaften aufzubauen“. Hat das bei Ihnen als DRP-Verantwortlicher Alarm ausgelöst?
GRÄTZEL Es hat keinen Alarm ausgelöst. Zunächst muss man ja konstatieren, auf der wirklich allerletzten Seite des Berichts werden da die Rundfunkklangkörper bearbeitet, und das in der Rubrik „offene Fragen“. Es wird zwar deutlich gesagt, ein Orchester zu unterhalten, gehört nicht zum Auftrag der ARD. Das haben wir nun alle noch mal schriftlich bekommen. Mir als Orchestermanagerin war das natürlich klar, aber vielen Musikern wohl nicht. Weil man es ja gar nicht anders kennt, als dass die Orchester zu den Rundfunkanstalten gehören. Aber der Zukunftsrat sagt auch klar: Die Orchester sind ein einzigartiges Kulturgut. Und so etwas muss erhalten werden.
Für die DRP sehen Sie aktuell also keine Notwendigkeit zu handeln?
Nein.
GRÄTZEL:
Gab oder gibt es Erwägungen, nach anderen Trägern Ausschau zu halten? Und wer könnte das sein? GRÄTZEL Das wäre jetzt reine Spekulation. Soll das die öffentliche Hand sein, sollen das private Träger sein? Bei Letzterem wären wir schnell bei amerikanischen Verhältnissen – und das halte ich nicht für empfehlenswert. Derzeit ist das für uns keine Diskussion.
Bislang haben die Rundfunkorchester ihre Notwendigkeit auch stets damit untermauert, sie müssten Programm fürs Radio einspielen. Die Archive aber sind übervoll. Wozu brauchen wir die 250. Einspielung von Beethovens Fünfter?
GRÄTZEL Richtig ist, dass die Rundfunkorchester historisch gewachsen sind, weil es früher einen riesigen Programm-Bedarf gab. Gerade auch nach 1945, es war ja fast nichts Ein
gespieltes mehr da. Heute versuchen wir, auch in unseren Konzertprogrammen abzubilden, was noch nicht eingespielt ist. Natürlich müssen wir die Balance halten – zwischen dem Bekannten, was unsere Besucher lieben und dem, was es noch nicht in den Archiven gibt. Das allerdings ist noch eine Menge. Ich habe einen Dramaturgen, der intensiv recherchiert und dem es immer wieder gelingt, Stücke zu finden, die noch nicht aufgenommen wurden...
Das klingt aber fast so, als schaffte man sich seine eigene Rechtfertigung...
GRÄTZEL Wenn es gute Stücke sind, die sich lohnen aufzuführen: Warum sollte man das nicht tun? Und ein Zweites: Man kann eine Beethoven-Sinfonie auch mehrfach eingespielt vorliegen haben – von unterschiedlichen Interpreten. Ein Karajan und ein Inkinen unterscheiden sich schließlich sehr...
Aber auch an unterschiedlichen Aufnahmen herrscht kein Mangel...
GRÄTZEL Daran ist vielleicht kein Mangel, aber es sind interessante Unterschiede. Wenn man etwa den Podcast Interpretationssache von Roland Kunz hört, wird es richtig spannend, das zu vergleichen. Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Wir sind für die Region zuständig, darauf heben ja auch die Empfehlungen des Zukunftsrates
ab. Die DRP ist hier vor Ort präsent, bietet für die Menschen hier in der Region Konzerte – im Saal wie im Radio und online.
Warum aber leistet sich der SR überhaupt ein Orchester, Radio Bremen hat beispielsweise kein Orchester?
GRÄTZEL Warum Radio Bremen keines hat, dazu kann ich nichts sagen. Hier in Saarbrücken hat das eine große Historie. Das frühere Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken unter dem wunderbaren Hans Zender hat da Zeichen gesetzt. Zender hat dafür gesorgt, dass die zeitgenössische Musik in den Konzerten gespielt wurde und junge Komponisten Raum bekamen, ihre Kreativität zu entfalten. Im Übrigen haben wir mit der Orchesterfusion mit dem Rundfunkorchester Kaiserslautern, also der Zusammenlegung von zwei Orchestern, unsere Hausaufgaben ja bereits gemacht.
Gerade mit Blick auf die Region stellt sich aber zumindest mittel
fristig die Frage: Sind zwei große Orchester, das Staatsorchester und die DRP, jedes mit eigenen Konzertreihen angesichts eines schwindenden Publikums noch angemessen? Vergleichbare Regionen in Deutschland bieten deutlich weniger. Kann man sich diese Fülle weiterhin leisten?
GRÄTZEL Man soll, man muss sie sich leisten. Es ist großartig, dass es das gibt. Das Staatsorchester hat ja in erster Linie die Aufgabe, Oper, Operette und Musical zu spielen. Deren Konzertangebot ist daher deutlich limitierter als unseres. Und gerade erst haben wir uns mit dem Staatsorchester abgestimmt, da gab es lediglich eine einzige Überlappung im Programmangebot. Das klappt also sehr gut. Grundsätzlich darf man die Musikkultur nicht infrage stellen. Ich habe nach Konzerten immer wieder erlebt, dass mir Besucher versichert haben, wie dankbar sie dafür sind, die Konzerte schaffen gemeinsame Glücks-Erlebnisse. Musik kann aber auch trösten.
Der scheidende Chefdirigent der DRP Pietari Inkinen hat sicherlich für viele dieser Erlebnisse gesorgt. Konzerte mit ihm waren meist ausverkauft. Woran lag es letztlich, dass er nicht verlängert hat: am Geld oder an der Zeit, die er für seinen Posten bei der DRP hätte aufwenden müssen?
GRÄTZEL Der ausschlaggebende
Grund ist, dass er international jetzt sehr, sehr gefragt ist. Der Ritterschlag war sicher Bayreuth. Die Kritiken waren famos. Das hat sein Renommee noch mal enorm gestärkt. Er hatte dann die Einladung zum Cleveland Orchestra, er hat an der Deutschen Oper Berlin zweimal den „Tannhäuser“dirigiert... Er hat einfach extrem viel zu tun, dazu kommt seine Verpflichtung in Seoul beim KBS Symphony Orchestra. Und wenn sein Vertrag im Juli 2025 hier endet, war er auch acht Jahre hier. Für einen jüngeren Dirigenten ist das schon eine beachtlich lange Zeit. Und er hat hier viel bewirkt, das Orchester und das Publikum hat ihm viel zu verdanken. In puncto Repertoireerweiterung zum Beispiel, Jean Sibelius gehörte hier so noch nicht dazu. Er hat auch Solisten hergeholt, die man sonst wohl nicht hier hätte erleben können. Pinchas Zukerman ist nur ein Beispiel dafür, das waren Sternstunden, die man hier erleben konnte. Ohne den persönlichen Bezug Inkinens zu Zukerman wäre das wohl nicht möglich gewesen. Und Inkinen hat uns Türen zu den großen Sälen geöffnet.
Das Orchester hat sich mit Josep Pons jetzt für einen sehr erfahrenen Dirigenten der älteren Generation entschieden. Gleichzeitig gibt es eine starke Verjüngung im Orchester. Etliche Stellen wurden neu besetzt oder werden es noch. Eine ideale Ergänzung?
GRÄTZEL Diese Entscheidung war sicher kein Zufall. Man wünschte sich jemanden, der auf dem Fundament eines breiten Repertoires steht. Aber Josep Pons ist auch sehr aufgeschlossen für die zeitgenössische Musik. Er ist einfach ein sehr souveräner Mann, der auch Programme sehr durchdacht über Spielzeiten hinweg gestaltet, in denen sich gesellschaftliche Konstellationen, in denen wir heute leben, abbilden.
Josep Pons kennt das Orchester schon lange, auch bereits aus der Vor-Fusions-Zeit. Wie hat er reagiert, als Sie anfragten?
GRÄTZEL Das ging natürlich über seine Agentur, das ist der Weg, den man in so einem Fall beschreitet. Aber dann kam sehr schnell die Antwort, dass er offen ist, für dieses Angebot und sich sehr geehrt fühlt. Und was ihm wohl gefiel: Es ist sein erstes Rundfunkorchester in einer Chefposition und auch seine erste Chefposition außerhalb Spaniens. Und das motiviert ihn wohl enorm.
Was erwarten Sie von Josep Pons speziell, er gilt insbesondere auch hervorragender Musikvermittler? GRÄTZEL Wir erhoffen uns natürlich spannende Programme und dass das Orchester von seiner enormen künstlerischen Erfahrung profitiert. Und er will insbesondere für junge Menschen da sein, er will Musik in die Gesellschaft tragen. Zwei „Junge Ohren“-Konzerte mit ihm sind schon programmiert.