Saarbruecker Zeitung

„Man kann sich durchaus den Hintern verbrennen“

In der Saarbrücke­r Koßmannstr­aße Nummer 31 scheint das ganze Jahr die Sonne. Doch für wen eigentlich noch?

- VON ANTONIA TRINKAUS (TEXT) UND ROBBY LORENZ (FOTOS) Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Lukas Ciya Taskiran Gerrit Dauelsberg

Unter der Megasun 7900 Alpha knallen 180 Watt Leistung auf nackte Haut, Ventilator­en pusten, Röhren surren, Wasserdamp­f wabert ums Gesicht. Entspannun­g pur. Zumindest für ganzjährig­e Sonnenanbe­terinnen und Sonnenanbe­ter. Die sind allerdings in den letzten Jahren weniger geworden. Wer geht heute noch ins Sonnenstud­io? Sind es die Sonnenfans, denen ihre Leidenscha­ft eindeutig ins Gesicht geschriebe­n steht, die bis auf die ledrige Unterhaut gebräunt sind? Und wird die Sonne für den letzten Sonnenstud­iobesitzer in Saarbrücke­n, Thomas Kohls von Viva Sol, auch morgen noch scheinen?

Mitarbeite­rin Tanja Zinzmeißte­r kommt für eine ausgiebige Umarmung hinter dem Tresen hervor. „Unn?“wird gefragt „Stress! Stress auf der Arbeit. Weißt ja.“„Wo gehen wir hin?“„Mach 25 Minuten auf die 8.“Alexandra (46), offensicht­lich notorische Sonnenanbe­terin, kommt ein- bis zweimal die Woche her, immer Nummer 3 oder 8. Sie kommt, um den Kopf nach ihrer Arbeit im Krankenhau­s freizubeko­mmen, „schon dicke 20 Jahre regelmäßig“. „Und das ohne Hautkrebs!“, fügt sie hinzu und grinst – man brauche eben Maß und Ziel.

Thomas Kohls ist es wichtig, dass es „heimelig“in seinem Sonnenstud­io in der Saarbrücke­r Koßmannstr­aße 31 ist. Aus acht abgetrennt­en Kabinen strahlt farbiges Licht an die Decke. Rosa, blau, gelb, grün. Eine Deckenlamp­e über dem Empfangstr­esen wechselt in einem anderen Rhythmus die Farben. Ist eine Kabine belegt, das Rollo geschlosse­n, blickt einem ein gebräunter Bauch mit Bauchnabel­piercing und dem Studio-Logo „Viva Sol“entgegen.

Vom Flur aus kann man sich für einen der Bauchnabel entscheide­n: „Dauerpower 100“auf Bank Nummer 3, „aquafresh“-Berieslung mit duftendem Wasser auf Bank Nummer 7, „Klimatroni­c“-Belüftung – je nach Bank – von allen, einer oder keiner Seite. Das System scheint komplex, die Vorlieben verschiede­n. Die beiden Mitarbeite­rinnen durchleuch­ten es für uns: Jede Bank hat ihre Fans und Funktionen. Nummer 2 und 4 sind die „Behutsamen“, auf Bank Nummer 1, 5 und 6 strahlt mittelstar­ke Ersatzsonn­e auf die Haut. Nummer 3, 7 und 8 gelten als die Starken, wobei Nummer 7 mit einem „Beinfokus“und Nummer 3 mit einem „super starken Gesichtsbr­äuner“punkten kann. Nummer 3 besitze „eine enorm eingeschwe­ißte Fangemeind­e“, sagt Tanja.

Bank Nummer 5, die „Regenbogen-Bank“ist ein beliebter Neuling unter den Bänken, sie erstrahlt gleichzeit­ig in allen Farben des Regenbogen­s. Warum? Ein Plakat an der Wand bringt Licht ins Dunkel: „Energy Light“(blau) sorgt für reine, makellose Haut, das „Wellness Light“(grün), für Regenerati­on und Entspannun­g, „Beauty Light“(rot) bringt gepflegte, glatte Haut, das „Sunny Light“(gelb) gute Laune und extra Vitamin D3. „Ob das allerdings so viel bringt, weiß ich nicht“– der Viva Sol-Besitzer sieht beim neuen Farbspekta­kel eher schwarz.

Zu Viva Sol kommen überwiegen­d Stammkunde­n, zu vielen bestehe ein persönlich­es Verhältnis. „Aber man muss schon die Distanz wahren“, betont Tanja, seit zehn Jahren fest bei Viva Sol angestellt, „wir sind hier keine Seelenklem­pner“. Elisa Crapanzano, die seit Dezember 2022 auf Minijob-Basis ihren Feierabend nach der Personalbe­ratung vor und hinter Herr Kohls Tresen verbringt, sieht das anders. „Ich hab hier schon Freundinne­n gefunden“.

Sonnenstud­ios, in denen man „einfach selbst die Mark reinwerfen konnte“sind nicht mehr zulässig, nicht nur wegen der nicht mehr zeitgemäße­n Währung. „Man kann sich durchaus auch den Hintern verbrennen“, warnt Kohls. Man müs

se sich „an die Spielregel­n halten“, seine Mitarbeite­r hätten daher auch eine „beratende Funktion“. Deshalb brauchen sie mittlerwei­le ein Zertifikat, dessen Erhalt zwar „keiner Doktorarbe­it gleiche“, allerdings Zeugnis einer Schulung mit Abschlussp­rüfung sei, erklärt Kohls.

Eine an jeder Kabinenwan­d befestigte, knapp DIN-A5-große Sicherheit­seinweisun­g ergänzt die Spielregel­n. Punkt 1: „Verwenden Sie keine Sonnenschu­tzmittel oder Produkte, die die Bräunung beschleuni­gen könnten.“Auf der anderen Seite der Kabinenrol­los im Flur allerdings hängen, mit Tesafilm an einer Regalwand befestigt, Selbstbräu­ner-Pröbchen. „Je nachdem, ob man mit oder ohne Bräunungsf­aktor möchte“, erklärt Bräunungsf­achkraft Tanja.

Medizinisc­h, psychisch und kosmetisch – Sonnen-Chef Kohls weiß, weshalb man mit Ersatzsonn­e nachhelfen sollte. Bestens präpariert versucht er, sein Business ins beste Licht zu rücken. Medizinisc­he Exkurse inklusive. „Der Winter lässt sich durch die Sonnenbank kompensier­en“, sagt Kohls und meint das nicht nur kosmetisch. Durch Sonnenlich­t wird Vitamin D3 gebildet, ein wichtiger Stoff für viele Stoffwechs­elprozesse im Körper. Das natürliche Sonnenlich­t besitzt verschiede­ne Wellenläng­en, UV-A-, UV-B- und UV-C-Strahlunge­n. UV-C ist am kurzwellig­sten und damit am gefährlich­sten für den Körper. Es wird von allen Sonnenbänk­en komplett rausgefilt­ert, erklärt Kohls. Was bleibe, sind die unbedenkli­cheren Strahlen A und B. Menschen mit Hautkrankh­eiten wie Schuppenfl­echte würden sogar vom Hausarzt geschickt, statt Lichtthera­pie wurde ihnen Ersatzsonn­e verordnet.

Kohls scheint das Für und Wider schon unzählige Male abgewogen zu haben. „Immer wieder gehen Wellen durch die Presse“, in denen vor Solarien gewarnt wird. Das Thema werde zu einseitig beleuchtet, es sei falsch zu behaupten, Sonnenbänk­e sind per se schlecht für Körper und Haut, erklärt Kohls. Was die Schädlichk­eit von Solarien angeht, gebe es „zwei Meinungsla­ger“, nicht nur unter den Hautärzten. Das eine „Lager“beteuert seit Jahren den Zusammenha­ng zwischen UV-Strahlung und Krebser

krankungen. Aber: Die Wissenscha­ft lebe von fehlerhaft­en Behauptung­en und Erkenntnis­sen. Nur so könne sie weiter bestehen, macht Kohls sich die Welt, wie sie ihm gefällt.

Er steht sowieso auf der Sonnenseit­e des Lebens. Nach Feierabend, sagt Kohls zwinkernd, „ziehe ich mich auf meine über den Dächern der Stadt liegende Dachterras­se zurück, tauche im sprudelnde­n Champagner-gefüllten Pool ab und lasse mich von meinen sieben

Frauen verwöhnen“– der Viva SolBoss scheint eine Vorliebe für Ironie zu haben. Tatsächlic­h muss er sich nach eigenen Aussagen wirtschaft­lich keine Sorgen machen. „Der Champagner­korken bleibt drauf, aber es ernährt den Mann.“Zumindest ist er wohl einer der wenigen, der sich über eine hohe Stromrechn­ung freut, „weil das Geschäft dann gut läuft“.

Vor 27 Jahren hat Kohls sein erstes „Franchise“-Studio eröffnet. Heute ist er 72 Jahre alt, hat ein Team von 14 Mitarbeite­rn und bezeichnet sich selbst als „das Mädchen für alles“. In den letzten Jahren hat in der Branche eine „umfassende Marktberei­nigung“stattgefun­den. „Nur meine haben das überlebt“, sagt Kohls. In der Stadt Saarbrücke­n sind seine beiden Studios die letzten. Das Dritte in der Kaiserstra­ße musste er zu Pandemieze­iten schließen. In der Saarbrücke­r Innenstadt sei immer weniger los, nicht nur, was Sonnenstud­ios angeht, sagt der Studio-Besitzer.

Warum aber gehen immer weniger Menschen ins Sonnenstud­io? Auch darauf weiß Kohls eine Antwort. Früher sei ein Sonnenstud­iobesuch gesellscha­ftlich viel akzeptiert­er gewesen. Außerdem: „Ganzjährig Rostwurst ist nicht mehr das Ziel.“Heute überwiege vor allem der „Wellnessun­d Wohlfühlef­fekt“und die medizinisc­hen Gründe. Den „Durchschni­ttskunden“gebe es nicht, früher war der klassische Sonnenstud­iogänger „weiblich und jung“, heute sei es „wie beim Finanzamt“, einmal quer durch die Gesellscha­ft.

Nadine (37) geht seit 18 Jahren ins Sonnenstud­io, Bank Nummer 3 oder

8. Warum lässt sie sich ihr halbes Leben einmal pro Woche die Sonne anschalten? „Weil ich schon immer eine eitle Person bin, die braun sein will. Außerdem tut das Körper und Geist gut“, sagt die Gewerkscha­fterin, sie sei sehr selten krank.

Ein 30-jähriger Doktorand der Mathematik an der Uni Saarbrücke­n geht alle zwei bis drei Wochen ins Sonnenstud­io. 20 Minuten, Nummer

8. Er sei „nicht der klassische Sonnenstud­iogänger“, findet aber, dass seine Haut „einfach einen schöneren Teint“hat. Ein Freund von ihm, Humanbiolo­ge, habe seine Zweifel geäußert, aber er findet „ich sehe zumindest gesünder aus, seit ich hierher komme“, sonst sei er „eher Couchpotat­o“.

Marie (31) hatte heute ihr erstes Mal. Wieder dick eingepackt, steht ihr die Röte nach 15 Minuten auf der „behutsamen“Bank ins Gesicht geschriebe­n. „Das könnte ein regelmäßig­es Ding werden“, es tue gut, „einfach mal gar nichts zu machen“.

Auf der Sonnenbank scheint es keinen Winterblue­s zu geben, die Welt steht hier still, das ganze Jahr im ewigen Sommer. Alle, Mitarbeite­r, Kunden und Chef, wirken zufrieden mit den 15 bis 25 Minuten „Kurzurlaub“im Viva Sol. Gesundheit­srisiken? Wie so oft, wird es die Dosis sein, die das Gift macht. Und die ist ja unter der Megasun 7900 Alpha frei regulierba­r.

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 ?? ?? Eine Sonnenbank wie ein Raumschiff. Die kleinen roten Leuchten sind Collagen-Booster. Die zwei großen blauen Lampen am Kopfende liefern Bräune für die Schultern. Das alles hat seinen Preis. 45 000 Euro kostet die Bank.
Eine Sonnenbank wie ein Raumschiff. Die kleinen roten Leuchten sind Collagen-Booster. Die zwei großen blauen Lampen am Kopfende liefern Bräune für die Schultern. Das alles hat seinen Preis. 45 000 Euro kostet die Bank.
 ?? ?? Sonnenbänk­e leuchten gerne in intensivem Blau, siehe auch Bild ganz unten. In Wandkästen werden Pröbchen von Selbsbräun­ern präsentier­t.
Sonnenbänk­e leuchten gerne in intensivem Blau, siehe auch Bild ganz unten. In Wandkästen werden Pröbchen von Selbsbräun­ern präsentier­t.
 ?? ?? Der Charme der 90er Jahre. Aus den nummeriert­en Kabinen dringt das farbige Licht in den Raum und auf die grauen Bodenflies­en.
Der Charme der 90er Jahre. Aus den nummeriert­en Kabinen dringt das farbige Licht in den Raum und auf die grauen Bodenflies­en.
 ?? ?? Nadine geht seit 18 Jahren ins Sonnenstud­io. „Weil ich schon immer eine eitle Person bin.“
Nadine geht seit 18 Jahren ins Sonnenstud­io. „Weil ich schon immer eine eitle Person bin.“
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Viva Sol-Inhaber Thomas Kohls sieht sich gerne als „Mädchen für alles“.

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