„Man kann sich durchaus den Hintern verbrennen“
In der Saarbrücker Koßmannstraße Nummer 31 scheint das ganze Jahr die Sonne. Doch für wen eigentlich noch?
Unter der Megasun 7900 Alpha knallen 180 Watt Leistung auf nackte Haut, Ventilatoren pusten, Röhren surren, Wasserdampf wabert ums Gesicht. Entspannung pur. Zumindest für ganzjährige Sonnenanbeterinnen und Sonnenanbeter. Die sind allerdings in den letzten Jahren weniger geworden. Wer geht heute noch ins Sonnenstudio? Sind es die Sonnenfans, denen ihre Leidenschaft eindeutig ins Gesicht geschrieben steht, die bis auf die ledrige Unterhaut gebräunt sind? Und wird die Sonne für den letzten Sonnenstudiobesitzer in Saarbrücken, Thomas Kohls von Viva Sol, auch morgen noch scheinen?
Mitarbeiterin Tanja Zinzmeißter kommt für eine ausgiebige Umarmung hinter dem Tresen hervor. „Unn?“wird gefragt „Stress! Stress auf der Arbeit. Weißt ja.“„Wo gehen wir hin?“„Mach 25 Minuten auf die 8.“Alexandra (46), offensichtlich notorische Sonnenanbeterin, kommt ein- bis zweimal die Woche her, immer Nummer 3 oder 8. Sie kommt, um den Kopf nach ihrer Arbeit im Krankenhaus freizubekommen, „schon dicke 20 Jahre regelmäßig“. „Und das ohne Hautkrebs!“, fügt sie hinzu und grinst – man brauche eben Maß und Ziel.
Thomas Kohls ist es wichtig, dass es „heimelig“in seinem Sonnenstudio in der Saarbrücker Koßmannstraße 31 ist. Aus acht abgetrennten Kabinen strahlt farbiges Licht an die Decke. Rosa, blau, gelb, grün. Eine Deckenlampe über dem Empfangstresen wechselt in einem anderen Rhythmus die Farben. Ist eine Kabine belegt, das Rollo geschlossen, blickt einem ein gebräunter Bauch mit Bauchnabelpiercing und dem Studio-Logo „Viva Sol“entgegen.
Vom Flur aus kann man sich für einen der Bauchnabel entscheiden: „Dauerpower 100“auf Bank Nummer 3, „aquafresh“-Berieslung mit duftendem Wasser auf Bank Nummer 7, „Klimatronic“-Belüftung – je nach Bank – von allen, einer oder keiner Seite. Das System scheint komplex, die Vorlieben verschieden. Die beiden Mitarbeiterinnen durchleuchten es für uns: Jede Bank hat ihre Fans und Funktionen. Nummer 2 und 4 sind die „Behutsamen“, auf Bank Nummer 1, 5 und 6 strahlt mittelstarke Ersatzsonne auf die Haut. Nummer 3, 7 und 8 gelten als die Starken, wobei Nummer 7 mit einem „Beinfokus“und Nummer 3 mit einem „super starken Gesichtsbräuner“punkten kann. Nummer 3 besitze „eine enorm eingeschweißte Fangemeinde“, sagt Tanja.
Bank Nummer 5, die „Regenbogen-Bank“ist ein beliebter Neuling unter den Bänken, sie erstrahlt gleichzeitig in allen Farben des Regenbogens. Warum? Ein Plakat an der Wand bringt Licht ins Dunkel: „Energy Light“(blau) sorgt für reine, makellose Haut, das „Wellness Light“(grün), für Regeneration und Entspannung, „Beauty Light“(rot) bringt gepflegte, glatte Haut, das „Sunny Light“(gelb) gute Laune und extra Vitamin D3. „Ob das allerdings so viel bringt, weiß ich nicht“– der Viva Sol-Besitzer sieht beim neuen Farbspektakel eher schwarz.
Zu Viva Sol kommen überwiegend Stammkunden, zu vielen bestehe ein persönliches Verhältnis. „Aber man muss schon die Distanz wahren“, betont Tanja, seit zehn Jahren fest bei Viva Sol angestellt, „wir sind hier keine Seelenklempner“. Elisa Crapanzano, die seit Dezember 2022 auf Minijob-Basis ihren Feierabend nach der Personalberatung vor und hinter Herr Kohls Tresen verbringt, sieht das anders. „Ich hab hier schon Freundinnen gefunden“.
Sonnenstudios, in denen man „einfach selbst die Mark reinwerfen konnte“sind nicht mehr zulässig, nicht nur wegen der nicht mehr zeitgemäßen Währung. „Man kann sich durchaus auch den Hintern verbrennen“, warnt Kohls. Man müs
se sich „an die Spielregeln halten“, seine Mitarbeiter hätten daher auch eine „beratende Funktion“. Deshalb brauchen sie mittlerweile ein Zertifikat, dessen Erhalt zwar „keiner Doktorarbeit gleiche“, allerdings Zeugnis einer Schulung mit Abschlussprüfung sei, erklärt Kohls.
Eine an jeder Kabinenwand befestigte, knapp DIN-A5-große Sicherheitseinweisung ergänzt die Spielregeln. Punkt 1: „Verwenden Sie keine Sonnenschutzmittel oder Produkte, die die Bräunung beschleunigen könnten.“Auf der anderen Seite der Kabinenrollos im Flur allerdings hängen, mit Tesafilm an einer Regalwand befestigt, Selbstbräuner-Pröbchen. „Je nachdem, ob man mit oder ohne Bräunungsfaktor möchte“, erklärt Bräunungsfachkraft Tanja.
Medizinisch, psychisch und kosmetisch – Sonnen-Chef Kohls weiß, weshalb man mit Ersatzsonne nachhelfen sollte. Bestens präpariert versucht er, sein Business ins beste Licht zu rücken. Medizinische Exkurse inklusive. „Der Winter lässt sich durch die Sonnenbank kompensieren“, sagt Kohls und meint das nicht nur kosmetisch. Durch Sonnenlicht wird Vitamin D3 gebildet, ein wichtiger Stoff für viele Stoffwechselprozesse im Körper. Das natürliche Sonnenlicht besitzt verschiedene Wellenlängen, UV-A-, UV-B- und UV-C-Strahlungen. UV-C ist am kurzwelligsten und damit am gefährlichsten für den Körper. Es wird von allen Sonnenbänken komplett rausgefiltert, erklärt Kohls. Was bleibe, sind die unbedenklicheren Strahlen A und B. Menschen mit Hautkrankheiten wie Schuppenflechte würden sogar vom Hausarzt geschickt, statt Lichttherapie wurde ihnen Ersatzsonne verordnet.
Kohls scheint das Für und Wider schon unzählige Male abgewogen zu haben. „Immer wieder gehen Wellen durch die Presse“, in denen vor Solarien gewarnt wird. Das Thema werde zu einseitig beleuchtet, es sei falsch zu behaupten, Sonnenbänke sind per se schlecht für Körper und Haut, erklärt Kohls. Was die Schädlichkeit von Solarien angeht, gebe es „zwei Meinungslager“, nicht nur unter den Hautärzten. Das eine „Lager“beteuert seit Jahren den Zusammenhang zwischen UV-Strahlung und Krebser
krankungen. Aber: Die Wissenschaft lebe von fehlerhaften Behauptungen und Erkenntnissen. Nur so könne sie weiter bestehen, macht Kohls sich die Welt, wie sie ihm gefällt.
Er steht sowieso auf der Sonnenseite des Lebens. Nach Feierabend, sagt Kohls zwinkernd, „ziehe ich mich auf meine über den Dächern der Stadt liegende Dachterrasse zurück, tauche im sprudelnden Champagner-gefüllten Pool ab und lasse mich von meinen sieben
Frauen verwöhnen“– der Viva SolBoss scheint eine Vorliebe für Ironie zu haben. Tatsächlich muss er sich nach eigenen Aussagen wirtschaftlich keine Sorgen machen. „Der Champagnerkorken bleibt drauf, aber es ernährt den Mann.“Zumindest ist er wohl einer der wenigen, der sich über eine hohe Stromrechnung freut, „weil das Geschäft dann gut läuft“.
Vor 27 Jahren hat Kohls sein erstes „Franchise“-Studio eröffnet. Heute ist er 72 Jahre alt, hat ein Team von 14 Mitarbeitern und bezeichnet sich selbst als „das Mädchen für alles“. In den letzten Jahren hat in der Branche eine „umfassende Marktbereinigung“stattgefunden. „Nur meine haben das überlebt“, sagt Kohls. In der Stadt Saarbrücken sind seine beiden Studios die letzten. Das Dritte in der Kaiserstraße musste er zu Pandemiezeiten schließen. In der Saarbrücker Innenstadt sei immer weniger los, nicht nur, was Sonnenstudios angeht, sagt der Studio-Besitzer.
Warum aber gehen immer weniger Menschen ins Sonnenstudio? Auch darauf weiß Kohls eine Antwort. Früher sei ein Sonnenstudiobesuch gesellschaftlich viel akzeptierter gewesen. Außerdem: „Ganzjährig Rostwurst ist nicht mehr das Ziel.“Heute überwiege vor allem der „Wellnessund Wohlfühleffekt“und die medizinischen Gründe. Den „Durchschnittskunden“gebe es nicht, früher war der klassische Sonnenstudiogänger „weiblich und jung“, heute sei es „wie beim Finanzamt“, einmal quer durch die Gesellschaft.
Nadine (37) geht seit 18 Jahren ins Sonnenstudio, Bank Nummer 3 oder
8. Warum lässt sie sich ihr halbes Leben einmal pro Woche die Sonne anschalten? „Weil ich schon immer eine eitle Person bin, die braun sein will. Außerdem tut das Körper und Geist gut“, sagt die Gewerkschafterin, sie sei sehr selten krank.
Ein 30-jähriger Doktorand der Mathematik an der Uni Saarbrücken geht alle zwei bis drei Wochen ins Sonnenstudio. 20 Minuten, Nummer
8. Er sei „nicht der klassische Sonnenstudiogänger“, findet aber, dass seine Haut „einfach einen schöneren Teint“hat. Ein Freund von ihm, Humanbiologe, habe seine Zweifel geäußert, aber er findet „ich sehe zumindest gesünder aus, seit ich hierher komme“, sonst sei er „eher Couchpotato“.
Marie (31) hatte heute ihr erstes Mal. Wieder dick eingepackt, steht ihr die Röte nach 15 Minuten auf der „behutsamen“Bank ins Gesicht geschrieben. „Das könnte ein regelmäßiges Ding werden“, es tue gut, „einfach mal gar nichts zu machen“.
Auf der Sonnenbank scheint es keinen Winterblues zu geben, die Welt steht hier still, das ganze Jahr im ewigen Sommer. Alle, Mitarbeiter, Kunden und Chef, wirken zufrieden mit den 15 bis 25 Minuten „Kurzurlaub“im Viva Sol. Gesundheitsrisiken? Wie so oft, wird es die Dosis sein, die das Gift macht. Und die ist ja unter der Megasun 7900 Alpha frei regulierbar.