Die „Geschichtsscouts“von Quierschied
Eine Projektgruppe von Schülern an der Gemeinschaftsschule Quierschied hat sich auf die Spuren der Vergangenheit begeben. Bruchstückhaft finden die Historiendetektive Aspekte für eine Ausstellung.
hat bosnische Wurzeln und hätte in dem Fall fortgehen müssen, Bella und Harald Klein irgendwann auch – Harald Klein hat nämlich schwedische Vorfahren. Es sind nachdenklich machende wie aktuelle Themen, die in einer Projektgruppe in der Gemeinschaftsschule Quierschied besprochen werden.
Es geht um die abstoßenden „Remigrations“-Gedanken von Teilen der AfD und ihrer Anhänger. Harald Klein, der das Schulprojekt ehrenamtlich leitet. Als Klein den sechs Achtklässlern dieses mögliche Szenario veranschaulicht, sind die Schüler schockiert. Dass jemand aus ihrer Mitte so einfach fort müsste, das will natürlich niemand.
Auch wenn insofern ein aktuelles Thema besprochen wird, hat Harald Klein die Projektgruppe eigentlich aus einem anderen Grund übernommen. Der Quierschieder, der auch Autor ist, arbeitet seit einiger Zeit an einem neuen historischen Roman.
„Im Jahr 1903 wurde in Quierschied ein zehnjähriges Mädchen im Ortsteil Glashütte bestialisch ermordet“, erklärt er. Während Klein dem Kurs eine Textprobe vorträgt, verschlägt es Bella, die italienische Wurzeln hat, fast den Atem – sie wohnt auf der Glashütte. Vier Jahre hat Klein für sein Buch recherchiert. Um den Roman zu illustrieren, ist er auf der Suche nach Fotos aus jener Zeit.
Aus dieser Arbeit heraus hat sich seine Mitwirkung an der GeschichtsAG entwickelt. Diese hatte zwölf Kinder im Alter von 13 und 14 Jahren, die sich der Themenvorgabe „Einsamkeit im Alter“annahmen. Daraus ergab sich irgendwann die Fragestellung, was Einsamkeit überhaupt ist. Schulleiterin Martina Thielmann erklärt: „In Quierschied sind wir bereits seit Beginn der Gebundenen Ganztagsschule 2018 in Projekten unterwegs, die die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen der Gemeinde einbeziehen.“
Neben den Vereinen sei es immer wichtig gewesen, auch Seniorinnen und Senioren mit ihren individuellen Geschichten und Erfahrungen einzubeziehen. Der Seniorenbeirat der Gemeinde sei dabei stets ein verlässlicher Partner. „Dr. Klein ist in diesen Projekten ebenfalls seit mehreren Jahren tätig. Seine Ideen und seine Expertise sind uns eine wertvolle Basis für die Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften.“
Im Zuge solcher Kooperationen mit der Seniorenresidenz im Tauben
feld und Besuchen im Historischen Museum habe es sich gezeigt, dass sich die Jugendlichen immer mehr für die Geschichte interessiert hätten, vor allem für die Historie des Orts. Schließlich wurde der Kurs in Gruppen geteilt: „Wir haben uns scheiden lassen“, sagt Tim und lacht.
So hat sich im Herbst, als sich die Reichspogromnacht zum 85. Mal jährte, ein Teil des Kurses auf die Suche nach den jüdischen Familien gemacht, die bis zur Machtergreifung der Nazis in Quierschied gelebt und gearbeitet hatten. Der andere Teil kümmert sich weiter um Senioren und versucht, deren Vereinsamung vorzubeugen. Die Schülerinnen und Schüler begleiten die Senioren beispielsweise im Alltag. Oder sie bas
teln für sie Rentiere zur Adventszeit und trinken gemeinsam mit ihnen Kakao.
Der geschichtsträchtige Kursteil hat sich derweil den Namen „Qistorie“gegeben und wandelt auf den Spuren jüdischen Lebens in Quierschied. „Seid wie die Scouts“, hatte Harald Klein den Nachwuchs-Historikern mit auf den Weg gegeben. In Kürze wird die Projektgruppe nun eine 88-jährige Lehrerin einladen, die aus Zeitzeuginnensicht die Gräuel der Nazi-Zeit schildern möchte.
Außerdem hat sich die Sechsergruppe auf die Suche nach Häusern begeben, in denen jüdische Mitbürger einst lebten. Fündig wurden die Schülerinnen und Schüler unter anderem in der Marienstraße. In einem
der Häuser befand sich sogar das seinerzeit im Einzugsbereich größte Geschäft für Alltagswaren. Offengelegt haben die Schülerinnen und Schüler auch einzelne Lebenswege. Sylvain Levy, ein jüdischer Kaufmann, sei beispielsweise von Ettelbrück nach Quierschied gezogen, um das Geschäft der Familie Herz zu übernehmen.
Solche und weitere historische Teilstücke schreiben die Schüler nieder und fertigen aus vielen zusammen dann Steckbriefe an. Man habe darüber nachgedacht, Stolpersteine in Auftrag zu geben – doch das sprenge das Budget des Kurses, sagt Harald Klein.
Martina Thielmann sagt denn auch, es sei für sie alle etwas Besonderes, in die Vergangenheit Quierschieds zu blicken und Geschichtswissen in einer altersgemäßen Form zu vermitteln. „Wir schulen so hoffentlich auch das Verständnis, dass Geschichte vor der eigenen Haustür beginnt. Und wir hoffen, unseren Beitrag zu leisten, Wahrheit von Fiktion unterscheiden zu lernen.“Jedenfalls würde das kritische Denkvermögen angestoßen, eine (kindliche) Neugierde geweckt und mit alledem die Erinnerung an die Vergangenheit wach gehalten.
„Unsere Schülerinnen und Schüler sind neugierige junge Menschen, die sich für die Welt interessieren und die, wenn man es ihnen zutraut und sie ein wenig begleitet, ein sehr gutes Rechts- beziehungsweise Unrechtsempfinden haben. Das werden sie auf ihrem persönlichen Lebensweg mitnehmen – das macht uns froh und auch ein wenig stolz“, sagt Martina Thielmann.
Am Ende des Kurses, der bis 2025 angelegt ist, soll es eine Ausstellung mit all den historischen Befunden geben – voraussichtlich in der Schule. Auch Vorträge sollen gehalten werden und womöglich Videos gedreht werden. Das zumindest hat einer der Schüler vorgeschlagen. Robin heißt der und betreibt einen Youtube-Kanal.
„Wir schulen so hoffentlich auch das Verständnis, dass Geschichte vor der eigenen Haustür beginnt.“Martina Thielmann Leiterin der Gemeinschaftsschule Quierschied
Für die Projektgruppe „Qistorie“und die Bebilderung seines neuen Romans ist Harald Klein auf der Suche nach Fotos, Briefen oder Berichten aus jener Zeit, die Quierschied betreffen. Gerne kann man sich melden unter Tel. (0171) 7 02 21 29.